Millionen dürfen nicht zur Urne…tun & lassen

Die US-Amerikaner haben nun also eine Regierung, für die die Todesstrafe sakrosankt ist. Eine gewissermaßen barbarische Regierung. Im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl ist uns eine weitere Barbarei des US-Justizsystems aufgefallen (weder von den amerikanischen noch von den europäischen Medien wurde sie freilich sehr ernst genommen). Nehmen wir Florida, den Staat der Zählmaschinengroteske. Niemand regte sich darüber auf, dass eine halbe Million BürgerInnen Floridas durch das Justizsystem von den Urnen ferngehalten wurden, obgleich sie sich nicht mehr in „Justizgewahrsam“ befanden.Tatsächlich liegt Florida, was den strafrechtlichen Ausschluss von der Ausübung der Bürgerrechte anbelangt, noch vor Texas an der Spitze der US-Bundesstaaten. In 46 von 50 Bundesstaaten werden die Insassen von Justizvollzugsanstalten (das sind 1,2 Millionen US-BürgerInnen) aus den Wahlregistern gestrichen. 32 Bundesstaaten schließen auch ehemalige Gefängnisinsassen aus, die sich unter Auflagen auf freiem Fuß befinden (das sind 453.000 US-BürgerInnen). In 29 Bundesstaaten dürfen selbst BürgerInnen mit Bewährungsstrafen nicht ihr Wahlrecht ausüben (rund eine Million Menschen). Und 14 Bundesstaaten verbieten ehemaligen Häftlingen (1,4 Millionen AmerikanerInnen) sogar auf Lebenszeit die Teilnahme an Wahlen – eine Regelung, die für parlamentarische Demokratien einmalig ist. Alles in allem durften damit rund vier Millionen AmerikanerInnen bei den Präsidentschaftswahlen 2000 nicht mitwählen (Quelle: Le Monde diplomatique).

Da die Schwarzen zu den Knästen des Landes bevorzugten Zutritt haben (bei 7 Prozent der erwachsenen Bevölkerung stellen sie 55 Prozent der Neuzugänge), sind sie auch die ersten, die ihr Wahlrecht verlieren. Auch hier liegt Florida an der Spitze: 31 Prozent der afroamerikanischen Männer werden der Bürgerrechte für unwürdig erachtet. In folgenden Staaten wurde mindestens einem Fünftel der männlichen Schwarzen das Wahlrecht aberkannt: Alabama, Connecticut, Florida, Iowa, Mississippi, New Mexico, Washington und Wyoming.

Damit wird 35 Jahre nachdem die Bürgerrechtsbewegung in harten Kämpfen das allgemeine Wahlrecht durchgesetzt hat, das im Voting Rights Act verbriefte Recht via Strafrechtssystem wieder zurückgenommen. Die betreffenden Gesetzesbestimmungen laufen allen internationalen Menschenrechtskonventionen, die auch von den USA unterzeichnet wurden, krass zuwider.


P.S.: Nicht minder fragwürdig ist, dass auch in Österreich (was viele nicht wissen) nicht nur Häftlinge, sondern auch Ex-Gefangene nach ihrer Haftentlassung eine Zeitlang aus den Bürgerrechten ausgeschlossen sind. Der entsprechende Paragraph lautet: „Vom Wahlrecht ist ausgeschlossen, wer durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Der Ausschluss endet sechs Monate, nachdem die Strafe vollstreckt ist…“ Warum Menschen ein halbes Jahr nach ihrer Entlassung mit fortdauernder Entrechtung bestraft werden, obwohl sie ihre Strafe abgesessen haben, ist sachlich nicht nachvollziehbar, es sei denn, man beleuchtet die Entstehung und Prolongation des staatlichen Straf- und Rachesystems herrschaftskritisch. Dass die demokratiepolitisch bedenkliche Wahlausschließung hierzulande nicht einmal für eine ansonsten kritische Öffentlichkeit ein Thema ist, hat zwei Gründe: Erstens geht es (im Gegensatz zu den USA) „nur“ um ein paar Tausend Betroffene, und zweitens stellt kaum jemand generell den Sinn des (staatlichen) Strafens in Frage.

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