Freie Fahrt für Obdachlose und SozialhilfeempfängerInnentun & lassen

Erster Erfolg unserer Aktion

Am 19. Mai überreichte der AUGUSTIN in einer vielbeachteten Aktion Finanzstadträtin Ederer über 5000 Unterschriften für „Freie Fahrt für Obdachlose und SozialhilfeempfängerInnen“. Jetzt ist ein erster (kleiner) Erfolg unserer Aktion zu melden.Bekanntlich haben viele SozialhilfeempfängerInnen als Folge des „Schwarzfahrens“ enorme Schulden (bis zu 6-stelligen Beträgen – der AUGUSTIN berichtete ausführlich darüber). Die Wiener Linien machen nun das Angebot einer Teilentschuldung. 60 bis 70 Prozent der Schulden können gestrichen werden.

Und so geht es vor sich: Die Betroffenen melden sich in den Einrichtungen, die für ihre Betreuung zuständig sind, bei ihren SozialarbeiterInnen. Diese setzen sich mit den Verkehrsbetrieben in Verbindung. Dort wird exakte Schuldenstand ermittelt. Es stelle sich nämlich heraus, so die Wiener Linien, daß die Schuldnerinnen und Schuldner die Höhe ihrer Schulden oft krass überschätzten. Ist die Schuldenhöhe festgelegt, wird der größere Teil der Schulden gestrichen. Über den Rest werden mit den Schuldnerinnen und Schuldnern Ratenvereinbarungen getroffen. Die Höhe der Ratenzahlungen setzen die Schuldner selbst fest.

Es ist erfreulich, daß sich die Wiener Linien zu diesem Schritt entschlossen haben. Es ist die erste positive Reaktion einer zuständigen Stelle auf unsere Aktion. Denn während die Aktion in der Bevölkerung und in den Medien auf breite Zustimmung stieß, haben wir bei den Ämtern zwar (immerhin) offene Ohren angetroffen, aber Handlungen sind bis jetzt nicht erfolgt.

Das Angebot der Wiener Linien ist aber, wenn keine zusätzlichen anderen Maßnahmen erfolgen, nur ein winziger Schritt, der die Misere keineswegs beendet:

Eine Teilentschuldung würde nur etwas bringen, wenn die Betroffenen dannach nicht mehr „schwarzfahren“ müssen. Solange SozialhilfeempfängerInnen den vollen Fahrpreis zahlen müssen, werden sich ein großer Teil von ihnen dazu nicht in der Lage sehen. Zur Erinnerung: Die Sozialhilfe beträgt zur Zeit öS 5.019,- für Alleinstehende und öS 7.407,- für Paare. Eine Monatskarte kostet öS 560,-.

Weiters sind von dieser Teilentschuldung nur die Schulden bei den Wiener Linien betroffen. Ein beträchtlicher Teil der angehäuften Schulden besteht aber Gerichts-, Exekutions- und Verfahrenskosten. Außerdem haben sehr viele SozialhilfeempfängerInnen auch Schulden bei der ÖBB vom „schwarzfahren“ mit der Schnellbahn. Für beides sind natürlich nicht die Wiener Linien verantwortlich. Für die Betroffenen ist das aber egal. Für sie ist wichtig, daß am Ende eine Entschuldung herauskommt, und daß sie sich in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht „durchschwindeln“ müssen.

Man darf auch nicht übersehen, daß das Angebot der Wiener Verkehrsbetriebe für sie ein günstiges ist. Schulden, die nicht einzutreiben sind, zu streichen, kostet nichts. Im Gegenteil: Über die Ratenzahlungen kommt sogar noch ein bisserl was rein. Für die Verkehrsbetriebe Peanuts, für die Schuldner weiterhin eine ziemliche Belastung. Der wahrscheinlich erwünschte Nebeneffekt: Wer sich auf den Handel einläßt, wird in Zukunft bemüht sein, immer mit Fahrschein unterwegs zu sein. Doppelter Verdienst also für die Wiener Linien. Neben dem finanziellen Aspekt spürt man bei den Wiener Linien auch immer einen „erzieherischen“ Aspekt: Nur ja keine Maßnahmen setzen, die womöglich irgendeine Gruppe zum „Schwarzfahren“ ermuntern könnte, etwa nach dem Motto: Mir sind Strafen egal, die werden dann sowieso gestrichen. Diese Angst ist verständlich, wäre aber mit einer sauberen Freifahrtregelung für Sozialhilfeempfänger aus der Welt zu schaffen. Eine weitere Angst der Chefs der Wiener Linen scheint zu sein: Obdachlose könnten mit einer Gratismonatskarte die öffentlichen Verkehrsmitteln als Daueraufenthaltsstätten benutzen. Hier liegt wohl einerseits eine starke Überschätzung der Gemütlichkeit der öffentlichen Verkehrsmitteln vor. Andererseits kann wohl jeder Fahrgast, der die Ordnung stört, verwiesen werden. Eine Unterscheidung zwischen Vollzahlern und Gratisfahrern in diesem Zusammenhang wäre absurd.

Da das Problem „Freie Fahrt“ und Schuldenfalle verschiedene Ämter und Ressorts betrifft (Wiener Linien, Finanzstadträtin, Sozialstadträtin, Gerichte) wäre es am sinnvollsten, wenn der Chef des ganzen, Bürgermeister Häupl, sich der Sache annimmt. Es kann der Sache nicht dienlich sein, wenn die Betroffenen von einer Stelle zur anderen laufen müssen, um ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen, und die diversen Ämter sich mit der Bemerkung „nicht zuständig“ abputzen können.

Noch einmal zu den Fakten: Es gibt in Wien ca. 120.000 Fälle von Sozialhilfeauszahlungen jährlich (Quelle: wien online), also duchschnittlich 10.000 im Monat. Wenn die Wiener Linien für diese 10.000 Menschen, die sich zu einem großen Teil zum „Schwarzfahren“ gezwungen sehen, einen Kostenersatz von ca. 200 Schilling erhielten, wären das ca. 24 Millionen Schilling im Jahr. Vermutlich wäre das ein Geschäft für die Wiener Linien, weil sie jetzt von dieser Personengruppe eher weniger lukriert. Dieser Betrag – das sind ca. 5 Prozent der Summe, die die Gemeinde an Sozialhilfe (ohne Dauerleistungsbezieher) jährlich ausgibt – könnte aus dem Sozialressort überwiesen werden. Die SozialhilfeempfängerInnen könnten unbürokratisch beim Abholen der Sozialhilfe eine Gratismonatskarte bekommen. Um Mißbrauch zu vermeiden, könnte diese Monatskarte mit einem Foto versehen sein. Der bürokratische Aufwand wäre gering, die Kosten keineswegs astronomisch, und das Problem wäre gelöst.

Uns ist auch jede andere Lösung recht, die zu dem selben Ergebnis führt: Freie Fahrt für Obdachlose und SozialhilfeempfängerInnen.

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