«Es ist alles sehr kompliziert»tun & lassen

Warum Niederösterreich seine «Schuldenbewirtschaftung» nicht ins Casino Raiffeisen auslagern sollte

Im November 2011 berichtete der Augustin über 14 niederösterreichische Gemeinden, die in finanzielle Troubles wegen eines Geschäftes mit Raiffeisen kamen: «Resettable CHF linked swaps» – übersetzt bedeutet dies Devisenoptionsgeschäfte in Form von Wetten betreffend den Kurs des Schweizerfranken. Damals stellten wir die Frage, ob es Aufgabe einer Institution wie der Raiffeisen Landesbank Niederösterreich ist, Gewinne auf Kosten der Steuerzahler_innen einer Kommune zu erwirtschaften. Bleibt selbstredend eine rhetorische Frage bis heute.Die Ziffer der 14 Gemeinden ist mittlerweile zu korrigieren, Raiffeisen selbst spricht jetzt von Vergleichsgesprächen mit 16 niederösterreichischen Gemeinden, die sich alle in der Adresse irrten: Casino und Bank wurden verwechselt. Aktuell darf sich die Stadt St. Pölten mit der Raiffeisen Landesbank Niederösterreich vor dem Wiener Handelsgericht Gericht darüber streiten, ob ein derartiges Geschäft rückabgewickelt werden kann. Und bereits zwei für das zur Debatte stehende Geschäft bezahlte Euromillionen wollen die St. Pöltener_innen auch zurück. Ein Fest für Advokat_innen und Gutachter_innen – kein Fest für die St. Pöltener Steuerzahler_innen und die Genossenschafter_innen der ehemaligen Bauern-Selbsthilfe Organisation.

Die Wette zwischen den Finanzverantwortlichen der Stadt und den Banker_innen sollte bis 2028 laufen. Ein kühnes Unterfangen für die Stadtregierung, die einen Hauch von Wallstreet nach Niederösterreich bringen wollten. Der Richter des Handelsgerichtes wollte – wohl auch aus Gründen der Prozessökonomie – das Verfahren abkürzen und stellte zu Beginn des Verfahrens einen Vergleich zur Debatte. Raiffeisen lehnte ab.

Auffallend: Bei jenen Gemeinden, bei denen sich Raiffeisen um einen Vergleich bemüht, handelt es sich um ÖVP-geführte Kommunen. St. Pölten und auch Bruck an der Leitha, ebenfalls in Swap-Kalamitäten mit Raiffeisen, verfügen über sozialdemokratische Mehrheiten. Sicherlich purer Zufall.

St. Pöltens Verantwortliche wollen übrigens nicht sagen, in welcher Höhe die Verluste aus den Wettgeschäften die Gemeinde treffen. Der Sprecher St. Pöltens, Martin Koutny, erklärt in der Tageszeitung «Die Presse»: «Das lässt sich nicht beziffern, denn das Geschäft ist sehr kompliziert.» Sehr beruhigende Nachrichten aus dem Rathaus der Landeshauptstadt. Hinweis an Herrn Koutny: Einem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler hing der Sager «Es ist alles sehr kompliziert» jahrelang nach. Raiffeisen kann sich getrost hinter dem Bankgeheimnis verstecken. Hier stellt sich konkret die Frage, wie sehr das Bankgeheimnis Aufklärungsmöglichkeiten bei einem Rechtsstreit zwischen öffentlicher Hand und privater Bank behindert. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Grüne Finanzsprecherin (NÖ) Helga Krismer zum St. Pöltener Bürgermeister Matthias Stadler «400 oder 20 Millionen – um welche Summen geht es denn jetzt, Herr Stadler?» Sie will anregen, dass sich die Landesregierung einschaltet und erhebt, welche Gemeinden in welcher Höhe von der Zockerei betroffen sind. Viel Glück beim Match Landesregierung Niederösterreich gegen Raiffeisen!

Als erster Zeuge im Verfahren vor dem Handelsgericht ist der St. Pöltener Finanzdirektor Ernst Knoth aufgetreten. Der Finanzdirektor beklagte, für die handelnden Personen der Gemeinde seien das Risiko und die gravierenden Auswirkungen für das Stadtbudget nicht erkennbar gewesen. Ein großes Pech. Vielleicht sollten abgezockte Spieler eines Spielcasinos ebenso argumentieren und sagen, es sei völlig unvorhersehbar gewesen, dass die Kugel nicht auf die gewählte Nummer fiel, und der Einsatz möge bitte zurückerstattet werden. Die Gemeinde St. Pölten sieht dies naturgemäß anders und sagt, es sei keinesfalls spekuliert worden und die «Schuldenbewirtschaftung» hätte das Stadtbudget entlasten sollen, aber so ganz, ganz kompliziert sei es halt gewesen.

St. Pölten wird in der Angelegenheit von der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Kraft und Winternitz vertreten. Das ist übrigens jene Kanzlei, die in der Causa Madoff/Primero Fonds ein richtungsweisendes Urteil im Sinne geschädigter Anleger_innen erwirkt hatte. Ein Hoffnungsschimmer für St. Pölten.