Gespaltenes Lebentun & lassen

eingSCHENKt

Je stärker die soziale Spaltung in einer Gesellschaft, desto stärker kann man den sozialen Status einer Person am Zustand der Zähne ablesen. Denen ist das Lachen vergangen. Genieren sich einfach mit kaputten Zähnen den Mund aufzumachen. Das ist auch eine Möglichkeit Menschen zum Schweigen zu bringen. Wie soll ich mir den Zahnersatz leisten?, fragen Betroffene in den Beratungsstellen. Die Krankenkasse zahlt auch immer weniger.

­Sozialer Augleich ist nicht so wichtig, besser wir schauen, dass diejenigen Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Verteilung ist nicht aussagekräftig und hat mit Gerechtigkeit wenig zu tun, so ist vielerorts zu lesen und zu hören.

Je ungleicher Gesellschaften sind, desto defizitärer sind die psychosozialen Gesundheitsressourcen. Es gibt weniger Inklusion, also häufiger das Gefühl, ausgeschlossen zu sein. Es gibt weniger Partizipation, also häufiger das Gefühl, nicht eingreifen zu können. Es gibt weniger Reziprozität, also häufiger das Gefühl, sich nicht auf Gegenseitigkeit verlassen zu können. Die sogenannte Managerkrankheit mit Bluthochdruck und Infarktrisiko tritt bei Armen dreimal häufiger auf als bei Managern. Aber nicht weil die Manager weniger Stress haben, sondern weil sie die Freiheit haben, nach Paris zu fliegen oder auf dem Golfplatz zu verschnaufen. Sie können entspannen.

Je ungleicher Gesellschaften, desto geringer die Lebenserwartung von Menschen mit geringem Einkommen. Sie haben im Alter auch weniger von Behinderung freie Jahre in Gesundheit zu erwarten. Der Bedarf an Pflege und Hilfe im Alter ist deutlich höher als bei Personen höherer Einkommen.

Je sozial polarisierter eine Gesellschaft ist, desto mehr Dauerarmut existiert, desto stärker beeinträchtig sind die Zukunftschancen benachteiligter Jugendlicher. Die Mobilität aus der Armut heraus steht in enger Wechselbeziehung zu gesellschaftlicher Ungleichheit insgesamt. Je ungleicher, desto stärker ist die Zukunft von Kindern von der sozialen Herkunft abhängig.

Kinder aus armutsgefährdeten Familien haben in einem dreifach stärkeren Ausmaß als Kinder aus einkommensstärkeren Haushalten Schlafstörungen und auch in bedeutend höherem Ausmaß Kopfschmerzen. Die Unterschiede setzen sich mit den Altersgruppen fort. Diese Kinder tragen die soziale Benachteiligung als gesundheitliche Benachteiligung ein Leben lang mit. Sie sind auch als Erwachsene deutlich kränker als der Rest der Bevölkerung. Arme Kinder von heute sind die chronisch Kranken von morgen.

Lieber reich und gesund als arm und krank. Reichtum macht nicht glücklich, ist der automatische Einwand an dieser Stelle. Ja sicher, aber das ist nicht die Kategorie, die hier gemessen wird.

In den reichen Länder ist die Verteilung von Einkommen und Lebenschancen zwischen unten und oben nicht egal. Wachsende soziale Spaltung hat konkrete, lebensweltliche Auswirkungen auf ganz konkrete, reale Menschen.

Da heißt auch: Je sozial gespaltener Gesellschaften sind, desto weniger kann man ab 22.00 Uhr mit der U-Bahn fahren, ohne Angst haben zu müssen.

Martin Schenk

teilen: