Fonds der Sozialen Kälte am Werktun & lassen

Und jetzt der Beitrag der Wirtschaftskammer zum Arme-Leute-Denunzieren

Sie wollen ein konkretes Zeichen setzen gegen die Ausbreitung sozialer Kälte in Wien? Ein Vorschlag: Boykottieren Sie Geschäfte, die in diesen Tagen ihre Auslagen mit violetten Plakaten «dekorieren», auf denen Sie davor gewarnt werden, Bettler zu unterstützen. Die Wirtschaftskammer-Kampagne «Helfen ist wichtig Aber tun Sies richtig» stellt für die junge Menschenrechts-NGO BettelLobbyWien einen Beitrag zur Abstempelung des Bettelns als kriminelle Handlung dar.

Die Erfindung der «Bettlermafia» war aus der Perspektive einer «Politik der Sicherheit» geradezu genial. Gegen dieses imaginierte Böse kann sie leicht Härte demonstrieren: ein Ersatz für das Fehlen jeglicher Härte gegen die Verursacher der ökonomischen und ökologischen Unsicherheit, die Wirtschaftskrisenmanager. Entsprechend der uns aufgetischten Gefahr, die von dieser «Bettlermafia» ausgehe, ist die «Abwehr» von keiner bescheidenen Dimension: Die Landesparteileitung der Wiener SPÖ, die Stadt Wien, die Wiener Polizei, die Wiener Wirtschaftskammer, der Verein der Wiener Geschäftsstraßen und die «Kronen Zeitung» konzertieren ihre Aktionen, die sich in Wirklichkeit gegen die Ärmsten der Armen richten.

Die einzelnen Teile dieser Allianz wir nennen sie ab sofort «Fonds der sozialen Kälte» haben ihre spezifischen Aufgaben. In der SPÖ wurde die Novellierung des Wiener Sicherheitsgesetzes formuliert, das nun auch «gewerbsmäßiges» Betteln untersagt; die Stadt macht die Novellierung zum Gesetz; die Polizei exekutiert sie. Nun ist der Beitrag der Wirtschaftskammer gefragt. Und der schaut so aus: In den Wiener Geschäften sollen KundInnen mittels einer Plakataktion aufgefordert werden, BettlerInnen kein Geld zu geben. Der «Wirtschaftsstandort Wien», das «sichere Miteinander» und unsere «Lebensqualität» sollen dadurch geschützt werden, argumentiert die Kammer.

Weil durch die ständige mediale Denunziation der BettlerInnen aus osteuropäischen Ländern selbst liberale oder sozial eingestellte MitbürgerInnen in Zweifel geraten, ob ihr Euro für die Bettlerin am Ende nicht doch in mafiöse Hände gerate, fiel der Protest gegen diese Plakataktion flau aus. Zuverlässig, aber relativ allein auf weiter Flur, reagierte die BettelLobbyWien. In einem offenen Brief forderte sie die InitiatorInnen auf, «die Hetzkampagne einzustellen».

Und sie zerpflückte die «Argumente» der Unternehmerorganisation Punkt für Punkt. «Gut gemeinte Spenden vor Supermärkten und in Einkaufsstraßen können ungewollt das gewerbsmäßige Betteln fördern», heißt es zum Beispiel im Schreiben der Wirtschaftskammer. Ihr zufolge soll die Aktion verhindern, «dass wehrlose Menschen von Kriminellen zum Betteln gezwungen werden». Laut Polizei und wissenschaftlichen Studien gibt es aber keine Beweise für kriminelle Hintermänner. «Die Hintermänner-Theorie wird vielmehr dazu verwendet, die Akzeptanz von Bettelverboten zu erhöhen, damit Armut aus dem öffentlichen Raum zu verbannen und gesellschaftliche Probleme zu negieren», sagt die BettelLobbyWien.

Im Begleitbrief der Wirtschaftskammer an die UnternehmerInnen ist von «Bettlerbanden» die Rede, deren Aktivitäten auf den Wirtschaftsstandort einen negativen Einfluss hätten. Kritik der BettelLobbyWien: «Sie kriminalisieren Menschen, indem Sie sie mit dem Begriff Banden versehen. Sie betrachten Menschen als geschäftsschädigend und wollen sie deswegen aus dem öffentlichen Raum verbannen. Wo führt das hin? Vielleicht wollen ja demnächst Gastwirte keine Übergewichtigen in der Nähe ihres Lokals haben, weil sie meinen, dass diese der potentiellen Kundschaft den Appetit verderben würden?»

Ulli Gladik, Filmemacherin und Bettel-Lobbyistin, verweist auf die Aussagen des Leiters der sicherheits- und verkehrspolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Wien, Peter Goldgruber, in einer Ö1-Sendung vom 17. Dezember 2009. Die Frage, ob die Polizei davon ausgehe, dass es Banden gebe, bei denen Bettler ihr Geld abliefern müssten, beantwortete der Polizeisprecher so: «Die meisten derartigen Behauptungen haben sich in Luft aufgelöst. In sehr vielen Fällen kommen durchaus Familiengruppen zum Betteln, die hier zwar organisiert betteln, weil sie sich als Großfamilie sozusagen absprechen und arbeitsteilig vorgehen. Hier fehlt jedoch ein gerichtlich strafbarer Hintergrund, wenn niemand gezwungen wird, gegen seinen Willen zu betteln.»

Die SPÖ brauchte endlich eine herzeigbare «populäre» Maßnahme

SP-internen KritikerInnen des neuen kalten SP-Kurses gegen die Verlierer hören von Funktionären, eigentlich sei ja die Wiener Polizeiführung die treibende Kraft hinter der Einführung eines Quasigeneralverbots gewesen. Realistischer scheint die Analyse der KritikerInnen zu sein, dass die Wiener SPÖ dringend ein «populäres» Resultat herzeigen musste, und sie wusste, dass die Verschärfung des Bettelverbots nach den Dauerkampagnen der Trottoirmedien in der Bevölkerung gut ankommen würde. Für Häupl und Co. besteht sozusagen ein Sachzwang zur Schein-Politik bzw. Als-ob-Politik. Die gefühlte und tatsächliche Unsicherheit der Menschen wird immer größer, und ihr Frust über die Parteien, die angesichts dieser Krise handlungsunfähig sind, explodiert. In dieser Situation muss die SP, in allen wichtigen Feldern handlungsunfähig bis -unwillig, ihre Handlungs- und Beschlussfreudigkeit vortäuschen. Sie muss also Scheinpolitik machen.

Und das funktioniert eben am besten durch die demonstrative Härte gegenüber einer Menschengruppe, die unbeliebt und zudem höchst sündenbocktauglich ist. Dass sich die SP-Fraktion den Wünschen ihrer Polizeiführung gebeugt habe, klingt demnach wie eine billige Entschuldigung. Umgekehrt klingt es plausibler: Die SP hat die Polizei instrumentalisiert, um mit dem Bettelverbot zu demonstrieren, sie sei DIE Partei der Sicherheit. Da es sich heuer womöglich um die bisher einzige «sicherheitsrelevante» Maßnahme der Rathausmehrheit handelt (natürlich nur pseudosicherheitsrelevant), war das Bettelverbot rein herrschaftstechnisch betrachtet eine mehrheitssichernde Leistung der Partei des Bürgermeisters.