Ohne Franz Sedlak wäre die Obdachlosenhilfe in Wien einfallslosertun & lassen

Arbeit ohne Winkelzüge

Zuerst war er Elektriker. Dann elektrisierte ihn das soziale Thema. Er zählt zu den MitbegründerInnen des WUK. Er löste die ARGE Nichtsesshaftenhilfe, deren Obmann er nach wie vor ist, aus dem Rahmen der Caritas. Er leitet heute ein Beschäftigungsprojekt für Exhäftlinge. Er unterrichtet zukünftige SozialarbeiterInnen. Gerne würde er sie wieder etwas aufmüpfiger sehen. Aber er weiß auch, dass die herrschende soziale und ökonomische Lage den aufrechten Gang nicht befördert. Der Augustin bat Franz Sedlak vors Mikrofon.Franz Sedlak war schon 32 Jahre alt, als er zum Diplsoz wurde, zum diplomierten Sozialarbeiter. Im Bahnhofsozialdienst, in den Siebzigerjahren noch d a s Zentrum der Obdachlosenarbeit in Wien, infizierte ihn die sozialarbeiterische Aufbruchstimmung, in der die Bevormundungsanfälligkeiten der herkömmlichen (zum Teil missionarisch motivierten) Armenarbeit in Frage gestellt wurden. Der Begriff Experiment war noch kein Unwort, die Nach-68er-Generation der SozialarbeiterInnen erstaunte die SandlerInnen, die nun in noch unvertraut klingender Sprache erfuhren, sie hätten das Recht auf Kommunikation, das Recht auf Freiräume in dieser Stadt.

Franz Sedlak und seine KollegInnen entwickelten die Idee eines Tageszentrums für die Obdachlosen der Hauptstadt, als Ergänzung zu den Erstanlaufstellen, die am Südbahnhof und am Westbahnhof, zum Teil rund um die Uhr geöffnet, existierten. Der Wohnungslosenclub in der Humboldtgasse und erste Beschäftigungsexperimente waren die Resultate dieser Emanzipation der sozialen Arbeit aus dem traditionellen „missionarischen Stil“ der Randgruppenarbeit, zunächst geschah das noch im Rahmen der Caritas Wien, des Trägervereins des Bahnhofsozialdienstes.

Bahnhof gestern, Bahnhof heute: Niemand könnte trefflicher als Franz Sedlak einen Vergleich versuchen. „Auch in meiner Zeit sind die Obdachlosen immer wieder von der Bahnhofsverwaltung mit Hilfe der Polizei verscheucht worden. Allerdings nicht so systematisch wie heute, und noch nicht durch private Wachdienste, die sich Polizeikompetenzen anmaßen. Die Bahnhöfe sind als Anlaufstelle nicht nur für Obdachlose, sondern für alle, die in eine unangenehme Situation geschlittert sind, prädestiniert. Bahnhöfe sind immer offen, Bahnhöfe sind einladend, Bahnhöfe fallen einem als erstes ein, wenn man in Not ist. Es wäre also aus meiner Sicht sinnvoll gewesen, den Bahnhofsozialdienst zumindest am Westbahnhof zu belassen. Leider passt das gar nicht mehr in das Konzept des Bundesbahnmanagements, das die großen Bahnhöfe in Kaufhäuser verwandeln will, in der Randexistenzen zunehmend unerwünscht sind. Heute hat die soziale Ausgrenzung, das Wegschieben, eine neue Dimension erreicht, die cleanen Bahnhöfe sind nur ein Ausdruck dieser Tendenz.“

Der notwendige Abschied von der Caritas


Noch in Kooperation mit der Caritas entstand ein Möbellager- und Wohnungsräumungs-Arbeitsprojekt, das vor allem den KlientInnen des erwähnten ersten Obdachlosenclubs zugute kam. Als ARGE Nichtsesshaftenhilfe – heute ARGE Wien genannt -musste sich dieses experimentelle Proto-Beschäftigungsprojekt von der Caritas Wien lösen, die damals für solcherlei Innovationen noch nicht offen war. Der neue Verein lieferte rasch den Beweis, dass auch mit so genannten „Schwervermittelbaren“ mehr und Sinnvolleres zuwege zu bringen ist als therapeutische Basteleien. Nullsubventionen in der ersten beiden Jahren bedeuteten für Franz Sedlak: Jahre der Selbstausbeutung.

Der Vorteil dieser Durststreckenerfahrungen: Als später die ersten Subventionen auf die ARGE Wien tröpfelten, war dem Verein die Kunst der Eigenfinanzierung vertrauter als den meisten anderen sozialen Beschäftigungsprojekten, die nach und nach entstanden. Der Lohn des relativ hohen Grads der Selbstfinanzierung ist die Unabhängigkeit, die der ARGE auch heute noch erlaubt, eigene Wege in der Wohnungslosenarbeit zu beschreiten. Unabhängigkeit gegenüber der Stadtverwaltung und – in der aktuellen Phase von besonderer Bedeutung Unabhängigkeit gegenüber dem AMS.

Dieses kündigte im vergangen Jahr den Vertrag mit der ARGE Wien. Der Vorwurf: die ARGE erfülle die Auflagen nicht, die die Voraussetzung der Mitfinanzierung von sozialen Beschäftigungsprojekten durch das AMS sind. Es geht um die Weitergabe intimer Daten der in der ARGE Beschäftigten an das AMS. „Daten zur Befindlichkeit, zur Persönlichkeit, zur Integrationsbereitschaft der KlientInnen“, erläutern die besorgten ARGE-MitarbeiterInnen. Franz Sedlak fand die Vorgangsweise des AMS datenschutzrechtlich höchst bedenklich. Bei anderen Beschäftigungsprojekten hat es das AMS leichter, an die gewünschten Daten heranzukommen – weil diese Projekte in der Regel leichter unter Druck gesetzt werden können. Wie sollte sich ein sozialer Verein, für den ein Eigenfinanzierungsanteil, wie ihn die ARGE erreicht hat, aus objektiven Gründen nicht machbar ist, von der Vormundschaft des AMS lösen? Dass das AMS mit persönlichen Daten bedenklich umgeht, konstatierte auch das Bundeskanzleramt, sagt Franz Sedlak. Ein diesbezügliches Erkenntnis wurde dem AMS übermittelt. „Wir glauben beweisen zu können, dass wir auch sonst unseren Verpflichtungen dem AMS gegenüber sehr wohl nachgekommen sind. Wir haben die verlangte Quote der Vermittlungen unserer Beschäftigten in den regulären Arbeitsmarkt erfüllt“, erklärt Sedlak. Er hofft, dass in der Angelegenheit ARGE-AMS noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.

Das offene Geheimnis der Pseudovermittlungen


Wir haben die Quote erfüllt, und zwar ohne Tricks, fügt er hinzu. Insider der sozialen Arbeit wissen, worauf er anspielt. Aus Angst, die Förderungskriterien des AMS nicht zu erfüllen, ist in der Welt der sozialtherapeutischen Arbeitsprojekte die Unsitte der Pseudo-Integration quasi zur Institution geworden. Was als Integrationsschritt verkauft wird, sind oft nur Kurzgastspiele von „Problemfällen“ in der Wirtschaft, die in Wahrheit nur für die Fittesten offen ist. Die Scheinvermittlung von Schwervermittelbaren, ein offenes Geheimnis, ist zur schlechten Gewohnheit einer (von SozialarbeiterInnen leider zunehmend mitgetragenen) Praxis der Mystifikation geworden, einer offiziell abgestützten Spiegelfechterei, einer Manipulation der Integrationsbereitschaft des „ersten Arbeitsmarktes“.

Weniger echauffiert ausgedrückt, so zurückhaltend, wie es Franz Sedlak formulieren würde: Die Verweildauer der Schwervermittelbaren in der „regulären“ Wirtschaft ist relativ kurz, viele der Vermittelten sind rasch wieder „freigesetzt“, haben aber auch durch noch so kurzes Verweilen dazu beigetragen, dass das entsprechende Sozialprojekt die vom AMS auferlegte Vermittlungsquote formell einhalten kann. Die Unabhängigkeit der ARGE Wien ermöglichte auch neue Wege in der Wohnungsversorgung. Die Wohnheime der ARGE zeichnen sich durch eine große Zurückhaltung im Etablieren restriktiver Regeln aus. Die Luft in den ARGE-Einrichtungen ist z.B. entschieden freier als in den Armenasylen unter städtischer Verwaltung. Pars pro toto: ARGE-MitarbeiterInnen gehen davon aus, dass ein Alkoholverbot kontraproduktiv ist.

Was haben ARGE-Wohnheime, was andere nicht haben?


„Es begann mit dem Kontakt zu Pflegeheimen wie Lainz, die wohnungslose Personen in Betreuung hatten“, erinnert sich Franz Sedlak. „Sie waren nicht pflegebedürftig, sondern lebten nur deshalb in solchen Heimen, weil sie keine eigene Wohnung hatten. Jeder Tag in einer solchen Pflegestation kostet so viel wie die Unterbringung eines Obdachlosen einen ganzen Monat lang, rechneten wir vor. Unser Vorhaben war also, die Wohnungslosen aus diesen Pflegeheimen heraus zu holen. So entstand das erste ARGE-Wohnheim für ehemals obdachlose Senioren, finanziell unterstützt durch das Austropoptrio Ambros, Danzer und Fendrich. Es brauchte nur wenige Tage, und das Wohnheim war voll.“ Mittlerweile gibt es drei solcher Wohnheime unter ARGE-Trägerschaft.

Wenn heute GemeindepolitikerInnen behaupten, jedem Obdachlosen in Wien, der ein Bett brauche und auch wolle, könne ein solches vermittelt werden, haben sie Widerspruch verdient, meint Sedlak. In der Realität ist der Bedarf an Unterkünften nicht gedeckt. Seine Schätzung: In Wien fehlen rund 200 Plätze im Jahresdurchschnitt.

In der Fachhochschule für Sozialarbeit unterrichtet Franz Sedlak, wie vormals in der Sozialakademie, das Fach Wohnungslosenhilfe. Sind ausgebildete SozialarbeiterInnen heute braver als in den 70er- und 80er Jahren, wollen wir vom Herrn Lehrer wissen. Erstens steige mit der zunehmenden Unsicherheit am Arbeitsmarkt allgemein der Anpassungsdruck, was auch unter SozialarbeiterInnen zu einem Verhalten der Vorsicht führen könne, zweitens werde in der Ausbildung auf das Durchschauen gesellschaftlicher Zusammenhänge nicht mehr großer Wert gelegt, vermeidet Franz Sedlak jede Ungerechtigkeit im Urteil über die zeitgenössische Sozialarbeitergeneration. „Ich glaube, sagen zu können, dass die Studierenden früher aufmüpfiger waren – allerdings unter anderen ökonomischen Rahmenbedingungen, die sich positiv auf die Bereitschaft zur Kritik und zur Debatte auswirkten.“

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