«Lieber Rotlicht als Blaulicht!»tun & lassen

Im Stuwerviertel wird für die Rechte der Sexarbeiter_innen Kampagne gemacht

Gerne profilieren sich Politiker_innen mit Rufen nach einem Verbot des Straßenstrichs oder der Sexarbeit überhaupt. Sie appellieren an eine immer noch weit verbreitete Doppelmoral und geben dabei oft vor, im Namen belästigter Anwohner_innen zu sprechen. Im Leopoldstädter Stuwerviertel sprechen sich Bewohner_innen endlich einmal für die Rechte der dort arbeitenden Sexarbeiter_innen aus und gegen ihre Schikanierung und Diskriminierung durch Polizei und Stadtverwaltung.

Vom Bahnhof Hütteldorf geht es noch vier Kilometer die Autobahn hinaus, dann rechts auf den Parkplatz. In dem einen oder andren Auto ist Licht. Zwei Frauen in Miniröcken spazieren auf ein im Schritttempo durch den Parkplatz rollendes Auto zu. Am Auhof ist eine der letzten Erlaubniszonen, auf denen Sexarbeiterinnen legal outdoor arbeiten dürfen.

 

Hierher in die Abgeschiedenheit, wo es kein Klo und keine Möglichkeit gibt, sich bei Regen unterzustellen oder bei Kälte aufzuwärmen, möchte die zuständige Frauenstadträtin Frauenberger den Straßenstrich verlagern. Wenn wie geplant im Oktober das letzte Stück Erlaubniszone im Prater geschlossen wird, müssten die Frauen also hier in die gefährliche Einöde.

 

Damit treibt Frauenberger allerdings die Sexarbeiterinnen in die Arme der Zuhälter. In der Stadt kann eine Frau gut selbstständig auf der Straße arbeiten. Am Auhof ist man ohne Auto und jemanden, der aufpasst, verloren. «Im Jahr 2012 wurden wir achtmal gerufen, wegen massiver Übergriffe am Auhof, darunter sieben Vergewaltigungen. Nicht dass die Kunden Vergewaltiger wären. Sondern der Auhof ist ein Ort, der Sexualstraftäter geradezu einlädt», sagt Christian Knappik, Sprecher der Sexarbeiter_innenselbstorganisation sexworker.at, der eine Rund-um-die-Uhr-Notrufnummer betreut und den viele Sexarbeiterinnen eher anrufen als die Polizei, die sie nur als abstrafende und schikanierende Instanz erleben.

Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz


«Ich gehe sicher nicht zum Auhof», sagt Nikita, eine Bulgarin, die hinter dem Admiralkasino auf der Perspektivstraße am Prater steht. «Wo soll ich dort arbeiten? Im Auto? Im Wald? Es ist schon unpraktisch, dass wir hier im Prater stehen und dann von hier ins Hotel fahren müssen. Besser wäre es direkt vor den Stundenhotels stehen zu können.» Nikita steht in Minirock, Lederstiefeln und Glitzerstrümpfen auf der Straße. Sie muss tatsächlich die 500 Meter ins nächstgelegene Stundenhotel fahren. Denn in ihrer Berufskleidung darf sie die Ausstellungsstraße nicht überqueren: Auf der andren Seite ist Sperrgebiet, und wenn sie unterwegs ins Hotel von der Polizei angehalten wird, kostet das 300 Euro für sie, 300 Euro für den Kunden. Mindestens. Bei Wiederholung mehr.

 

Sollte die Stadt Wien also tatsächlich den Straßenstrich am Prater verbieten, wird Nikita ab Oktober entweder in einer Bar oder einem Laufhaus arbeiten müssen, wo sie entschieden weniger unabhängig ist als auf der Straße, oder sie wird in Jeans und Turnschuhen im Stuwerviertel auf der andren Seite der Straße spazierengehen und sich bemühen, rechtzeitig zu unterscheiden, ob ein heranrollendes Auto ein Kunde oder ein Zivilpolizist ist. Denn schon die Anbahnung ist strafbar, und als Anbahnung wird auffälliges Anblicken eines Autofahrers genauso gewertet wie das Bitten um eine Zigarette oder jede Form von Gespräch. Das führt dazu, dass im Stuwerviertel inzwischen das Miteinandersprechen erwachsener Menschen auf der Straße verboten ist. Sexarbeiter_innen häufen tausende Euro von Strafen an und müssen die dann oft im Gefängnis absitzen. Viele Männer bezahlen die Strafe sofort und ohne sich zu empören. Vermutlich aus Angst, ein blauer Brief könne daheim unangenehme Fragen aufkommen lassen.

Sexarbeit als UNESCO-Weltkulturerbe


«Ich habe hier die Kostenaufstellung für eine Frau, die im Laufhaus arbeitet. Pro Tag zahlt sie 120 Euro Miete für das Zimmer. Mit allen Nebenkosten kommt sie auf 4500 Euro Fixkosten im Monat. Da kann sich keine leisten, einen Tag freizunehmen. Für manche Frauen passt das. Aber für Frauen mit Kindern geht das gar nicht. Und ältere Frauen werden in Bars und Laufhäusern oft gar nicht genommen», sagt Christine Nagl, die in Salzburg in der Beratungsstelle PiA Sexarbeiter_innen unterstützt.

«Für mich als Anwohner des Stuwerviertels ist es unerträglich, mitansehen zu müssen, wie ständig die Menschenrechte der Sexarbeiter_innen verletzt werden. Und ich verwehre mich dagegen, dass das in meinem Namen geschieht.» Hans Christian Voigt ist der Webmaster der Kampagne «Lieber Rotlicht als Blaulicht!», mit der das Stuwerkomitee für die Rechte von Sexarbeiter_innen und gegen die Vertreibung des Straßenstrichs am Prater protestiert. Mit einem Puffbesuch und einer Podiumsdiskussion wurde die Kampagne begonnen, als Nächstes ist eine Veranstaltung mit Historiker_innen und Kulturwissenschaftler_innen geplant, die der Forderung Nachdruck verleihen soll, «Sexarbeit in der Pratergegend und im Stuwerviertel zum UNESCO-Weltkulturerbe» zu erklären.

 

«Sexarbeit gehört zur Pratergegend wie die Gondeln zu Venedig», begründet das Tanja Boukal vom Stuwerkomitee. «Jeder und jede, die hierher gezogen ist und hier eine billige Wohnung gemietet hat, wusste, dass die Mieten billig sind, weil man in einem Rotlichtviertel wohnt. Jetzt wird das ein innenstadtnahes Luxusviertel. Die Häuser werden luxussaniert, die Dachböden ausgebaut. Weil die Wirtschaftsuniversität hierher gebaut wurde, sollen die Sexarbeiter_innen vertrieben werden. Wir sehen die Polizeischikanen gegen Sexarbeiter_innen als Hilfsdienste für die Immobilienspekulanten.»

 

Beim Ortstermin des Stuwerkomitees im Stundenhotel von Herrn Emmerich in der Stuwerstraße kommt das eine oder andre der «Mädel» vorbei, die in den drei kleinen Zimmern ihren Kunden Freude machen, und loben den Herrn Emmerich, der Gratisgetränke und Duschen und im Winter einen warmen Platz zum Aufwärmen für die Frauen zur Verfügung stellt. «Warum erlauben sie nicht, dass hier vor dem Stundenhotel drei Madl stehen und auf Kunden warten? Wen stört das? Und was heißt das, die Leute wissen nicht, wie sie es ihren Kindern erklären sollen? Die Kinder sitzen vorm Fernseher und vorm Computer. Die wissen das eh besser als die Eltern.»

«Wenn man aufhörte, ein billiges politisches Spiel auf Kosten der Sexarbeiter_innen zu spielen, könnte man sicher gute Lösungen finden, wie Sexarbeit auch in Wohngebieten in friedlicher Nachbarschaft stattfinden kann. Aber die Politiker_innen wollen das nicht, denn doppelmoralische Empörung, die auf die traditionelle Verachtung der Sexarbeit setzt, ist billig zu haben», sagt Eva Müller vom Stuwerkomitee.

 

«Besonders enttäuschen mich die Feministinnen, die ein Verbot der Sexarbeit fordern», sagt Christine Nagl. «Die geben vor, für die Sexarbeiter_innen zu sprechen, fordern aber ihre polizeiliche Schikanierung. Oft sind es die sexuellen Vorlieben und die privaten Einstellungen der Menschen, die ihre Position zur Sexarbeit bestimmten. Aber das kann doch nicht Grundlage der Politik sein, dass eine Politikerin sich nicht vorstellen kann, auf den Straßenstrich zu gehen oder mit einem fremden Mann Sex zu haben.»

 

Das Stuwerkomitee ist jedenfalls entschlossen, auch weiterhin mit den Sexarbeiter_innen gemeinsam für deren Rechte einzutreten.

www.stuwer.info