Fremdenrecht ist grauslicher als die Polizei erlaubttun & lassen

Ute Bock im Interview

Vergangenes Jahr war die Flüchtlingshelferin Ute Bock gleich zweimal auf der Kinoleinwand zu sehen: Die Filme Bock for President und Die verrückte Welt der Ute Bock stammten von ihrem Neffen und Filmemacher Tom-Dariusch Allahyari. Jetzt gibt es die Ikone der Zivilgesellschaft auch in Buchform. Die Ö1-Journalistin Cornelia Krebs lässt in ihrem Portrait über Ute Bock vor allem die Flüchtlingshelferin selbst zu Wort kommen. Anlässlich dieser Publikation hat der Augustin Ute Bock ebenfalls zum Interview gebeten. Lesen Sie hier den Volltext.Im Buch schildern sie Ihre Kindheit und ihre Eltern. Von denen haben Sie die Nächstenliebe scheinbar nicht geerbt (Ute Bock lächelt) Ist dieses Engagement aus dem Vorsatz entstanden, es einmal besser zu machen?



Nein, das war nicht so. Ich bin nach Biedermannsdorf gekommen, weil ich eben arbeiten habe müssen, ganz normal. Ich habe überhaupt keine Ahnung gehabt, was ich dort tue, ich habe gar nicht gewusst, dass es so etwas gibt. Und dann habe ich gesehen, wie arm die Kinder dort sind. Und das hat mich halt wahrscheinlich bewogen, weil sonst hätte ich mich halt in die Verwaltung versetzen lassen. Das war ein sehr schwerer Dienst. Wir hatten so ein Rad, ich habe jeden zweiten Tag durchgeschlafen, wenn ich daheim war. Ich war fix und fertig. Und ich bin dort nicht weggegangen, weil ich mir gedacht habe: Das gibts doch nicht, dass es Kindern so geht! Also, die waren furchtbar arm, die Kinder. Ich habe dort eine Gruppe gehabt mit 32 Buben, so zwischen zwölf und 15, natürlich schwierig, mit Misshandlungen aus der Familie, die waren halb erschlagen dort draußen, furchtbar Und eben deshalb: Da habe ich mir gedacht, da muss man ein bisschen etwas verändern. Und das ist mir geblieben.

Sie sind selber nicht unter rosigen Bedingungen aufgewachsen. Sie kennen den Spruch Asylwerber sollen froh sein, dass sie da sind und sich nicht beschweren zur Genüge. Viele Menschen Ihrer Generation denken so

Na sicher, das ist entsetzlich. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist es furchtbar, dass die ununterbrochen froh sein müssen und dankbar (lacht) für alles das ist unglaublich! Ich kriege hier Sachspenden, da kriege ich Sachen herein, bitte, da geniere ich mich, wenn ich es in den Mistkübel schmeiße Da müssen wir froh sein darüber Müssen froh sein drüber, sollen froh sein Die haben eh nix sonst

Sie sprechen wörtlich davon, dass Sie nicht genau wissen, wo sie sich diesen Vogel eingefangen haben. (Ute Bock lächelt) Ist Solidarität ein menschlicher Defekt?

Ich weiß es nicht, ich bin nicht so was weiß ich -, dass ich gleich zerrinne oder so. Ganz sicher nicht. Ich weiß es nicht Ich weiß nicht, was es wirklich ist, aber es ist eigentlich das, dass ich es nicht wahrhaben will. Also erstens: Mir kann es nicht gut gehen, wenn ich weiß, da auf der Vis-a-Vis-Seite liegt einer im Straßengraben und verhungert gerade. Also das so ist es, bitte! Zu mir kommen Leute, die nichts zum Essen haben. Da kommen Leute Ich war am Yppenmarkt. Da hat die Caritas eine Halle, wo sie was weiß ich Filme vorführen, Veranstaltungen machen Die wird verwaltet von einem Türken, den ich kenne. Dem habe ich irgendwann einmal etwas Gutes getan. Ich kann mich nicht mehr erinnern, aber jedes Mal wenn ich dort bin, redet mich der an. Und der erzählt mir, auf dem Yppenmarkt, dort sind ja lauter Stände. Am Abend schlagen sie die Stände zusammen und werfen Planen drüber und darunter liegen Obdachlose. Er sagt, auf dem Yppenmarkt mindestens 50 Obdachlose. Bulgaren und Rumänen. Das kann es nicht geben, bitte! Das war noch nicht einmal 45 so. Warum sind wir so grauslich? Was ist da los? Ja, sollen halt zuhause bleiben? Wenn die irgendwie könnten, würden sie zuhause bleiben, glaube ich. Ich meine, es wird schon welche geben, die aus Jux und Tollerei einmal schauen, wo es woanders einmal ausschaut. Aber die meisten bitte, die müssen alles zurücklassen; die Eltern, die Familie, die Freunde, Schulkollegen was auch immer und gehen da her, weil sie glauben es ist besser: Und dann erleben sie das dann schlafen sie unter einer Plane am Yppenmarkt.



Zurück zur Frage: Ist Mitmenschlichkeit ein Defekt?



Nein, aber so irre wie ich macht das sicher nicht jeder. Das sage ich auch immer: Es soll jeder in seinem Umfeld ein bisschen etwas dazu beitragen, dann gehts eh Dass ich da so verrückt geworden bin weiß ich nicht, Schicksal (lacht)

Wenn Ihnen jemand Geld stielt, dann ärgern Sie sich bestenfalls darüber, dass sie es nicht gut genug verstaut haben. Nachvollziehbar nennen sie das Verhalten des Diebes oder der Diebin. Wie kann man ein derartiges Verständnis anderen näher bringen, die das nicht so sehen?

Es ist halt so, ich habe sicher auch ein Leben lang gebraucht, bis ich zu dieser Einstellung gekommen bin. Aber das ist so. Mir ist es in der Zohmanngasse passiert: Der Briefträger kommt und bringt mir von irgendjemanden ein Geld. Ich übernehme das, unterschreibe, und schiebe es unter eine Mappe, weil im Haus ein Wirbel ist, gehe raus, und schaue. Wie ich zurückkommen, ist das Geld weg. Warum lege ich es dort hin? Ich weiß, dass dort 80 Leute wohnen, von denen 70 mir das Geld wegnehmen wollen. Also, was soll das? Ich bin selber schuld! Das ist so Es ist halt, wenn es Menschen so schlecht geht, dann hört sich das auf mit Moral und was weiß der Teufel, weil bevor er irgendwo still verhungert, wird er etwas tun, je nach Mentalität. Der eine fladert halt ein Packerl Wurst beim Billa und der andere haut irgendeiner Alten über den Schädel und nimmt ihr die Rente weg. Es ist so. Die Menschen sind so. Ich kenne niemanden, der sagt: Okay, jetzt bekomme ich nichts mehr, ich verhungere. Aus. Wiederschaun. Setzt sich wohin und stirbt still. Das gibts nicht. Also jeder schaut, dass er irgendwie überlebt. Dass das in Zeiten wie diesen so notwendig geworden ist, finde ich katastrophal.

Wir haben vorher über Ihr Verständnis gesprochen. Gibt es etwas, was die Ute Bock unheimlich ärgert?

Naja, die Obrigkeit, die das alles abstreitet, dass es das gibt. Bei und geht es allen gut, und was weiß ich Wir haben so gute Erfahrungen mit Tschetschenien. Die Leute gehen scharenweise zurück. Es geht Ihnen gut, sie sind glücklich Eine Woche später sind sie tot. Die streiten das einfach ab. Und ich weiß jetzt noch nicht, was da herausgekommen ist. Sie [Anm.: Innenministerin Maria Fekter] hat ja mit Moskau einen Deal gemacht. Das ist sicher nichts Gutes

Und bei den Leuten, denen Sie helfen. Sind da manchmal Grenzen für Sie erreicht?

Naja, sicher gibt es das. Die versuchen schon alles Mögliche Na, fürchterliche Sachen gibt es. Ein Serbe kommt aus Deutschland mit der ganzen Familie und hat Null. Kommt da her und sagt Ich brauche Er hat schon eine Arbeit, er braucht nur das und das, für ein paar Tage, ob ich ihm ein Geld gebe… Er hat ausgemacht mit dem Arbeitgeber, dass er ihm das gleich bevorschusst Und jetzt kommt er jeden Tag mit einem anderen Schmäh. Er hat jetzt eine Wohnung gefunden und braucht jetzt 5.000 Euro für die Kaution und so da sag ich schon nein. (lächelt)

Eigentlich übernehmen Sie Aufgaben des Staates. Müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie das System unterstützen, wenn Sie Härten abfangen?

Es ist falsch, ja. Man sollte jeden, der dort kommt, ins Innenministerium schicken und sagen, was soll ich jetzt machen? Von was soll ich jetzt leben? Aber, ja Wir sollten halt unseren internen Krieg nicht auf dem Rücken von denen austragen. Das mache ich nicht. Also wenn ich irgendwie kann, dann helfe ich schon.

Sie sagen im Buch, dass schon längst keine Hilfe mehr möglich wäre, wenn sich nicht immer wieder Beamten gegen das System stellen würden. Ist der Exekutive das immer grauslicher werdende Fremdenrecht auch schon zu viel?

Ja. Ja, das glaube ich. Nicht allen, aber einem Großteil. Das Verständnis bei der Polizei ist noch viel größer als vor drei, vier Jahren. Es ist ihnen eben auch zu viel. Mich hat gerade einer [Anm.: ein Polizist] angerufen, heute Vormittag, ich habe eine Wohnung im fünften Bezirk, und sie haben einen Bescheid da liegen, den soll er [Anm.: ein Asylwerber] sich abholen. Und sie haben ihm das in den Briefkasten reingehaut. Er kommt nicht, weil er sich fürchtet. Ich müsste das eigentlich heute zurückschicken, aber ich hebe es noch ein paar Tage auf, schauen Sie, vielleicht können Sie ihn herschicken. Das war früher nicht möglich. Was? Der kommt nicht? Geschieht ihm Recht und so Also ganz recht ist ihnen das nicht. Ich habe da oben im Stock gehabt, eine Großmutter, Mutter und Tochter, die Großmutter im Rollstuhl, in derselben Wohnung ein Ehepaar mit vier Kindern. Ein Polizist kommt und sagt: Ich muss der Frau eine Ladung zustellen, die muss sie vor mir unterschreiben. Ich sage: Ja, gehen wir hinauf. Ich habe mir gedacht, ich gehe mit, damit da nichts Blödes passiert. Die haben eine Gang-Küche, das Fenster ist nur angelehnt und ich tauche so das Fenster auf, und genau vor dem Fenster auf dem Sofa sitzen die vier Kinder und schauen gegenüber in den Fernsehapparat und auf der anderen Seite sitzt die alte Frau. Und ich sage: Sind sie so lieb? Sie müssen das nur unterschreiben, dass Sie das bekommen haben Die Kinder schauen, sehen den Polizisten und alle vier fangen zum Brüllen an. Und dann gehen wir hinunter und dann sage ich: Was sagen Sie zu so etwas? Ich habe in der Schule gelernt: Die Polizei, dein Freund und Helfer Glauben Sie, dass eines von diesen Kindern zu Ihnen kommt, wenn es etwas braucht? Sicher nicht, das kann nicht der Sinn sein Ja, ja, wir haben uns von dem schon lange entfernt. Also, das war dem auch nicht recht, das war ihm richtig peinlich Und solche Sachen erlebe ich eigentlich immer öfter, dass die sagen: Nein, Blödsinn, Für was? Nämlich so unnötige Grausamkeiten Da habe ich einen, der war gestern da, der hat eine Strafe ausständig und zwar, weiß ich nicht, für was falsch Parken, weiß der Teufel jedenfalls einer, der auch nichts hat Oder er hat sich im falschen Bezirk aufgehalten. Solche Strafen gibts. 1.400 Euro. Bitte, das hat der nie im Leben. Was macht er? Er macht ein Ratengesuch und das lehnen sie hab. Es ist sofort exekutierbar Was wollen Sie denn exekutieren? Die Schuhe? Was wollen sie ihm denn wegnehmen? Warum, nicht? Wenn ich dem sage: Zahle es, wie du willst nur zahle! Ich sage immer: Zahle einmal etwas weg, damit die deinen Zahlungswillen sehen, und immer, wenn du etwas hast, schick Ihnen etwas. Aber so muss man nicht umgehen Das kann doch dem Beamten bitte wurscht sein, ob der das kleinweise zahlt oder auf einmal?



Als der Verein 2008 in finanziellen Schwierigkeiten war, hat Ihnen Hans Peter Haselsteiner finanziell unter die Arme gegriffen, Ihnen aber gleichzeitig auch eine organisatorische Hilfe zur Verfügung gestellt. Fühlten Sie sich an die Zohmanngasse erinnert, wo man Ihnen nach der Operation Spring einen Direktor vor die Nase gesetzt hat? Wie läuft das jetzt?

Mir ist es im Grunde egal. Der soll halt schauen, dass ich nicht zu üppig werde. Ich weiß eh, dass ich sparen muss und dass es sich hinten und vorne nicht ausgeht. Es ist so. Ich bin zwar wesentlich bekannter geworden, ich bekomme wesentlich mehr Spenden, aber es kommen auch viel mehr Leute, die etwas brauchen. Ich versuche halt, das möglichst gerecht zu machen. Ich bilde mir ein, ich erkenne, wenn mich jemand über den Tisch ziehen will. Es wird mir auch hin und wieder etwas passieren, keine Frage Aber ich versuchs halt Mir ist es ganz wichtig, dass Ausbildungen bezahlt werden, weil das ist etwas für die Zukunft, weil ich auch glaube, dass man den Schwachsinn, den es jetzt gibt, nur mit Ausbildung bekämpfen kann. Ich sage immer, wenn ein Tschetschene hier studiert hat, wird er kein Interesse mehr haben, einen Prügel in die Hand zu nehmen, nach Tschetschenien zu gehen und einen Russen zu erschlagen, oder? So ist es Ja, und darum, ich zahle x Vorstudienlehrgänge, damit die studieren können. Ich versuche, die Deutschkurse zu unterstützen, Hauptschul-Abschlusskurse, nur, damit die etwas tun. Und total verkehrt ist das, was wir machen, dass wir ihnen keine Ausbildung geben. Die gehen in die Schule, bis die Pflichtschule abgeschlossen ist und dann dürfen sie nichts mehr machen Das ist verkehrt Wahnsinnig gescheite Kinder, wirklich unglaublich! Keine Ahnung Ich hätte das nie geglaubt Da kommen zwei so Gschroppen herunter, der eine ist sieben, der andere ist acht, tadelloses Deutsch, die ganze Familie gar nichts. Die zwei: (Pfeift) Die Katze liegt da oben in dem Kistl, da auf dem Tisch Der kleine kommt und er will die Katze streicheln. Er hat in Tschetschenien auch eine Katze gehabt und die hat er dort lassen müssen und er weiß gar nicht, wie es der geht und so also er möchte die Katze streicheln. Und dann ist die so hoch oben gewesen, dass er nicht raufgereicht hat. Und dann sagt er zu mir: Ich würde mir wünschen, dass die Katze zu mir herunterspringt. Haben Sie das schon einmal gehört, von einem Österreicher? Ich würde mir wünschen? Also die sind wirklich begabt und ich glaube, dass das auch so ist, weil sie unter so schwierigen Verhältnissen leben. Sie müssen sich viel selbst organisieren, was bei uns Eltern machen. Das sage ich immer, wenn ich in der Schule bin: Du wirst in der Früh geweckt, dann bekommst du das Frühstück hingestellt, dann bekommst du das Jausenbrot in die Hand gedrückt, dann wirst du in die Schule geschickt, dann wirst du wo möglich abgeholt oder musst dann und dann zuhause sein Dann darfst du dich ein bisschen erfangen, dann bekommst du ein gutes Mittagessen und dann machst du deine Schulaufgaben. Da sitzt wer dabei, damit nichts danebengeht, dann darfst du Fernsehen oder was auch immer Der muss sich das alles selber organisieren, weil die Alten haben ganz andere Sorgen, denen ist das wurscht. Die zwei Buben, die ich da habe, da sind oben die Großeltern, ein Onkel, der Vater und wirklich Alles, was Gott verboten hat! Die Kleinen sind alleine da draußen am Platz, niemand kümmert sich Zu Mittag sehe ich sie, wenn sie kommen von der Schule, frage ich: Hast du schon die Aufgaben gemacht? Nein, die mache ich erst am Abend. Kein Mensch schaut und sie machens, und sie kümmern sich nicht darum Da habe ich eine Familie oben gehabt, auch mit vier Kindern. Und die Lehrerin hat gesagt die sind dort hinten in die Schule gegangen Die Kinder machen sehr brav die Schulaufgaben. Sie sind also sehr brav, aber die Schulaufgaben von der Kleinen macht die Große (lacht) Die macht die Aufgaben für sie, weil die kennt sich nicht aus, erklären kann sie es nicht, jetzt macht sies Aber das ist, weil halt keine Aufsicht da ist und nichts Aber die sind eben wesentlich selbstständiger. Die lernen unter den schwierigsten Umständen. Also, ich weiß von den organisierten Unterkünften, wo die Kinder am Erdboden, also am Fußboden die Aufgaben machen Weil kein Tisch da ist, weil es zu eng ist, weil es zu laut ist Und so

Um auf Hans Peter Haselsteiner zurückzukommen: Damals gab es gegen ihn Korruptionsvorwürfe wegen Bauprojekten in Osteuropa. Ist es Ihnen egal, wo das Geld herkommt?

Ja, mir ist es wurscht. Weil er wird es haben, und wenn er es nicht mir gibt, gibt er es jemand anderen Da ist es mir lieber, er gibt es mir (lacht) Nein, das ist lächerlich, das ist nicht meine Aufgabe. Wenn der etwas macht, was nicht in Ordnung ist, dann haben wir ein Gericht und eine Polizei. Der ist mir ja keine Rechenschaft schuldig, wo er es her hat. Ich bin gleich angerufen worden, wie ich das bekommen habe, ob ich mich nicht geniere, dass ich von dem ein Geld nehme, weil der Und dann habe ich gesagt: Wenn ich rüber gehe zum Billa und kaufe einen Liter Milch, und bei der Kassa sagt die: Hören Sie, ich habe in der Zeitung gelesen, Sie haben kein Geld. Wo haben Sie denn das Geld hergenommen?, bin ich auch grantig. Ich bin auch angerufen worden, wie er in Ungarn da diese Autobahnbauten da übernommen hat, dass er was weiß ich die Regierung oder irgendwen bestochen hat, habe ich gesagt: Vielleicht hat er bestochen, aber er hat tausenden Arbeitern den Arbeitsplatz erhalten, oder? So kann man es auch sehen

Ihr Neffe beschreibt ihr Engagement in diesem Buch als religions-, philosophie- und politikfrei. Wie macht man das?

Das weiß ich nicht (lacht).

Wie halten Sie es mit Religion, Philosophie und Politik?

Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden gibt, der das schafft, was die Welt ist und dann zuschaut, wie sich seine Schöpfung gegenseitig erschlägt. Also, für mich ist das nicht nachvollziehbar. Auf der anderen Seite: Ich weiß es nicht. Ich kenne keinen, der zurück gekommen ist und mir das erzählen hätte können. Ich denke mir, es wird sicher etwas geben, aber es ist nicht so, wie wir uns das vorstellen. Aber ich habe immer in der Zohmanngasse gesagt: Da oben, auf der Wolke Sieben, da sitzt unser lieber Gott, euer Allah, euer Jehova, euer Buddha. Die sitzen nebeneinander und schauen runter zu uns und sagen: Schau, wie die deppert sind, da unten! (lacht) Afrikaner sind sehr religiös. In der Zohmanngasse, die Nigerianer, die ich gehabt habe, die waren den ganzen Sonntag in der Kirche. Die gehen dorthin, da ist zuerst die Messe, dann wird gegessen dort – was weiß ich – dann wird Musik gemacht und getanzt – was weiß ich. Die verbringen den ganzen Tag in der Kirche und für die Leute ist das sicher eine Stütze, das ist okay. Trotzdem glaube ich nicht, dass der Liebe Gott schaut, was ich mache und mich dann straft. Meine Mutter war überhaupt nicht religiös, und immer, wenn etwas war, Das ist die Strafe Gottes, hat sie gesagt, das habe ich immer noch in mir. Und ich habe das immer noch, dieses Gefühl, wenn ich einmal wo schlampig bin oder etwas nicht gescheit mache, weil ich zu faul bin oder so, mache ich es dann trotzdem, weil ich mir dann denke: Strafe folgt am Fuß. Das ist mir so eingeimpft worden, das legt man nicht mehr ab, das ist witzig Also ich glaube nicht, dass der Liebe Gott schaut, dass ich wirklich alles ordentlich mache und dann gleich straft. Da hätte er viel zu tun. Aber irgendwo habe ich das in mir: Das mag ich eigentlich heute nicht mehr machen, es ist schon so spät, aber ich machs Strafe folgt am Fuß



Als ehemalige Heimleiterin: Wie beurteilen Sie die aktuelle Debatte um Misshandlungen?

Ich habe es auch selber erlebt, nur muss ich dazusagen: Es war auch früher üblich, dass man auch maßgeregelt worden ist. Das war nicht nur im Kloster. Das war eben so. Ich kann mich erinnern, da war ich schon lange im Dienst, wie diese Kampagne gegen die so genannte Gsunde Watschn war. Da ist gestritten worden, ob das wirklich gut ist, ob man das Recht hat, dem Kind eine Ohrfeige zu geben, weil es heilsam ist. Die Gsunde Watschn hats geheißen. Und auf der anderen Seite muss ich sagen. Wenn ich dem einmal eine Verkehrte gebe, also nicht misshandle, dass der dann mit einem Nasenbeinbruch herumrennt, aber wenn er einmal eine Verkehrte bekommt, wenn er einmal frech ist oder so, ist das sicher nicht so grauslich wie wenn ich ihn 14 Tage nicht ansehe. Also, diese Grausamkeiten, die kann man überhaupt nicht regeln. Weil ich kann niemandem vorschreiben, ob er mich anschaut oder nicht, aber das ist für Kinder viel schlimmer wie wenn er einmal eine Verkehrte bekommt.



Es gibt also nicht nur die physische Misshandlung



Ja, sicher, und das, was die da jetzt machen, dass sie jemanden aus der Klassengemeinschaft ausschließen und solche Dinge, das ist sicher viel grauslicher

Als ehemalige Jugendpädagogin: Warum ist es in diesem Land so schwer, Jugendliche vor der Gewalt ihrer Eltern zu schützen? Warum trägt nie jemand Verantwortung, wenn wieder einmal ein Kind zu Tode geprügelt worden ist?



Ja, ich weiß nicht. Ich will das nicht so Ich komme ja vom Jugendamt, ich habe für das Jugendamt gearbeitet. Aber ich muss sagen, das hat sich so verändert. Ich sage immer: Früher hat man gesagt die Großjährigkeit ist jetzt 18, wie ich angefangen habe, waren es 21, jetzt sind es 18. Früher hat man gesagt, Gott sei Dank, der ist noch nicht großjährig, da können wir noch etwas machen Heute sagt man: Gott sei Dank, der ist bald großjährig, da brauchen wir nichts mehr machen Das ist der Unterschied. Die erste Überlegung, wenn so etwas ist: Vielleicht ist wer anderer zuständig Das ist wirklich furchtbar. Das geht aber quer durch alle Ämter. Aber, beim Jugendamt ist es halt besonders furchtbar. Und sie haben die ganzen Einrichtungen geschlossen. Die Zohmanngasse steht leer, die Aichhorngasse steht leer, die Hohe Warte steht leer, Eggenburg ist fast leer. Haben wir keine Kinder mehr, die das brauchen? Gehen Sie über die Mariahilferstraße, da gehen die zwölfjährigen mit der Bierdose herum und lallen. Super

Alle, die über Sie gesprochen haben, wünschen der Ute Bock ein langes Leben, weil es keine zweite Ute Bock geben wird.

Das glaube ich auch nicht. (lacht)

Aber was passiert wirklich, wenn Sie einmal nicht mehr können?

Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass das vorher so ist, dass es nicht mehr notwendig ist. Das ist eigentlich das Ziel. Ich hätte gerne, dass hier eines Tages die Polizei herein kommt und sagt: Was machen Sie da? Es kommt ja eh schon seit zwei Jahren niemand mehr her (lacht)

Sie sagen im Buch, dass die Schlagfertigkeit im Alter schlimmer wird. Was kommt noch auf uns zu?

(Lacht) Was soll ich denn jetzt sagen? Wissen Sie, ich war in diesem Heim mit lauter Jugendlichen. Und wenn Sie mit Jugendlichen zu tun haben, Sie bekommen auf alles, was Sie sagen, eine blöde Antwort. Und ich habe mir dann angewöhnt, dass ich eine noch blödere gebe, damit sich der auch ein bisschen ärgert, nicht nur ich. Es muss so sein, dass sich der andere ärgert. Ich weiß nicht, es ist mir früher nicht so aufgefallen, aber jetzt fällt es mir erst selber auf. Ich weiß nicht, ob Sie den Film gesehen haben, aber der Sandler da draußen, im Stiegenhaus Ich schiebe die Kübeln gerade hinaus, weil die MA 48 fürchtet, dass, wenn die Beamten da durchgehen, das Holzgestell da runter kommt. Da habe ich gesagt zu ihm: Ich habe mir mit dem Lieben Gott ausgemacht, wenn das runterkommt, dass ich darunter stehe. Das hat er mir nicht geglaubt (lacht). Jetzt ziehe ich jede Woche diese Kübeln hinaus. Ich ziehe die Kübeln hinaus, stelle sie auf den Gang, dann mache ich die Tür zu, damit die Katze nicht herauskommt und dann stelle ich es vom Gang heraus auf die Straße. Ich ziehe gerade den dritten Kübel heraus. Vorne kommt einer herein, macht den Deckel auf und franzt den Dreck heraus. Da sage ich: Was machen Sie denn da? Was geht denn das dich an?, sagt der. Das geht mich so viel an, dass ich das wieder einräumen muss, was Sie rausschmeißen Oida, wos willst, Oide? Stirbst eh nächste Woche Habe ich gesagt: Nächste Woche, aber jetzt bin ich da und jetzt gehst du hinaus. (lacht). Jeder andere ist beleidigt, wenn ihm so etwas passiert, mir ist das wurscht, mir ist das egal. Wenn ich sterbe, was soll ich da dagegen tun? Also, solche Sachen. Aber irgendwie ziehe ich so etwas an. Das passiert nur mir. Ich merke das immer wieder.

Ich sage danke für das Interview, es sei denn, Sie wolle noch etwas sagen



Nein, gar nicht, ich muss nur immer wieder quatschen, damit das am Kochen bleibt. Ich gehe in die Schulen, ich werde eingeladen, ich diskutiere mit den Kindern. Das ist lieb. Kinder sind herrlich. Gestern war ich in Illmitz, hat einer gesagt zu mir: Von was ich denn eigentlich lebe, ob ich auch von den Spendengeldern lebe Habe ich gesagt: Heast, ich habe mein ganzes Leben gearbeitet, ich habe eine wunderbare Pension von der Stadt Wien. (lacht) Der wollte das wissen. Da hört man genau, dass die sagen, Die näht sich das Geld ein. Ist es nicht so? Das haben sie zuhause gesagt. Was willst du, die näht sich doch die stehlen doch alle, bei diesen Einrichtungen Die sicher auch. Darum hat der gefragt, von was ich lebe Das ist witzig, aber die Kinder sind lieb. Da war ich in einer Schule, in der Rahlgasse oder so. Da ist einer gekommen, er möchte hier mithelfen, was er machen kann. Der kommt her, 15 Jahre, das ist lieb. Irgendwas kann man ihm sicher anschaffen, aber das ist gut. Darum renne ich überall hin, es ist entsetzlich. Das ist furchtbar anstrengend, aber ich glaube, dass es wichtig ist. Die Kinder sind die Hoffnung. Wir alten sind total Die alten Leute, die das Grausliche von dem Krieg erlebt haben, was ist mit denen los? Da erzähle ich immer. Da ist der Bettler daneben vor dem Billa. Da gehe ich auf die Straße raus, geht eine alte Dame keine Frau, eine Dame! Schwarzer Mantel, Hut – was weiß ich – Beamtenstand oder so etwas mit Stock, geht da vorbei, ich gehe über die Straße. Wie sie bei dem Bettler vorbei geht, sagt sie Schleich di, du In diesem Ton Ich habe mich umgedreht. Ich habe geglaubt, ich habe irgendjemanden in der Gasse übersehen, weil ich gar nicht gewusst habe, dass die so etwas herausbringt. Jetzt bitte: Was hat die für einen Hass in sich, dass die das macht? Wenn ich den nicht will, dann gehe ich vorbei und aus. Nein, schimpfen muss sie ihn! Und der ist Gott sei Dank nicht integriert und versteht auch gar nicht, was sie gesagt hat. (lacht) Naja, aber den Ton spürt er schon, wenn die da so hin beißt Aber trotzdem. Manchmal ist es ganz gut, dass die nicht alles verstehen

Danke nochmals für das Gespräch!

Klappern gehört zum Geschäft

INFO:

Literaturtipp:

Cornelia Krebs: Ute Bock Die Geschichte einer Flüchtlingshelferin. Molden-Verlag. Wien 2010.