Jedes große Projekt beginnt mit einer großen Lügetun & lassen

Vereinigte Opposition gegen «aufgezwungene unnütze Großprojekte»

AUGP ist eine Abkürzung, die wohl noch keiner Leserin, keinem Leser vertraut ist.  Selbst der Begriff, der sich dahinter verbirgt – «aufgezwungene unnütze Großprojekte» – hat sich in Österreich nicht durchgesetzt. Ob Spital Wien Nord, Flughafenausbau, Seestadt Aspern oder Semmeringtunnel: Großprojekte, die diesen «A- und U-Titel» möglicherweise verdienten, bleiben von wirklich widerständigen kritischen Massen verschont. In anderen Teilen Europas ist das anders. Dort wächst auch das Netzwerk der Bekämpfer_innen dieser Projekte. Eine Zusammenfassung von Robert Sommer.

Foto: Lisa Bolyos

Seit 2011 gibt es internationale Foren der Protestbewegungen gegen aufgezwungene und unnütze Großprojekte. Die «Heroes» dieser kämpferischen Vernetzung sind die Aktivistinnen und Aktivisten gegen «Stuttgart 21», gegen das Tunnelprojekt im Susa-Tal an der französisch-italienischen Grenze und gegen den Flughafenneubau nahe der französischen Stadt Notre-Dames-des-Landes. Was dieses Bauvorhaben betrifft, so spitzte sich die Situation in den vergangenen Tagen zu. Der französische Premierminister Manuel Valls kündigte nun an, das 1600 Hektar große Gelände für den Flughafenneubau im westfranzösischen Departement Loire-Atlantique zu räumen. Seit Jahren campieren dort Gegner_innen des Großflughafens. Sie hatten 2009 die Zone à Defense (ZAD) – die «zu verteidigende Zone» – ausgerufen und besetzt. Mit dem Beginn der Polizeiaktion wird jeden Tag gerechnet.

Beim sechsten und bisher letzten Forum der Großprojekt-Kritiker_innen machten aber auch Erfolgsmeldungen die Runde. So wurde der Bau des Tiefbahnhofs und der Tunnels unter Florenz nach überraschender Entscheidung des italienischen Staatspräsidenten gestoppt – und das nach 20 Jahren Planung, 10 Jahren Bauzeit, die eine wüste Baugrube hinterließ, nach 10 Jahren Protest und 750 verpulverten Millionen. Im Susa-Tal wollen die Betreiber der Schnellbahn-Trasse jetzt einen Entlastungstunnel einweihen, weil sie mit den eigentlichen Tunnelarbeiten nicht vorankommen. Weitere Erfolge: Die französische Regierung beschloss, die Planung für die Schnellbahntrasse Bordeaux-Spanien zu stoppen. Als grotesk empfindet die Bevölkerung den Umstand, dass der Trassenanschluss in Spanien weiter geplant wird. Erst vor ein paar Wochen hat das internationale Netzwerk seine Einheit demonstriert. Am 26. Oktober übergab das «Permanente Tribunal der Völker» dem Europaparlament den Urteilspruch: Bei sehr vielen Großprojekten sei es zu einer Missachtung der grundlegenden Bürger_innenrechte durch die EU und ihre Nationalstaaten gekommen.

Der deutsche Planungs-Insider Werner Rothengatter, der an der Machbarkeitsstudie zu Stuttgart 21 (Umbau des Stuttgarter Kopfbahnhofes in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof) beteiligt und auch Mitglied der Reformkommission «Bau von Großprojekten» des deutschen Verkehrsministeriums war, bestätigte dieser Tage die Widerstandsbewegung durch seine Aussage, jedes Großbauprojekt beginne mit einer großen Lüge. Stuttgart 21 sei ein Beispiel dafür, dass Großprojekte spektakulär aus Zeit- und Kostenrahmen fielen. «Massive Zahlenmanipulationen» seien die Regel, um ein Großprojekt der Bevölkerung schmackhaft zu machen. Das Projektmanagement laufe zu «Höchstleistungen für die Selbstverteidigung» auf, statt seine volle Energie für die Problemlösung einzusetzen. Großprojekte sind Maschinen der maßlosen Umverteilung von öffentlichen Geldern in die Hände privater Investoren und Baufirmen geworden – das freilich ist nicht Rothengatter-Sprech, sondern guter alter Marxismus.

 

Von 77 auf 789 Millionen Euro

Mehr noch als bei Stuttgart 21 zeigt sich beim Projekt Elbphilharmonie in Hamburg, dass Kostenexplosionen keine Ausrutscher sind, sondern strukturell. Die Elbphilharmonie ist das teuerste Kulturprojekt in Deutschland. Kostenexplosion und Bauverzögerung sind inzwischen ein Fall für die Justiz. Die Kosten für die Steuerzahler_innen sind von ursprünglich 77 Millionen auf 789 Millionen Euro gestiegen, die Eröffnung wurde von 2010 auf 2017 verschoben. Nicht ganz so krass, aber nicht minder nach Justiz schreiend, fällt die Kostenexplosion im Fall der Floridsdorfer Mega-Baustelle Spital Wien Nord aus. 600 Millionen Euro werde das Krankenhaus an der Brünner Straße kosten, hieß es zu Beginn der Bauarbeiten; inzwischen muss man mit 1,1 Milliarden rechnen.

Die Großprojekte, die vom massivsten Widerstand der Bevölkerung begleitet werden, betreffen Verkehrsinfrastrukturen. Sie sind Aushängeschilder einer EU-Verkehrspolitik, die für die Baulobby gut ist, aber nicht für das Klima. Zwei Beispiele einer völlig verfehlten Verkehrspolitik seien hier kurz vorgestellt. Beide liegen in Italien, und beide bedrohen Regionen, in denen Zehntausende Menschen ganz oder weitgehend ohne Autoverkehr leben. Es handelt sich um die Cinque Terre (die «Region der fünf Orte» zwischen Genua und La Spezia) und Venedig, die Lagunenstadt mit dem autolosen historischen Zentrum. Wenn die EU ihre Klimaziele ernst nähme, könnte sie Cinque Terre und Venedig zu europäischen Modellprojekten erklären und zeigen, dass es Alternativen zur Motorisierung gibt. Das Gegenteil passiert. Die Anbindung an die Schiene hat sich seit den 1970er-Jahren von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verschlechtert. Es gibt aus Deutschland keine Eisenbahn-Direktverbindungen mehr nach Venedig oder Genua bzw. La Spezia. Immer mehr Besucher_innen kommen mit dem Flugzeug, das durch den Verzicht der EU auf die Besteuerung von Kerosin und Schweröl spottbillig geworden ist. Oder sie kommen mit den Kreuzfahrtschiffen, die zu den ökologischen Hauptsündern gezählt werden müssen. Was die Schadstoffemissionen betrifft, sollte das Verfeuern von Schweröl für die Kreuzschifffahrt mit dem Verbrennen von Sondermüll gleichgesetzt werden. In Venedig fahren die Monster-Schiffe mit ihren zehn Stockwerken in die Lagune ein und wirbeln den Lagunenboden mit seinem in mehr als hundert Jahren angesammelten Giftcocktail auf. Übrigens kämpft dort die Ökologiebewegung gegen mehrere «grande opere inutili», große unnütze Projekte; das größenwahnsinnigste davon ist das Hochwasserschutzprojekt MOSE.

 

21 Megaprojekte in unseren Schigebieten

Im Noch-Wintersportland Österreich spielt sich vor dem prognostizierten Ende des Schneereichtums ein absurder landschaftszerstörender Wettbewerb ab: Wer hat das größte zusammenhängende Schigebiet? Der internationalen Alpenschutzkommission CIPRA sind alleine in Tirol, Vorarlberg und Salzburg 21 Großprojekte bekannt. Besonders umstritten ist derzeit der geplante Zusammenschluss der Gletscher-Skigebiete des Ötz- und des Pitztals in Tirol. Für die Realisierung sollen rund um den Linken Fernerkogel drei neue Seilbahnen gebaut und 64 Hektar Pisten angelegt werden. Das sind die Ruinen von morgen, denn die Zahl der Schiläufer ist in Österreich von Jahr zu Jahr rückläufig. Auch der Klimawandel spricht gegen die enormen Investitionen in Ausbauten: Bis ins Jahr 2100 könnten die Temperaturen in den Alpen um über fünf Grad steigen, befürchtet die CIPRA. Dann herrschen auf einer Höhe von 3000 Metern Bedingungen wie heute auf 1400 Metern. Auch hier sind die Umverteilungseffekte evident: Viele Schigebiete sind nicht mehr profitabel und werden von der öffentlichen Hand, meist vom Land und von den Gemeinden, gestützt. Die Steuerzahler_innen werden entweder nicht gefragt oder ihr Protest wird mit dem «Arbeitsplätze-Argument» niedergebügelt. Die Engagierten des internationalen Netzwerks gegen aufgezwungene unnütze Großprojekte würden sich über Partizipant_innen aus Tirol und anderen rotweißtoten Schigebieten freuen; sie müssen warten, denn noch überwiegt bei den Ösis die Freude auf neue tälerverbindende Schischaukeln.

Für den schischaukelskeptischen Rest wäre noch etwas Zeit vorhanden, um sich für den gemeinsamen Aktionstag Mitte Dezember gegen die aufgezwungenen unnützen Großprojekte vorzubereiten. Geplant sind dezentrale Aktionen vor Ort. Näheres unter:

https://stuttgart21ueberall.wordpress.com.