Guter Rausch braucht gute Stimmungtun & lassen

In eigener Sache: Warum die "Sparküche" temporär zur Hexenküche wird

Muskatnuss.jpgMit dem Kapitel über die Muskatnuss (Seite 23) verlässt Christa Neubauers traditionelle Augustin-Kolumne Sparküche in den kommenden Ausgaben ihren gewohnten inhaltlichen Rahmen. Die Autorin erläutert ihren Seitensprung:

Mit der Single Convention on Narcotic Drugs des Jahres 1961 wurden Pflanzen und Substanzen mehr oder weniger willkürlich in erlaubte und nicht-erlaubte eingeteilt. Ganz wichtig ist es, nicht von legalen oder illegalen Substanzen zu sprechen, da es sich immer um politische Prozesse handelt!, so Jürgen Einwanger von der Alpenvereinsjugend in Gesundes Österreich. Wozu brauchen wir bewusstseinsverändernde Drogen, ob nun legalisiert oder illegalisiert?

Seit mehreren tausend Jahren werden rauscherzeugende Pflanzen in allen Kulturkreisen zu spirituellen und medizinischen Zwecken verwendet, wie die Mythologien offenlegen. Ihr Einfluss auf alle großen Religionen ist unbestritten. Heute werden diese positiven Aspekte des Rausches von selbsternannten (Doppel-)Moralinstanzen gerne bagatellisiert und das, als ichbezogen entwertete, bloße Erleben-Wollen von Glücksgefühlen wird in den Vordergrund gestellt.

Ob nun eine rauschhafte Episode dazu dient, mit einer Gottheit oder den Vorfahren in Verbindung zu treten, durch ein erweitertes Bewusstsein zur Selbstklärung zu gelangen, der Realität zu entfliehen oder sich durch einen bewusst in Kauf genommenen Kontrollverlust in ekstatische Zustände zu versetzen: Ohne Rausch und Droge hat der Mensch nie gelebt. Selbst der Leben spendende Akt der Sexualität ist für den Menschen als Rauscherlebnis angelegt.

War im Mittelalter das Wissen über die Wirkungen und Risiken heilender bzw. halluzinogener Pflanzen verbreitet, verlieren wir heute zunehmend diese Kompetenzen. In früheren Jahrhunderten waren es kirchliche Machtansprüche, die zuerst durch Hexenverfolgung und später durch Etablierung des anthropozentrischen Weltbilds (= den Menschen über alle anderen Lebewesen und damit in den Mittelpunkt stellend, den Wert der Tiere und Pflanzen abwertend) den fundierten Erfahrungsschatz auszuradieren versuchten.

Heute erfolgt der Wissensvernichtungsprozess auf subtilerem Wege. Weil alle psychotropen Stoffe in einen Topf geworfen und als Rauschgift verurteilt werden (obwohl die meisten bei richtiger Dosierung weder körperliche Schäden noch Abhängigkeit bringen), haben Lobbyisten der Pharmazie freie Fahrt, wenn sie in den politischen Gremien unter anderem dafür sorgen, dass die Herstellung von heilenden (und/oder bewusstseinsverändernden) Substanzen nur noch marktwirtschaftlich orientierten Großbetrieben gestattet wird. Kräuterkundige sollen in die kriminelle Ecke gedrängt und damit an der Weitergabe ihres Wissens gehindert werden. Was ist der nächste Schritt – werden wir uns in naher Zukunft durch ein Pflückverbot für Engelstrompeten, Tollkirschen oder Fliegenpilze entmündigt sehen?

In der heutigen Versicherungsgesellschaft nehmen die Risikoabwälzung und Haftungsverpflichtungen den überbehüteten Einzelnen aus der Selbstverantwortung heraus. Bis auf wenige Ausnahmen wird diese Vermeidungshaltung auch von der Literatur unterstützt: Bei der Beschreibung von Heilkräutern wird häufig die bewusstseinsverändernde Wirkung verschwiegen. Bei Überdosierung sind schwere Nebenwirkungen zu erwarten, die auch tödlich verlaufen können, heißt es lapidar, als sollte der Mensch als belieferungsbedürftiges Mängelwesen gar nicht erst mit zu viel Wissen belastet werden. Ein von oben verordnetes Stillhalteabkommen?

Risflecting


Der Gebrauch von bewusstseinsverändernden Pflanzen nimmt heute, besonders unter Jugendlichen, stark zu, schreibt die Pharmakologin Angelika Prentner in ihrem Buch Bewusstseinsverändernde Pflanzen von AZ, erschienen im Springer Verlag. Leider wissen aber nur wenige über die richtige Handhabung, Dosierung, über Wirkungen und möglichen Folgen Bescheid. Wichtig ist Prentner: Es kommt immer auf den Konsumenten an, ob er diese Pflanzen als Rauschgift missbraucht oder sie mit dem nötigen Wissen und Respekt betrachtet und verwendet.

Selbstverantwortliches Handeln setzt also grundlegendes Wissen voraus. Dem wird der Augustin in den kommenden Monaten Rechnung tragen und in der Sparküche einige psychoaktive Pflanzen vorstellen.

Für Jugendliche wird die Suche nach einem passenden Lebensstil und einer eigenen Identität immer schwieriger. Das hat mehrere Gründe: Einer ist der wachsende Leistungsdruck in Kombination mit wachsender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Unsicherheit. Ein weiterer der Jugendkult der Eltern- und Großelterngeneration, die selbst nicht erwachsen werden wollen und sich in der Jugendwelt breit machen. Damit zwingen sie die Jugendlichen, weit ins Extreme zu gehen, um sich zu positionieren. Experimente mit Rauschmitteln, die neben der Selbsterfahrung auch reichlich Provokationspotenzial in sich tragen, bieten sich an.

In früheren Zeiten waren Initiationsriten, die den Übergang vom Kindsein zum Erwachsenen markierten, von kundigen MentorInnen begleitet. Schamanen und Weise Frauen hatten die Erfahrung, die heiligen Pflanzen je nach Bedarf in unterschiedlicher (medizinischer, aphrodisierender oder halluzinogener) Dosierung zur Anwendung zu bringen. Heute werden Jugendliche in der Selbstfindungsphase immer seltener unterstützt. Gerald Koller vom Büro Vital: Wir schulden unseren Kindern und Jugendlichen vor allem eine ernsthafte und aufmerksame Einführung in die Bereiche des Außeralltäglichen.

Mit ihrem Programm Risflecting (von: risk reflecting = Risiko-Bewertung) haben Koller und Einwanger ein Konzept der Rausch- und Risikopädagogik entwickelt, das Jugendliche mit ihren Bedürfnissen nach Rauscherfahrungen und Risikosituationen ernst nimmt. Ziel ist das Wegkommen von einer doppelmoralischen Begleitung der Jugendlichen und Hinführen zu einem kompetenten Umgang mit der Rauschkultur durch bewusste Wahrnehmung und Gestaltung von innerer Bereitschaft und äußerem Umfeld, besonders durch die Vor- und Nachbereitung der Erfahrungen.

Nimm nichts oder nicht viel , wenn du schlecht drauf bist. Guter Rausch braucht gute Stimmung und Zeit., so ein Kernsatz Kollers. Und: Halt Ausschau nach Leuten, mit denen du deine Erfahrungen teilen kannst. Auch danach.