Nach dem Ball ist vor dem Balltun & lassen

Josef S. über das Gefängnis von Innen, die Eigenarten österreichischer Justiz und Rechtsradikale in der Hofburg

Am 30. Jänner ist es wieder so weit: Im repräsentativsten Haus des Landes, der Wiener Hofburg, wird das burschikose Tanzbein geschwungen. Als vor einem Jahr Tausende gegen den Ball der Rechtsradikalen demonstrierten, wurde einer herausgezogen und zum Zentrum der Aufruhr erklärt. Josef S., heute 24, hat ein halbes Jahr in Untersuchungshaft verbracht und wurde im Juli 2014 (nicht rechtskräftig) verurteilt. Wer den Prozess verfolgt hat, ahnt, dass dieses Ergebnis aus dem Zauberhut der Justiz gezogen wurde – so glaubwürdig wie das weiße Kaninchen.

Während seine Anwält_innen Nichtigkeitsbeschwerde einlegen, ist Josef zurück in Jena, um sein Studium fortzusetzen. In einem kleinen Café in der Jenaer Innenstadt haben wir uns zum Gespräch getroffen.

Foto: Lisa Bolyos

Du bist in Jena aufgewachsen. Wie ist man hier organisiert?

Jena ist nicht so eine riesige Stadt, daher gibt es auch eine begrenzte Anzahl von politischen Menschen. Es gibt das «Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus», das sich früher gegen die Naziaufmärsche in Jena organisiert hat, die üblichen Parteien mit ihrer jeweiligen Parteijugend, antifaschistische Gruppen und mit «The Voice» eine relativ starke Gruppe, in der Refugees sich selbst organisieren.

Gibt es in Jena eine gröberes Neonaziproblem?

Es gab früher mal ein Nazikonzert, das «Fest der Völker», das zweimal in Jena stattgefunden hat. Beim zweiten Mal haben ungefähr fünftausend Leute dagegen protestiert und den Veranstaltungsort umkreist; danach haben die Organisatoren beschlossen, das nicht mehr hier stattfinden zu lassen. Es war dann eine Weile in anderen Städten, und heute gibt es das unter dem Namen gar nicht mehr.

Sind die Gegenorganisierungen zur «Pegida» in Dresden ein Bezugspunkt?

Man beobachtet das; aber es ist nicht machbar, jeden Montag da zu sein. Es geht aber natürlich auch darum, zu verhindern, dass sich die «Pegida»-Bewegung ausbreitet und womöglich Ableger in Jena bildet. Klar ist es erschreckend, wie viele Leute da zusammenkommen. Aber viele von uns haben das schon lange gesagt: dass diese Einstellungen nicht nur bei der NPD, sondern in breiten Teilen der Gesellschaft vorhanden sind.

In kurzer Zeit findet in Wien wieder der «Akademikerball» statt; du hast letztes Jahr auch dagegen demonstriert.

Für den Ball kommen international Leute zusammen, auch die Burschenschaften sind über die Grenzen hinweg vernetzt. In Eisenach, nicht weit von hier, findet das größte Treffen der Deutschen Burschenschaften statt, das ist der Verband, wo auch die meisten österreichischen Burschenschaften dabei sind. Die beschäftigen sich mit Sachen wie dem «Ariernachweis», dass man also nur mit «deutscher Abstammung» zu einer Burschenschaft gehen kann. Gegen diese Kräfte muss man natürlich überall vorgehen, also auch in Wien. Und darum bin ich da hingefahren.

Du wurdest aus der Demo heraus festgenommen. Wie denkst du, dass es dazu kam?

Ich bin relativ groß und hatte auffällige Klamotten an, ich trag eine Brille, also kann man sich gut an mich erinnern, vielleicht sind das Gründe dafür. Man kann nur Hypothesen aufstellen.

Du kamst als einziger in die Untersuchungshaft. Was macht so eine U-Haft-Erfahrung mit einem?

Es ist recht schwierig, das in kurze Worte zu fassen. Man ist erstens in einer sehr tristen Umgebung, man sieht jeden Tag das Gleiche, es passiert einfach nichts. Man wird mit Langeweile aufgerieben, zermürbt, um vielleicht doch noch was rauszukriegen. Außer bei den Besuchen, die man, wenn man Glückt hat, zweimal die Woche für eine halbe Stunde bekommt, ist man aus dem sozialen Umfeld rausgerissen. Wobei jeder Kontakt auch überwacht ist: Die Briefe werden gelesen, die Gespräche mitgehört. Das ist für die Psyche eine sehr schwere Zeit.

Ist man erwachsener, wenn man rauskommt?

Viele Sachen sind danach umgekrempelt. Man muss sich erst wieder daran gewöhnen, dass man einen eigenen Alltag hat. Drinnen ist alles fremdbestimmt, wann die Tür aufgeht, wann es Essen gibt. Dass man selber entscheiden kann, den Tag planen, den Kontakt zu normalen Menschen, zur Familie wieder aufnehmen kann, das ist schon ziemlich schwierig.

Das hat eine Weile gedauert?

Es dauert immer noch an. Ich würde meinen, daran zerbrechen auch viele Menschen. Meine Erfahrung ist, dass Menschen, die öfter drin sind, irgendwann abschließen und sich ihrem Schicksal ergeben. Die haben vielleicht soziale oder psychische Probleme im Leben, aber durch das Gefängnis haben sie überhaupt keine Lust mehr, sich damit zu beschäftigen. Ich war für eine politische Aktion drin, aber wer wegen Drogendealen oder wegen Diebstahl eingesperrt wird, weil er keinen anderen Job findet – dem ist klar, wenn er rauskommt, hat er einen Monat oder ein Jahr, bis er wieder drin ist.

Hast Du noch Kontakt mit Leuten, die du im Gefängnis kennengelernt hast?

Nein. Manche kommen raus, manche werden in Strafhaft verlegt und ich weiß nicht, wohin. Und es ist auch schwierig zu wissen, was man schreiben soll. Man will auch mal die Tür ein bisschen abschließen.

Wie war es, enthaftet zu werden?

Erst einmal musste ich ausschlafen, den ganzen Stress abbauen, der Prozesstag war ja auch sehr anstrengend.

Ihr habt in Bezug auf das Urteil Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt, worauf zielt die ab?

Darauf, dass das Urteil zerrissen und neu verhandelt wird. Entweder auf Freispruch oder auf Wegnahme von Tatbeständen. Es kann zum Beispiel sein, dass der Richter sagt, «Das, was Am Hof passiert sein soll, ist nicht klar genug, also fällt die Sachbeschädigung weg; aber die Steine hat er geworfen».

Wann weißt du mehr?

Das wird lange dauern. Ein Jahr vielleicht.

Bis das Ganze abgeschlossen ist, kannst Du auch kein Einreiseverbot nach Österreich bekommen?

Es gibt keine Konsequenzen, solange das Urteil nicht rechtskräftig ist.

So lange bekommst du also auch keine Haftentschädigung?

Haftentschädigung ist eine andere Frage, die ans Strafmaß gebunden ist. Wenn es zu einem Freispruch kommt, würde mir Haftentschädigung zustehen.

Du wurdest auch nach dem Paragraphen für Landfriedensbruch verurteilt, den Du mehrfach als Gummiparagraphen bezeichnet hast.

Meines Wissens zählt ja im Recht meistens die Unschuldsvermutung: Wenn man nichts genau nachweisen kann, dann gibt es keinen Bestraften. Beim Landfriedensbruch ist das ein bisschen ungeklärt, denn da reicht die «Teilnahme an einer Menschenmenge» aus, «die darauf abzielt, Straftaten zu begehen». Da stellen sich für mich zwei Fragen: Wann zielt eine Menschenmenge darauf ab, Straftaten zu begehen? Also wann gibt es diese massenhafte Beseelung? Und zweitens: Wann bin ich Teil einer Menschenmenge? Die Fragen haben sich auch im Prozess gestellt.

Du hast nicht nur das österreichische Strafrecht, sondern die ganze österreichische Justiz gewöhnungsbedürftig gefunden.

Wenn man in Haft ist, lernt man natürlich relativ viele Sachen kennen, hört viele Geschichten. Ich würde sagen, der massivste Unterschied zwischen Deutschland und Österreich ist die Größe, in Österreich rückt halt alles ein bisschen zusammen. Wenn die Staatsanwält_innen im selben Gebäude sitzen wie die Richter_innen, ist das natürlich ein anderes Verhältnis als hier, wo sie in verschiedenen Städten sind. Man trifft da nicht auf die gleiche Art Absprachen. Man unterhält sich auch beim Prozess ganz anders. Die Anwälte sind in Deutschland nicht per du mit dem Richter, und mit den Zeugen wird auch anders umgegangen. Aber das ist natürlich auch eine Stilfrage.

Als Linke_r ist man ja per se schon nicht der größte Fan vom Rechtsstaat. Erfährt man in so einer Zeit trotzdem nochmal eine Erschütterung?

Klar, man ist von vornherein kritisch gegenüber denen, und nach dem Verfahren umso mehr. Es stellt sich zum Beispiel eine gewisse Nähe zwischen Polizei und Justiz heraus, die dazu führt, dass der Polizei eher geglaubt wird als anderen Zeugen. Wenn auf der Straße einer rumsteht, und der Polizist sagt, du hast Drogen verkauft – was soll man als Gegenbeweis bringen? Das ist dort ein klassisches Beispiel: Viele hatten Marihuana dabei, und es hängt dann auch davon ab, welche Hautfarbe man hat, ob man bei der Polizei zum Dealer wird oder nicht.

Hast Du Dich vorher mit Gefängnis beschäftigt?

Nein, nicht viel. Gefängnis ist immer so weit weg, so ein abstraktes Gebilde. Danach fragt man sich natürlich, ob das Gefängnis der richtige Ort ist, um Menschen zu ändern. Die meisten Straftäter dort hatten soziale oder psychische Probleme; das waren eher traurige Geschichten darüber, wie Leben falsch verlaufen können, wenn jemand nicht das Glück hat, dass Familien oder Freund_innen im richtigen Moment da sind.

Was hattest Du für Strategien, mit dem langweiligen und auch unabsehbar langen Alltag in der Untersuchungshaft umzugehen?

Man muss sich da Aufgaben suchen, irgendwelche Ziele setzen. Sport machen, auch wenn es elendig ist. Probieren zu lesen, wenn es einem liegt. Dieses ewige Fernsehschauen erzeugt so eine Monotonie, die alles eigentlich nur schlimmer macht. Ich glaube, man sollte auch offen auf die anderen Mitgefangenen zugehen, das sind alles nette Menschen.

Wird das möglich gemacht?

Es wird in erster Linie verhindert. Man hat bis auf die Stunde Ausgang eigentlich kaum Kontakt mit den anderen, abgesehen von den Leuten, die mit dir in der Zelle sitzen. Aber man findet schon Leute, die einem helfen. Irgendwie muss man zusammenhalten, und wenn uns was stört, können wir das den Wärtern gemeinsam auch sagen.

Wie war das Verhältnis zu den Wärtern?

Am Anfang eher angespannt. Alle waren sich ziemlich sicher, dass ich der große Rädelsführer bin. Später, als dann Sachen aus dem Verfahren rauskamen, haben sie selber ein bisschen gezweifelt. Aber sie hatten mit mir auch immer eher Stress – weil ich einen Anwalt im Rücken hatte, der das Gesetzbuch lesen konnte, und es hat ihnen nicht gefallen, dass ich viele Sachen durchgesetzt habe.

Was für Sachen zum Beispiel?

Anfangs hat mir die Staatsanwaltschaft das Besuchsrecht von nicht-Verwandten verweigert, weil angeblich der Besuch den Sinn der U-Haft untergräbt oder die Sicherheit der Anstalt gefährdet, sprich, weil ich der Rädelsführer bin oder weil meine Freund_innen die Anstalt in die Luft sprengen wollen… Und mir wurde zuerst verweigert, dass ich meine Lehrmittel, Zeitschriften und Bücher bekomme.

Das Wachpersonal ist halt auch unterbesetzt. Zum Beispiel gab es Freizeitmöglichkeiten wie einen Fitnessraum, aber der konnte nicht benutzt werden, weil es kein Personal dafür gab.

Entwickelt man gar ein solidarisches Verhältnis zu den Wärtern, weil ihre Arbeitsbedingungen schlecht sind?

Mitgefühl hab ich keines. Klar muss man irgendwie Geld verdienen, aber Jobs wie Securities, Fahrscheinkontrolleure und Haftwärter, da entscheidet man sich bewusst für die Unterdrückung anderer Menschen. Das System Knast könnte nicht aufrechterhalten werden, wenn niemand mitmacht. Aber klar, aus arbeitsrechtlicher Sicht wünsch ich ihnen Verbesserungen.

Du hast erzählt, dass Du im Gefängnis Ministrant warst. Wie kamst Du dazu?

Alle zwei Wochen kann man zum Gottesdienst gehen – etagenweise, und die müssen drauf achten, dass nicht irgendwelche Komplizen zusammenkommen, offiziell (lacht). Inoffiziell gibt es schon ein paar lustige Sachen, wenn Leute nicht aufgepasst haben und Komplizen plötzlich gemeinsam im Warteraum saßen.

Es gibt jedenfalls vier Seelsorger und einen Imam, die sich um die Gottesdienste kümmern, aber auch so rumkommen und sich erkundigen, wie es dir geht. So habe ich den Pfarrer Hofmüller kennengelernt. Er wollte auf seine Art und Weise dazu beitragen, dass das ganze ein bisschen weniger schlimm ist. Die Pfarrer gehören zu den wenigen vernünftigen Menschen, die ich da drin getroffen habe.

Warst du vorher auch schon einmal Ministrant?

Nein, das war das erste Mal. Ich bin nicht supergläubig. Es war eine Option, für ihn zu arbeiten und damit ein bisschen aus der Zelle rauszukommen. Andere Jobs habe ich nicht bekommen, weil ich ja als Gefahr galt, aber die Ministranten suchen sich die Seelsorger selber aus. Da hat das Gericht nicht viel zu sagen. Das ist sozusagen der Vorteil von Religionsfreiheit.

Wie ging es dir mit der Medienaufmerksamkeit?

Durch die Aufmerksamkeit der Medien und der Botschaft waren sicher ein paar Sachen einfacher oder wurden beschleunigt. Und die anderen Gefangenen haben mich natürlich gekannt, ich war eine Prominenz (lacht), «letztens im Radio gab’s wieder einen Bericht», haben sie gesagt. Die Berichterstattung hat auf jeden Fall nicht geschadet. Auch für den kommenden Akademikerball gilt vielleicht, dass die Polizei, wenn sie dreifach und vierfach unter Beobachtung steht, die Leute aus dem Gefängnis eher gleich wieder rauslässt. Und es ist nett, im Gefängnis mal von Journalist_innen besucht zu werden, dann hat man eineinhalb Stunden Entspannung und sieht mal wen anderen als den Anwalt.

Deine Eltern hatten einen großen Schreck und haben dann damit umzugehen gelernt?

Kann man so sagen. Großer Schreck, und dann ist es irgendwann auch Alltag. Aber es bleibt diese krasse Ohnmacht. Ob sie wollen oder nicht, ich bin da drinnen bis zum Urteil. Oder bis irgendein Richter sagt, ich komm da raus. Das ist schon schwierig für Eltern, die immer für mich sorgen konnten, wenn was passiert ist: Die können mit mir lernen, wenn ich schlecht in der Schule bin, die können mit mir reden, wenn ich Probleme hab, die können mir einen Job suchen; aber in so einem Fall können sie nichts machen, außer mir Anwälte zu besorgen und mir Geld zu geben, dass ich ein bisschen was kaufen kann.

Wie wurde Dein «Fall» in Jena wahrgenommen?

Zum einen gibt es einen recht aktiven Bürgermeister, der sich selber auch gegen Naziaufmärsche engagiert. Der hat mit meinen Eltern geredet und hat nach einer Weile für sich entschieden, mich auf seine Art zu unterstützen. Ich habe von der Stadt Jena auch den Zivilcourage-Preis verliehen bekommen, für mein generelles Engagement, aber eben auch wegen der Sache in Wien.

Kurz vorher gab es den Fall von Lothar König, der in Dresden der «Rädelsführer» gewesen sein soll, und daraufhin hat man meinen Fall sich auch anders aufgenommen und gesagt: Langsam wird das absurd.

Lothar König wurde freigesprochen?

Der Prozess wurde eingestellt und er muss dreitausend Euro für die Einstellung bezahlen. Wegen geringer Schuld. Aber das ist auch eine Frage von Zeit und Geld. Wenn man weiß, welche Dimensionen so Anwält_innen kosten, weiß man auch, dass man froh ist, wenn man dreitausend Euro zahlt und das ist vorbei.

Eine Frage von Geld ist es bei Dir sicher auch.

Ich habe das Glück gehabt, dass die Soligruppe zumindest für den ersten Prozess einen Anwalt bezahlen konnte, und es stehen noch ein paar Kosten aus: die Prozesskosten vom ersten Prozess, Anwaltskosten, Prozesskosten für das Berufungsverfahren, Nichtigkeitsbeschwerde, plus der Schadenersatz, den die Polizei für das Polizeiauto fordert, das ich zerstört haben soll.

Wie hoch sind die Prozesskosten bisher?

Das weiß ich nicht, weil noch keine Rechnung gestellt ist. So ein Gutachten, von dem zwei erstellt wurden, kostet um die viertausend Euro aufwärts. Also im fünfstelligen Bereich.

Du studierst weiterhin?

Ich studiere weiter Materialwissenschaften, und ich möchte mich bei meiner Uni bedanken. Manche Professoren haben relativ flexible Lösungen gefunden, und ich kann, bis auf den zeitlichen Verlust, einfach weitermachen. Klar braucht’s wieder Anlaufzeit, aber es wird schon. Und im Gegensatz zu denen der meisten anderen Häftlinge bleiben meine Perspektiven ja bestehen.

Kommst du heuer nach Wien zur Demo?

Nein. Es ist ein zeitliches Problem und ich habe ein laufendes Verfahren, da muss man auch ein bisschen entspannt sein. So sehr mag ich die Josefstadt auch nicht, dass ich ein zweites Mal sitzen will.

Das Gespräch führte Lisa Bolyos.

Infos zum Ball unter dem Stichwort «Burschis ausfuchsen» auf www.facebook.com