Erinnerung an Günter Pernhaupttun & lassen

Kalte, warme, bucklige Welt

Der Wiener Psychiater und Drogenexperte Günter Pernhaupt ist Anfang November im Alter von 63 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. Der international anerkannte Wissenschafter befasste sich bereits in den Siebzigerjahren mit der Betreuung von Suchtkranken und galt als Pionier auf diesem Gebiet. Im Rahmen des Anton-Proksch-Instituts baute der Mediziner zunächst in Mödling eine der ersten stationären Betreuungseinrichtungen für Drogenkranke auf. 1983 gründete Pernhaupt schließlich den Verein „Grüner Kreis“. Dieser verfügt heute über zwei ambulante und neun stationäre Einrichtungen, primär auf Bauernhöfen in der Buckligen Welt (NÖ), mit 186 Betten. Als Leitbild für den „Grünen Kreis“, die größte heimische Langzeittherapieeinrichtung, zitierte Pernhaupt stets Erwin Ringel: „In jedem steckt eine einmalige Chance, die niemand stellvertretend für ihn ergreifen kann.“ Ein ehemaliger Grüner-Kreis-Patient hat für den AUGUSTIN versucht, sein Verhältnis zu Pernhaupt in Worte zu fassen. Der Autor legt Wert auf die Feststellung, dass es sich um eine Darstellung aus seiner persönlichen Sicht handelt.Primarius Dr. Günter Pernhaupt ist tot. Raradox, dass gerade mir, der ich zu seinen Lebzeiten zu seinen schlimmsten Kritikern zählte, nur eine Hommage an Pernhaupt einfällt. Ich habe Pernhaupt fast 30 Jahre gekannt. Ich kann sagen, dass er einer derjenigen war, die meine Drogenkarriere zunächst „gefördert“ haben. Er hat sie in eine bestimmte Richtung gelenkt – und mir schließlich ermöglicht, in die Therapie einzusteigen.

In den Anfängen der Siebzigerjahre, als Drogenkonsum und Drogendeal noch nicht die heutige Dimension besaßen, war es gerade Pernhaupt, der in seiner voraussehenden Art jungen Menschen mit Suchtproblemen unter die Arme griff, indem er ihnen mit diversen Substanzen – von Opiumtinktur über Morphinpräparate (Dicodiol, Fortral, Dilaudid) bis hin zu den Schlafmitteln aus Barbituraten, Beruhigungsmitteln und Trip-ähnlichen Substanzen wie Romilar, Adan, Echnodol ect. – weiter half. Für einen kleinen Unkostenbeitrag konnte man in seiner Arztpraxis auf Rezept all das bekommen. Er war nicht der einzige Arzt, der solche Präparate verschrieb, aber er war sicher der einzige, der ein bestimmtes Ziel damit verfolgte. Pernhaupts Konzept war ein visionäres Konzept (heute würde man es „akzeptierende Drogenarbeit“ nennen: Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass Süchtige ihren Stoff brauchen und nicht Polizeirazzien). Pernhaupt wusste schon damals, was viele nicht wahrhaben wollten: In einigen Jahren werden unsere Städte mit einem massiven Drogenproblem konfrontiert sein. Die Jugendlichen würden ihre existentiellen Probleme massenhaft mit Drogen zu lösen versuchen. Und Pernhaupt wusste, dass die Zeit nach Drogeneinrichtungen schrie.

Die erste Drogenstation war Mödling. Hier begann man Anfang der Achzigerjahre, deutsche und amerikanische Modelle von Verhaltens-, Gesprächs- und Arbeitstherapien zu erproben und eine Wiener Form der Drogentherapie zu finden. Das Ganze ging nicht sehr lange gut. Es fehlte an Geld, und die therapeutischen Maßnahmen waren – aus meiner Sicht – nicht optimal vorbereitet. Pernhaupt war nicht sehr erfolgreich, man ließ ihn fallen. Dabei spielten wohl politische Dinge mit, die für mich nicht zu durchschauen waren.

Pernhaupt nahm sich eine Handvoll Patienten und Therapeuten und startete in Krumbach in der Buckligen Welt neu durch. Der Grüne Kreis war geboren. Ich war selbst einer der ersten „Pioniere“, die in halbverfallenen Bauernhäusern, unter der Kälte leidend, Pernhaupts Visionen teilten.

Mir war natürlich klar, dass ich ein Drogenproblem hatte, doch für mich hatte der Aufbau des Vereins Priorität, und so stand bei mir und bei den anderen nicht so sehr die Psychotherapie im Mittelpunkt. Stattdessen revitalisierten die Süchtigen die ramponierten Bauernhöfe. Für die schwere Arbeit gab’s nichts außer einen Hauch von Zusammengehörigkeit und Gemeinschaftsgefühl.

Binnen drei oder vier Jahren wurden vier Bauernhöfe bewohnbar gemacht. Das Geld wurde von der MA 12 bereitgestellt. Jeder Patient bekam dann 1085 Schilling pro Monat für seine Mitarbeit beim Grünen Kreis. Arbeit gab es immer genug. Neben der Renovierung der verschiedenen Höfe wurden eine Keramikwerkstätte, eine Tischlerei, eine Schlosserei und eine Buchbinderei eingerichtet.

Pernhaupts Konzept ist in relativ kurzer Zeit aufgegangen. Er brachte Leute von der Straße weg, gab ihnen ein Bett und eine Aufgabe – und mit einigem Glück gelang es den Betroffenen, zumindest in der Gemeinschaft und im Schutz des Grünen Kreises ohne Drogen zu leben und damit zu überleben. Welch ein Unterschied zum früheren Leben auf der Straße oder in Gefängnissen!

Leider sind jedoch auch in dieser Zeit viele gute Menschen auf der Strecke geblieben. Sie hielten die strenge und rigide „Politik“ des Grünen Kreises nicht aus, empfanden viele Regelungen als entwürdigend und machten sich aus dem Staub. Viele davon gibt es nicht mehr. Viele sind an der Härte des Vereins, der seine Pläne um jeden Preis durchzusetzen versuchte, gescheitert.

Günter Pernhaupt schied vor drei Jahren aus dem Vorstand des Grünen Kreises aus. Man entfernte ihn – so sehe ich die Sache. Die Therapeuten fanden Pernhaupts Art, das Projekt zu führen, nicht mehr adäquat. Man verlieh ihm den Titel des Ehrenpräsidenten. Doch der Ehrenpräsident blieb dem Grünen Kreis fern; vielleicht war das, was er als Abschub aus seinem Lebenswerk empfand, mitverantwortlich für seinen körperlichen Verfall.

Ich weiß nicht, ob der Grüne Kreis nach Günter Pernhaupt den richtigen Weg eingeschlagen hat. Vielleicht hat er sich weiterentwickelt. Ich bin nicht kompetent, das zu bewerten. Tatsache ist, dass der Grüne Kreis noch immer besteht – und dass er eine der wenigen Chancen für Menschen mit Drogenproblemen in diesem Lande ist. Die Vision des Dr. Pernhaupt ist Realität geworden. Ich hoffe, dass die Menschen, die in die Bucklige Welt kommen, immer Wärme vorfinden und das Gefühl haben, willkommen zu sein. Wir werden in den kommenden Jahren ein Flut von neuen Drogenkonsumenten bekommen. Der Grüne Kreis wird wichtiger denn je sein.

Ich habe nach 28 Jahren Drogenkonsum und drei Jahren Therapie beim Grünen Kreis noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, dass ich einmal völlig drogenfrei leben werde. Der Grüne Kreis hat diese Hoffnung in mir immer lebendig gehalten. Ich bin überzeugt, dass ich ohne meine Begegnungen mit Dr. Pernhaupt nicht mehr leben würde.

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