Ein ungeheurer Mythos: das Abstandsgebottun & lassen

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Nur wenn der Abstand zwischen Erwerbsarbeit und Sozialleistung möglichst groß ist, gehen die Leute arbeiten. Das ist das so genannte Abstandsgebot. Die empirische Forschung hegt an dieser Annahme seit Jahren große Zweifel, was ihrer Popularität und mythischen Wiederholung jedoch keinen Abbruch tut. Eine Mischung aus gesundem Vorurteil und neoklassischer Modelltheorie hat sich zu einer stabilen Seinsgewissheit verbunden, die sozialempirische Daten als Modellstörung empfindet. Lasst uns mit der Realität in Ruhe! Das Abstandsgebot ist wie das Ungeheuer von Loch Ness. Fast alle haben es schon gesehen, obwohl Falsch ist zunächst die Annahme, dass alle SozialhilfebezieherInnen dies ewig bleiben. Die Verweilzeit in der Sozialhilfe ist kurz. Von hundert Einsteigern in die Sozialhilfe Deutschlands sind nach einem Jahr 59, nach drei Jahren 78 und nach fünf Jahren 83 wieder draußen. In Österreich befinden sich von 160.000 Sozialhilfeklienten fast alle (143.000) vorübergehend im Bezug, bloß 17.000 dauerhaft.

Der Abstand zwischen dem aus Erwerbsarbeit erzielbaren Einkommen und dem Sozialhilfeanspruch ist bei AlleinverdienerInnen ohne Kinder am größten, Verhältnis 2 zu 1. Bei Familien mit AlleinverdienerIn und mehreren Kindern geht er gegen null. In der Logik des Abstandsgebots müsste es so sein, dass der Sozialhilfebezug bei Alleinstehenden am kürzesten, bei AlleinverdienerInnen mit mehreren Kindern am längsten in Anspruch genommen wird, denn Erstere verbessern ihre Einkommenssituation durch Arbeitsaufnahme stark, Letztere dagegen kaum oder gar nicht. Das Gegenteil jedoch ist der Fall. Die Verweildauer in Sozialhilfe ist bei AlleinverdienerInnen mit mehreren Kindern am kürzesten.

Goodin belegt, dass, trotz höherem Arbeitslosengeld in Deutschland und niedrigerem in den USA, Betroffene in den USA länger brauchen, um wieder einen Job zu finden. Auch Längsschnittdaten wie die Hallenser-Studie von SozialhilfeempfängerInnen und das sozioökonomische Panel können das Abstandsgebot nicht bestätigen. Arbeiten wie jene von Vobruba zeigen deutlich, dass SozialhilfebezieherInnen ihre Entscheidungen keinesfalls auf der Grundlage kurzfristiger Einkommenskalküle treffen. Auch die Ergebnisse aus dem Niedrigeinkommenspanel, das es erlaubt, den gesamten (!) unteren Einkommensbereich der deutschen Wohnbevölkerung zu studieren, weisen in dieselbe Richtung. Auffällig ist das hohe Maß an Eigeninitiative, das sich beispielsweise bei der Stellensuche zeigt. Die Forschungsergebnisse geben keinerlei Anlass zu der Annahme, den Menschen im unteren Einkommensbereich würde es in weiten Teilen an der notwendigen Eigeninitiative mangeln. Im Gegenteil: Auf diesem Aktivitätspotenzial sollte das Hilfeangebot aufbauen, so die Studienautoren Andreß und Krüger.

Und: Die Höhe des Arbeitslosengeldes steht in keinem direkten Zusammenhang mit der Höhe der Arbeitslosigkeit. Wäre das so, müsste in den Ländern mit dem niedrigsten Arbeitslosengeld auch die niedrigste Arbeitslosigkeit zu verzeichnen sein. Das trifft nicht zu. In Polen mit niedrigstem Arbeitslosengeld herrscht hohe Arbeitslosigkeit. In Dänemark mit dem höchsten Arbeitslosengeld gibt es niedrige Arbeitslosigkeit.

Wie das Ungeheuer von Loch Ness: Alle haben es schon gesehen Aber obs es wirklich gibt?