Eineinhalb Jahre nach einer Amtshandlung…tun & lassen

Rund 15 Menschen, die auf die Straßenbahn warteten, haben eine „Amtshandlung“ zweier Polizisten gegen einen Menschen mit dunkler Hautfarbe miterlebt. Fünf dieser Augenzeugen haben der Staatsanwaltschaft den Vorfall aus ihrer Sicht ein rassistisch motivierter Übergriff angezeigt. Eineinhalb Jahre sind seither vergangen. Den Polizisten blieb ein Strafverfahren erspart. Dafür standen dieser Tage zwei der AugenzeugInnen vor Gericht: wegen „übler Nachrede“. Die Rache des Apparats? Die drei weiteren ZeugInnen wurden verschont. Auch mich traf diese „Begnadigung“, und ich kenne sogar den Grund dafür…

März 1999

Außergewöhnlich an diesem Fall ist nicht, wie die Polizei einen Schwarzafrikaner behandelt, sondern dass fünf zufällig anwesende PassantInnen für sich zum Schluss kommen: Das muss Folgen haben! Sie beauftragen einen Rechtsanwalt. Der übermittelt die Gedächtnisprotokolle der fünf ZeugInnen drei Frauen und zwei Männer der Staatsanwaltschaft. Auch die Medien werden verständigt. Ein Teil von ihnen lobt die Zivilcourage der aufmerksamen BeobachterInnen. Mein Gedächtnisprotokoll lautete so:

„In der Nacht vom Mi, 3.3.99, auf Do, 4.3.99 halte ich mich ab ca. 23.45 Uhr an der U-Bahnstation Schottenring auf, um auf die Straßenbahnlinie 31 zu warten. Kurz nach Eintreffen an der Station beobachte ich, wie zwei Polizisten einen Schwarzafrikaner abführen (besondere Kennzeichen: Dreadlocks). Der Amtsbehandelte verhält sich nicht völlig passiv, leistet aber auch keinen kräftigen Widerstand gegen die Amtshandlung. Ziel der beiden Beamten ist der Wiener-Linien-Betriebsraum im U-Bahnstationsgebäude. Der Vorfall wird auch von einigen anderen Zeugen beobachtet.

Kurz nachdem sie mit dem Festgenommenen in diesem Raum verschwinden (mein erster Gedanke: Führen die Beamten den Schwarzen da hinein, um die Amtshandlung ohne Zeugen fortzusetzen?) sind aus dem Inneren des Raumes Schreie (ich kann nicht wahrnehmen, von wem) und Stoßgeräusche zu vernehmen. Unmittelbar nach dem Beginn dieses Lärms geht mit einem explosionsartigen Knall die undurchsichtige Fensterscheibe des Betriebsraumes zu Bruche, sodass nunmehr die Augen- und Ohrenzeugen – es sind mittlerweile ca. 10 bis 15 Personen – Einblick in das Innere des Raumes haben.

Ich begebe mich zum geborstenen Fenster. Was ich nunmehr wahrnehme, spielt sich unmittelbar vor mir ab, nur ca. einen Meter entfernt. Der Schwarzafrikaner liegt bereits auf dem Boden; einer der beiden Polizisten (der stärkere, größere) sitzt auf ihm und presst ihm die Hände auf den Boden. Der Schwarze schreit (offensichtlich vor Schmerz, ich kann Blutspuren auf seinem Gesicht erkennen) und versucht sich mit den Füßen zu wehren; tatsächlich haben ihn die Beamten in diesem Augenblick schon absolut unter Kontrolle. Einer der Beamten tritt mit den Füßen auf Gesicht und Oberkörper des Schwarzen und schlägt mit seinem Schlagstock auf sein Gesicht. Etwa zehn Minuten lang wird der Liegende geschlagen.

Genauso wie die anderen Zeugen, die die Auseinandersetzung aus unmittelbarer Nähe verfolgen, kann ich den eindeutigen rassistischen Zusammenhang des Vorfalls erkennen: Der Schwarze wird von einem der Polizisten wiederholt mit `Negersau` beschimpft. Derselbe Polizist wird dann 15 Minuten später, nachdem die Rettung den verletzten Schwarzen bereits weggeführt hat, eine Zeugin, die sich mit besonders großen Emotionen über die Misshandlung des Festgenommenen beschwert, sozusagen als `Negerhure` beschimpfen. Und zwar exakt mit den Worten: `Na, wie ist es mit einem Neger?`

Während der Auseinandersetzung im Betriebsraum habe ich – aufgrund des Gesichtsausdrucks der Beamten – den Eindruck, dass sie unter Stress stehen (natürlich weiß ich nicht, was diesen Streß hervorgerufen hat, weil ich weder die Umstände der Festnahme kenne, noch weiß, was sich im Betriebsraum unmittelbar vor dem Zerbersten der Scheibe abgespielt hat). Wie der größere Polizist verbal auf die Vorwürfe einer Zeugin reagiert, verstärkt für mich den Eindruck des Stresses. Zeugin: `Ihr bringt ihn ja um!` Polizist: `Er bringt uns um, nicht wir ihn!` Die Bemerkung desselben (übrigens durchaus unverletzt erscheinenden) Polizisten (`Na, wie ist es mit einem Neger?`) fällt aber erst in zeitlichem Abstand, nachdem die Amtshandlung beendet und der Schwarze im Rettungsauto ist, kann also nicht mehr mit einer eventuellen Stresssituation in Verbindung gebracht werden. Im Gegenteil, der Beamte sagt das in einem zynischen Tonfall, der den rassistischen Hintergrund seines Verhaltens gegenüber dem Festgenommen deutlich manifestiert.“

Soweit meine Zeugenaussage. Sechs Tage nach diesem Vorfall wurden die fünf ZeugInnen ins Innenministerium eingeladen. Die Angelegenheit war zur „Chefsache“ geworden, nachdem Medien ausführlich berichtet hatten. Der damalige Innenminister Karl Schlögl, der Wiener Polizeipräsident Peter Stiedl und der damalige Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit Michael Sika versprachen die schonungslose Aufklärung des Vorfalls. Die ZeugInnen verlangten einen Schutz vor etwaigen Verleumdungsklagen seitens der Polizei. Schlögl, Sika und Stiedl sagten, solche Befürchtungen seien gegenstandslos.

August 2000

Die Befürchtung war nicht gegenstandslos. Eineinhalb Jahre nach dem angezeigten Vorfall standen zwei der ZeugInnen vor Gericht zwar nicht wegen Verleumdung, doch immerhin wegen „übler Nachrede“. Die Privatanklage war von den beiden Polizisten eingebracht worden. Die freiheitliche Polizeigewerkschaftsfraktion hatte sie dazu ermuntert. Die Richterin Sabine Kandera vertagte die Verhandlung auf unbestimmte Zeit: Es müsse erst festgestellt werden, ob ihr Gericht, das Bezirksgericht Innere Stadt, überhaupt zuständig für diese Causa sei.

Freundlicherweise erklärte sich dann einer der Anwälte der klagenden Beamten bereit, mich in die Kunst der Verleumdung einzuführen. An seiner Bereitschaft, mich in die Klage einzuschließen, habe es nicht gemangelt. Doch meine Zeugenaussage erfülle aus formalen Gründen nicht den Tatbestand der üblen Nachrede. Ich hätte mein Gedächtnisprotokoll zu wenig konkret formuliert, belehrte mich der Anwalt. Ich hätte die Aussagen und Handlungen der Polizisten eindeutig zuordnen müssen, anstatt unkonkret von „einem der Polizisten“ zu reden.

Ich nehme mir vor, das nächste Mal weniger schlampig zu formulieren. Zwar riskiere ich damit eine Anklage gegen mich, andrerseits liefere ich keinen Vorwand für die Staatsanwaltschaft, Ermittlungen gegen Prügelpolizisten einzustellen.

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