Marta Halpert, Leiterin des Wien-Büros derAnti-Defamation Leaguetun & lassen

Hoffnungsvoll unoptimistisch

„Ich bin schon eine alte Kämpferin. Ich habe immer wieder Rückschläge bekommen und denk‘ mir oft: Es hat keinen Sinn. Trotzdem, ein bisschen Hoffnung habe ich schon. Nur, optimistisch bin ich nicht.“ Ich mag uneindeutige Selbstcharakterisierungen. Diese hier habe ich aus dem Radio Augustin-Interview (siehe Kasten unten) mit Marta Halpert, der Wiener Vertreterin der Bürgerrechtsorganisation „Anti-Defamation League“ (ADL) aufgeschnappt.Im ADL-Büro in der Wiener Innenstadt gibt es Kaffee und Kekse (was ich erwartete, denn meine Kolleginnen vom Radio hatten Frau Halperts Gastfreundschaft ja schon genossen), und ich will wissen, wie frau zur alten, etwas hoffnungsvollen, aber unoptimistischen Kämpferin wird. Frau beginnt als junge Kämpferin.

Nämlich als in Ungarn geborenes jüdisches Mädchen in einem Wiener Gymnasium, das die durchschnittlichen folkloristischen Vorurteile gegen das Jüdische abzuwehren hat. Marta konnte dies in einer positiven, nicht defensiven Art bewältigen. „Ich habe nichts hinuntergeschluckt“. Wenn die MitschülerInnen sich wunderten, dass sie kein Schinkenbrot aß, erklärte ihnen Marta einfach geradeheraus den jüdischen Brauch.

Diese Bereitschaft zur Offensive hatte sie von ihrem Vater, dem Budapester Zahnarzt Hermann Halpert. Aufgeklärt, bürgerlich, gebildet, aber bewusst jüdisch, die tiefe Religiösität seiner aus dem Ländlichen stammenden Frau respektierend, sie aber nicht teilend, hatte Vater sich zur Devise gemacht: Das Judentum ist kein Club, in den man eintreten und austreten kann. Also ist es gleich besser, dazu zu stehen. Vaters Talent, das Jüdischsein positiv zu definieren, prägte auch Marta. Als zum Beispiel zur Sprache kam, dass Martas Nichtteilnahme an Geselligkeiten, wenn diese terminlich mit jüdischen Feiertagen zusammenfielen, zur Verstörung der MitschülerInnen führte, riet Vater: Lad‘ sie doch ein, zeig ihnen, wie wir Juden feiern!

Widerstand gegen das neugierdelose Vorurteil

Doch in Wien breitete sich ein Antisemitismus ohne Neugier aus. Diese Sorte Antisemitismus will ja gar nicht wissen, wie Juden feiern. „Je mehr ich spürte, dass dieses völlig neugierdelose Vorurteil stark wurde, desto mehr habe ich dagegen angekämpft“, sagt Marta Halpert.

Immerhin war dieser Wiener Antisemitismus der 50er und 60er Jahre erträglicher als der Nachkriegs-Antisemitismus in Ungarn, den Familie Halpert bis 1949, bis zur Ausreise nach Österreich, „genoss“. Ganz zu schweigen von der Hölle, die Martas Eltern im faschistischen Budapest zu erdulden hatten. Dass sie überhaupt überlebten, ist dem legendären schwedischen Diplomaten Raul Wallenberg zu danken. 1944 saß Vater Hermann schon im Zug nach Auschwitz. Da halfen ihm weder sein Blut&Boden-Vorname noch die vermeintlich teutsche -ert-Endung im Familiennamen. Unter dem Vorwand, sie stünden unter schwedischem Schutz, holte Wallenberg einen Teil der fürs Vernichtungslager Bestimmten noch in Budapest aus dem Todestransport. Vater und Mutter Halpert überlebten die letzten Monate vor der Befreiung in einem schwedischen Schutzhaus im Rahmen des jüdischen Ghettos. Ein Großteil der Verwandten wurde in Auschwitz ermordet.

Die Kommunisten kamen und bewerteten das Bedürfnis eines Teils der Juden, ihre jüdische Identität zu bewahren, als konterrevolutionär. Also Flucht nach Westen, mit Marta als Baby. Vater bereute dann oft, dass er nicht weiter westwärts gegangen war, in den wirklichen Westen. In den USA konnten sich Zahnärzte wie er bequem positionieren; in Wien hatte er zunächst genau das Klientel, das er schon in Budapest hatte. Es war mit ihm abgehauen und hatte eigentlich kein Geld für Zahnrenovierungen, Hermann Halpert behandelte sie trotzdem.

Fäden nach Osteuropa

Dass die Familie Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre in Wien dennoch als jüdische Fuß fassen konnte, lag eher an der Kalten-Kriegs-Stimmung in Wien: Nicht als Juden waren die Halperts willkommen, sondern als „Opfer des Kommunismus“.

Das stürmische 68 erlebte Marta Halpert in England, wo sie Englisch studierte. Dort begann sie zu schreiben. Die ersten Texte, die in österreichischen Zeitungen abgedruckt wurden, waren Theaterkritiken. Der Umstand, dass sie tatsächlich veröffentlicht wurden, brach den Widerstand der Eltern, die zunächst gegen die Journalismus-Option der Tochter opponiert hatten.

Seither ist Marta Halpert also freie Journalistin. Heute schreibt sie vor allem für Newsweek und für das Münchner Magazin Focus, dessen Österreich-Korrespondentin sie ist. Ihre ungarische Herkunft, ihre Mehsprachigkeit legten ein besonderes journalistisches Augenmerk auf die Vorgänge in Osteuropa nahe. Die Publizistin lernte Dissidenten kennen, die sich später, nach der Wende in diesen Ländern, daran erinnern werden, dass die Wienerin sich schon in dunklen Zeiten für sie interessiert hatte. So sponn sie Fäden, die ihre journalistische Kompetenz in Sachen Osteuropa begründeten und diese Fäden waren es auch, die das Interesse der ADL-Leitung an der Journalistin aus Wien hervorriefen. Denn die „Anti-Defamataion League“ suchte jemanden, der das ADL-Büro in Wien, das zuständig für Mittel- und Osteuropa sein sollte, leiten würde. Genau das tut Frau Halpert seit 1997, seit der Eröffnung des Büros in der Spiegelgasse.

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