Fünfzigtausend Gründe, warum Integration Einmischung heißttun & lassen

Keivan Amiri gibt nicht nur dem Taxistreik ein Gesicht

Richtige Integration heißt, sich engagieren, sagt Keivan Amiri. Am Tag des Akademikerballs hat er «fünfzigtausend Gründe» gefunden, nicht zur Hofburg zu fahren. Aber auch sonst ist er ein Umtriebiger, der zwischen Teheran und Neuburg, zwischen Taxifahren und Kammerwahlen für Gerechtigkeit sorgen will. Kurto Wendt hat Keivan Amiri gefragt, wie er wurde, was er ist – und Michael Bigus hat das «Gesicht des Taxistreiks» fotografiert.Der Taxistreik gegen den Akademikerball sorgte für großes mediales Aufsehen. Wie viele Lenker_innen sich an der Weigerung, am 30. Jänner zur Hofburg zu fahren, letztlich beteiligt haben, bleibt unklar. Dutzende wohl, aber nur wenige hatten auch den Mut, sich öffentlich zu zeigen. Der Druck der Arbeitgeber_innen und der Innung, aber auch rechtsextreme Drohungen ließen viele ihren Protest zum Ausdruck bringen, ohne sich zu zeigen. Einer, der ganz offen darüber sprach und zum Gesicht des Streiks wurde, ist Keivan Amiri, seit einem Jahr als Taxifahrer Einzelpersonenunternehmer. Mit einigen Kollegen kandidiert er Ende Februar bei den Wirtschaftskammerwahlen auf der fortschrittlichen Liste «Yusuf Celik», um auch die Arbeitsbedingungen der Taxilenker_innen zu verbessern.

Keivan Amiri studierte in Teheran Psychologie und Wirtschaftswissenschaften und war als Mitglied der kommunistischen Partei sowohl unter dem Schah-Regime als auch nach der islamischen Revolution 1979 längere Zeit im berüchtigten Evin-Gefängnis inhaftiert. 1987 erhielt er wieder eine «Einladung, sich in Evin vorzustellen», wie es hieß, und beschloss daraufhin gemeinsam mit seiner Frau, das Land zu verlassen. Er war damals internationaler Handelsleiter einer Zellulosefabrik mit guten Kontakten zu rumänischen, bulgarischen, ungarischen, jugoslawischen und österreichischen Firmen. Mit einem Visum für Rumänien kam er über Ungarn nach Jugoslawien, ein Visum nach Österreich wurde ihm trotz Kontakten zur Firma Heinzel verwehrt. In der Toilette eines Hotels in Maribor konnte Amiri einen Schlepper von 600 auf 300 Dollar runterhandeln, der die beiden sicher über den dicht verschneiten Poßruck-Sattel nach Graz brachte.

Die erste Akademikerin von Neuberg

Im Flüchtlingslager Traiskirchen wurde Amiri wegen seiner perfekten Englischkenntnisse sofort als Dolmetscher eingesetzt. «Täglich acht bis neun Stunden hab ich übersetzt und keinen Schilling dafür bekommen, das war harte Arbeit, für die Polizei aber eine Selbstverständlichkeit.» Nach siebzehn Tagen wurden sie in ein abgelegenes Flüchtlingsheim in Altenberg an der Rax gebracht. «Hinter dem Haus begann der Dschungel», meint er amüsiert. 1989 war es Asylwerber_innen bereits nach drei Monaten erlaubt zu arbeiten. Amiri fand schnell Arbeit bei den Bundesforsten, danach in der Gemeinde Neuberg, in einem Sägewerk und später in der Firma Minka, wo er sehr bald auch als Arbeitervertreter fungierte. Seine Frau arbeitete in der Gastronomie und studierte nebenbei in Graz Pharmazie. «Sie war die erste Akademikerin in der Gemeinde», meint Amiri schmunzelnd. Er selbst absolvierte neben der Arbeit noch die Fachschule für Telekommunikationstechnik in Fohnsdorf, fand aber 42-jährig, trotz mehr als fünfhundert Bewerbungen keinen Job in dem Bereich.

Nachdem die ausgebildete Pharmazeutin eine Anstellung in einer Apotheke in Wien fand, begann sie täglich zu pendeln. Ein Freund bot Keivan Amiri an, für ihn Taxi zu fahren. Fünf Jahre lang verbrachten die beiden fünf Tage die Woche jeweils fünf Stunden gemeinsam in Bus und Zug. Sie waren von vier Uhr morgens bis neun Uhr abends unterwegs. Nach der Matura des Sohnes und seinem Entschluss, in Wien zu studieren, übersiedelte die Familie gemeinsam, ohne die Zelte in Neuberg/Mürz ganz abzubrechen. «Wir haben dort ein kleines Häuschen mit Garten, es ist wunderschön, die Leute kennen uns, ich war dort ja sogar Ersatzgemeinderat», schildert Amiri.

Taxifahrer, die den Mund nicht halten

Sich für Gerechtigkeit engagieren ist für Keivan Amiri die eigentliche Integration. Bei seiner Firma setzte er sich dafür ein, dass alle Arbeiter_innen angemeldet werden, und wurde gekündigt. Jetzt will er die Arbeitsbedingungen der Taxilenker_innen in Wien verbessern: «Die Wirtschaftskammer macht nix und die Gewerkschaft auch nicht», stellt er fest und vermutet an manchen Stellen auch Korruption als Ursache dafür. «Wenn wir gewählt werden, können wir das alles beweisen.»

In Wien gibt es fünftausend Taxis, genau so viele wie in der Sechzehnmillionenstadt New York. «Es gibt Firmen in Wien, die vierhundert Taxis angemeldet haben, dann in Konkurs gehen und im nächsten Monat wieder aufsperren. Da stimmt doch was nicht, oder?» meint Amiri, der als Einzelpersonenunternehmer sechzig Wochenstunden arbeitet, um davon leben zu können. Einen Kollektivvertrag gebe es zwar, aber kaum jemand in Wien sei angestellt. «In anderen Bundesländern läuft das anders.» Amiri will Kammer und Gewerkschaften in die Pflicht nehmen, dies zu verbessern. Auch die Polizeikontrollen haben sich in den letzten Jahren verdoppelt. «Ich hab einer alten Frau, die aus dem AKH kam, den Koffer in den zweiten Stock getragen und bin fünf Minuten in zweiter Spur gestanden. Die 55 Euro Strafe dafür sind ein halber Tageslohn. Warum wird Hilfsbereitschaft bestraft?»

Was viele Taxilenker_innen seit Jahren machen, sprachen heuer einige von ihnen offen aus. «Wir fahren nicht zum Ball der FPÖ in die Hofburg.» Sie stellten ihre Taxis am 30. Jänner einfach zu Hause ab und riefen alle anderen auf, es ihnen gleich zu tun. Die häufigste Frage, die Keivan Amiri bei Interviews gestellt wurde, war, ob es denn keine Beförderungspflicht gebe. Darin versteckt war auch immer das Erstaunen, dass eine Berufsgruppe mit hohem Migrant_innenanteil, deren Image es ist, zu dienen, es wagt, sich politisch zu äußern. Die Beschimpfungen per SMS und E-Mail, die wir hier nicht widergeben wollen, waren dementsprechend rassistisch: «Brav fahren, Mund halten oder wieder dorthin zurück, wo du herkommst», war der Grundtenor. Sie sagen Integration und meinen Unterwerfung.

Es gab allerdings bei Weitem mehr positive Rückmeldungen für die Aktion der streikenden Taxilenker_innen: In den ersten acht Tagen schon achttausend «Likes» auf der Facebookseite «50.000 Gründe, warum wir nicht zum Ball fahren» – und viele Leute aus der Nachbarschaft, die Keivan Amiri auf die Schulter klopften.

Was wirst du machen, falls du in das Wirtschaftskammergremium der Taxiinnung gewählt wirst?, frag ich ihn. «Was ich immer mache: Engagement für Gerechtigkeit und gegen Korruption. Ich hasse Korruption.» Eine Frage wage ich noch zu stellen, obwohl er sie wahrscheinlich schon tausend Mal gehört hat. «Würdest du nach einer wirklich fortschrittlichen Revolution in den Iran zurückkehren?» – «Aber sicher! Sofort.» Und im Nachsatz: «Unser kleines Häuschen in Neuberg an der Mürz würden wir aber behalten. Es ist so schön dort.»