Frau Hainisch im Gesperretun & lassen

Für die k. und k. Kerkermeisterin war "Fürsorge" suspekt

Als Sozialarbeiterinnen noch Fürsorgerinnen hießen, betreute Cornelia Hainisch 300 gefangene Frauen, darunter 40 Mörderinnen. Für den Augustin erinnerte sie sich an die Frauenstrafanstalt Maria Lankowitz, die Vorgängerin des Frauengefängnisses Schwarzau.Der erste Besuch bei den Schwestern Hainisch fand im dichten Schneegestöber statt, beim zweiten Mal ist der Frühling schon fast da. Hinter dem Gezweig der noch blattlosen Bäume im Wertheimsteinpark ist beim Blick aus dem Wohnzimmerfenster das blasse Gelb der Villa Hainisch zu erkennen. Das ist jener Ort, an dem Marianne und Cornelia Hainisch den Großteil ihres Lebens verbrachten.

Wenn es ein Geschenk ist, in Sichtkontakt mit der Stätte der Kindheit zu altern, dann ist es eines, das den Hainisch-Schwestern zuteil wurde. Heute beherbergt die Villa Hainisch, eine Schenkung der Schwestern an die Stadt Wien, eine Musikschule für Kinder aus aller Welt. Dass die beiden Nachfahrinnen angesehener Wiener Familien sind, ist eine Geschichte, über die sie nicht besonders gern reden. Ihre verwandtschaftlichen Verflechtungen reichen bis zu den Wertheimsteins, den Gomperz‘, den Liebens. Marianne Hainisch, bekannteste Repräsentantin der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung um 1900, war ihre Urgroßmutter. Mit ihr haben sie als Kinder noch gespielt. Der österreichische Bundespräsident Michael Hainisch, Mariannes Sohn, war ihr Großvater. Ihre Mutter Henriette (in französischer Aussprache) war die in Wien geborene Tochter eines Schweizer Diplomaten.

Vor mir stehen zwei ältere Damen, die beide auf ein jahrzehntelanges Berufsleben zurückblicken – und auf eine Lebensgemeinschaft, die fast ihr ganzes Leben dauerte. Vierzehn Jahre waren sie getrennt, als junge Frauen in den 50er und 60er Jahren, als sie beide am Anfang ihrer beruflichen Tätigkeit standen und in verschiedenen Ecken Österreichs arbeiteten. Marianne, die ältere der beiden Schwestern mit dem burschikosen Kurzhaarschnitt und einem resoluten Auftreten war damals Lehrerin in Vorarlberg, und die jüngere zurückhaltendere Cornelia trat nach Absolvierung der Wiener Städtischen Fürsorgeschule Anfang der 50 Jahre ihre erste Stelle in der Frauenstrafanstalt in Maria Lankowitz in der Steiermark an. Diese Tätigkeit in einer für die heutige Generation von SozialarbeiterInnen grauen Vorzeit war der eigentliche Anlass für das Augustin-Interview.

Bewährungshelferin, Blitzableiter

Die Initiative für den Aufbau eines Fürsorgedienstes im Justizbereich ging damals von Oberlandesgerichtsrat Dr. Wolfgang Doleisch aus. „Er hat über Jahrzehnte sehr viel unternommen, um die soziale Situation von Gefangenen und Haftentlassenen in Österreich zu verbessern.“ erinnert sich Hainisch respektvoll an ihren ehemaligen Vorgesetzten. Im Gehaltsschema waren die Fürsorgerinnen anfangs auf unterster Ebene eingestuft, entsprechend niedrig war die Bezahlung. Doch in Bezug auf die Schaffung eines eigenen Tätigkeitsbereichs ließ Doleisch den NeuanfängerInnen viel Freiheit.

Nach Maria Lankowitz, der Vorläufereinrichtung der Frauenstrafanstalt Schwarzau, kam die Berufsanfängerin Cornelia Hainisch deswegen, weil sich niemand mit Berufserfahrung gefunden hatte, der/die sich in die Weststeiermark versetzen lassen wollte. Die Anreise dauerte damals von Wien aus ca. acht Stunden. Abgeholt wurde die junge Fürsorgerin bei ihrem Dienstantritt von der Leiterin der Strafanstalt mit einem Ochsenwagen, ein Auto gab es nicht. Sie wohnte selbstverständlich auch in der Anstalt. „Etwas anderes wäre bei dem Gehalt ja auch gar nicht möglich gewesen“, fügt Hainisch hinzu.

Die ersten FürsorgerInnen im Gefängnis waren ganz auf sich allein gestellt. Krank werden durfte man nicht, und selbst Urlaub zu nehmen war schwierig, weil es keine Vertretung gab. „Da ist man dann auch noch mit einem Lungenspitzenkatarrh im Leib einen Posten suchen gegangen, für eine Haftentlassene“, erinnert sich Hainisch. Die Unterstützung der Gefangenen bei deren Entlassung war ihre Hauptaufgabe. Außerdem stand sie den Häftlingen für Gespräche über persönliche und familiäre Probleme, die auf freiwilliger Basis erfolgten, zur Verfügung. Später kam dann noch die Organisation von Freizeitaktivitäten für die Gefangenen hinzu. Eine besonders wichtige Ansprechperson war sie für Frauen, die lange Haftstrafen verbüßen mussten. „Die Haft verläuft ja nicht einförmig, während der Gefangenschaft machen die Häftlinge verschiedene Phasen durch“, gibt Hainisch Einblick in ihre Berufserfahrung. „In der ersten Phase setzen sich die Leute noch mit ihrer Verurteilung und ihren Folgen, auch mit den Sorgen und Problemen der Familie auseinander, dann kommt die Phase der Apathie, unterbrochen von einem gelegentlichen Zellenkoller. Da war ich dann auch Blitzableiter und die Leute wurden zu mir geschickt.“

Bei den Frauen, die kurz vor ihrer Entlassung standen, war zu klären, ob und welche Hilfe sie brauchten, ob es Kontakte mit Familienangehörigen gab oder ob dieser herzustellen war, welche Kenntnisse und Fähigkeiten sie hatten. Vermittelt wurden die Frauen meist in die Landwirtschaft, in Haushalte oder ins Gastgewerbe, denn die Arbeit sollte möglichst mit einer Unterkunft verbunden sein, damit die Leute nach ihrer Entlassung wenigstens ein Dach überm Kopf hatten. „Die Gefangenen kamen damals ja von einem Tag auf den anderen aus der Haft und hatten nichts. Das war besonders für jene schlimm, die lange Haftstrafen verbüßt hatten.“

Bis zu zwanzig Frauen pro Zelle

In Maria Lankowitz gab es damals an die 300 Gefangene. Dorthin kamen Frauen aus ganz Österreich, die eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis lebenslänglich zu verbüßen hatten, darunter 40 Mörderinnen. Viele der Frauen waren unter extremen Belastungen und den außergewöhnlichen Bedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit zu ihren Taten getrieben worden. So beispielsweise wenn der verschollene Ehemann plötzlich auftauchte, die Frau in der Zwischenzeit eine Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann eingegangen war und der Totgeglaubte tatsächlich ins Jenseits befördert wurde. Die häufigsten Delikte, wegen denen die Frauen saßen, waren Eigentumsdelikte, Diebstahl, Betrug, Veruntreuung, Raub. Eine weitere Einrichtung war das so genannte Arbeitshaus. Dazu wurden vor allem Geheimprostituierte, Trinkerinnen, Süchtige und so genannte Vagabundinnen verdonnert. Schon bald stellte Hainisch fest, dass die Vielfalt in den Persönlichkeiten im Gefängnis genauso groß war, wie außerhalb.

Die Wohnverhältnisse der Gefangenen waren miserabel. Es gab Zellen mit Stockbetten und mit bis zu zwanzig Frauen, die zum Teil nicht einmal eine eigene Sitzmöglichkeit hatten. Die Exkremente mussten ausgekübelt werden, es gab nur eine Ofenheizung. Die Gefangenen arbeiteten in der hauseigenen Landwirtschaft, in der Küche, im Braunkohletagabbau und in der Werkstätte, wo vor allem geschneidert, gestickt und gestrickt wurde. Eine Beschäftigung zu haben, war für die Frauen, gerade auch unter den gegebenen Wohnbedingungen, sehr wichtig, meint Hainisch. Die dienstälteste der Justizwachebeamtinnen war „Mutter Tusch“. An sie erinnert sich Hainisch noch gut. „‚Mutter Tusch‘ hatte in der Monarchie noch als k. und k. Kerkermeisterin gedient und verlangte von den Gefangenen, dass sie sich vor allem im Bodenreiben bewähren. Als ich ankam, musterte sie mich von oben bis unten, und ich wusste, dass ich in der Anstalt nichts verloren hab‘, wenn ich mit der nicht gut auskomm‘.“

In der Schwarzau herrschte Befehlston

Der Wechsel in die Schwarzau Ende 1957 war für Cornelia Hainisch trotz besserer räumlicher Bedingungen und der größeren Nähe zu Wien ein Wechsel zum Schlechteren. Ihre Vorgesetzte war nun nicht mehr eine in Sozialarbeit ausgebildete und erfahrene Frau, die die Arbeit Hainischs anerkannte und unterstützte, sondern eine Juristin, die mit den Angestellten nur im Befehlston verkehrte. Noch schlimmer war deren Nachfolger, ein Verwaltungsbeamter, der mit Sozialarbeit überhaupt nichts am Hut hatte und die Ordnung zwischen den Gefangenen mithilfe gewalttätiger Häftlinge aufrechterhielt. In diesen Konflikten traten neben einer Geringschätzung der sozialarbeiterischen Tätigkeit auch jene Mängel zutage, mit dem viele so genannte Frauenberufe zu kämpfen haben: Das Aufgabengebiet war vielfältig, die Kompetenzen jedoch verschwommen und die Stellung der SozialarbeiterInnen innerhalb der Angestelltenhierarchie der Justizanstalt unklar.

Geändert hat sich das erst in den 70er Jahren, als eine Generation junger interessierter SozialarbeiterInnen nachkam, die sich auch beruflich organisierte und ihre Probleme auf jährlichen Tagungen diskutierte. So war es zum Beispiel ein Sozialarbeiter, der immer wieder darauf hinwies, wie wichtig es sei, dass die Gefangenen arbeitslosenversichert seien, eine Regelung, die später auch eingeführt wurde, erzählt Hainisch. 1979 wurde schließlich der Erlass der Richtlinien für den sozialen Dienst an Justizanstalten erreicht. Wenn Cornelia Hainisch heute auf ihr Berufsleben zurückblickt, dann sagt sie: „Ich bin dankbar dafür, dass ich in meiner Jugend auf einem damals so neuen Gebiet arbeiten konnte und – wenn auch räumlich entfernt – Kollegen und Kolleginnen hatte, die ebenfalls etwas bewegen wollten.“

* Der Augustin ist auch an Erinnerungen ehemaliger Häftlinge aus der Frauenstrafanstalt Maria Lankowitz interessiert. Betroffene können sich mit der Redaktion in Verbindung setzen.