Ohne Muslime kein Europatun & lassen

Das goldene Wienerherz und die hyperemotionale Islam-Debatte

Die meisten Medien unterscheiden nicht ausreichend zwischen Islam als Religion und Islamismus als politische Ideologie. Beim Thema Integration wird eher polarisiert und emotionalisiert als informiert. Das Internetportal Qantara bietet sich als Gegenlektüre an. Wenn auch zu befürchten ist, dass die «Mutter» der Brigittenauer MoscheegegnerInen, Hannelore Schuster, andere «Informationsquellen» vorzieht: Für die Auseinandersetzung mit der grassierenden Islamophobie ist Qantara hilfreich.Ginge es Hannelore Schuster wirklich darum, für Sachlichkeit in der Debatte um die «Abendland»-Kompatibilität des Islam zu sorgen, könnte sie das in diesem Augenblick durch wenige erste Signale im Inhalt ihrer Website demonstrieren. Wir schlagen folgende Maßnahmen vor: Erstens, die Löschung des Leitspruchs «Wo der Halbmond aufgeht, geht das goldene Wienerherz unter»; die Kritikerin «islamischer Hasspredigten» ist bisher taub gegenüber dem Vorbehalt, ein solcher Slogan sei als Motto einer katholischen Hasspredigt geeignet. Zweitens, die Einrichtung eines Links zur Internet-Plattform http://de.qantara.de, eine Quelle von Informationen über die ambivalente Realität des Islam und über den innermuslimischen Dialog.

In den meisten Medien wird die Debatte über den Islam emotional überladen und wenig sachorientiert geführt. Frau Schusters Weltbild spiegelt diese Medien wider, die Medien wiederum spiegeln die Positionen Frau Schusters wider, die sie als Verbalisierung der Stimmung «der Straße» oder «der Basis» verharmlosen. Wenn sich die Medien an die «Basis» halten und die Stammtische dieser Basis an die Medien wer denkt da nicht an die klassische «Huhn oder Ei»-Frage? Was ist Ursache? Was ist Wirkung?

Abgesehen davon, dass auch in Österreich die Migrantinnen aus muslimischen Ländern mehrheitlich der Religion ebenso fern stehen wie die so genannten Taufscheinchristen den christlichen Glaubensinhalten, ist der Islam in sich differenzierter als er in den Klischees, die Hannelore Schuster geläufig sind, gezeichnet wird. Qantara reflektiert diesen innermuslimischen Pluralismus; eine Lektüre weniger zufällig gewählter Texte reicht, um den Unsinn des pauschalierenden Geredes über DEN Islam zu durchschauen.

Aufschlussreich etwa der Briefwechsel zwischen Heba Raouf Ezzat und Emran Qureshi zur Frage, ob die Scharia, das traditionelle islamische Normensystem, mit den Menschenrechten vereinbar sei. Emran Qureshi ist Buchautor und Experte für Islam und Menschenrechte an der Havard University, Heba Raouf Ezzat ist Dozentin für Politologie an der Universität Kairo.

Die Scharia, wie sie zur Zeit in vielen muslimischen Ländern praktiziert wird, sei nicht mit der Universellen Menschenrechtserklärung vereinbar, ist Qureshis einleitende These. Sie stelle eine Quelle der Ungerechtigkeit dar, die den Islam entwürdige und jene Muslime beschäme, die sich an eine barmherzige Interpretation ihres Glaubens halten. Das bedeute aber nicht, dass eine menschlichere Scharia unvorstellbar sei. Das gegenwärtige Klima des Kalten Krieges zwischen dem Westen und dem Islam mache jedoch die Ausbreitung einer liberalen, menschlichen, weicheren Scharia unwahrscheinlich. «Wir sind mit dem Anti-Intellektualismus, dem Autoritarismus und der moralischen Verworfenheit der selbsternannten Wächter der Scharia konfrontiert», erklärt Qureshi.

Die Gewalt in den muslimischen Ländern, die oft wie Saudiarabien Verbündete des Westens sind, werde meist vom Staat ausgeführt und gehe auf die post-koloniale Ära zurück, erwidert Heba Raouf Ezzat. Damals sei versucht worden, die Scharia zu beseitigen. «Die neu entstandenen säkularen, sozialistischen Regime waren aber totalitär. Ihre Vertreter manipulierten die bis dahin unabhängigen religiösen Institutionen und ernannten deren Leiter. Der Islam wurde zu einem Strafgesetzbuch und dazu benutzt, Menschenrechte zu missachten.» Eine nicht mehr vom politischen Islamismus okkupierte Scharia könne eine Plattform werden, die die Menschen ermächtige und ihre Rechte gegen Totalitarismus und Ultra-Kapitalismus schütze, meint die ägyptische Politologin. Sie könne weltweit eine egalitäre Kraft für demokratische soziale Gerechtigkeit sein.

Zukunftsmusik, antwortet Emran Qureshi. Die Scharia könne natürlich einmal eine positive Kraft für Veränderung sein, doch heute sei die Realität des islamischen Rechts eine andere; und deren Brutalität sei hausgemacht. Qureshi zählt Beispiele auf: In einigen Teilen der muslimischen Welt wie in Pakistan und Nigeria werden Frauen, die vergewaltigt worden sind, nach Schariagesetz der Unzucht angeklagt. In Saudi-Arabien werden zur Strafe oft Körperteile amputiert. Unter der Herrschaft der Taliban wurden Frauen im Namen des Islams grundlegende menschliche Freiheiten wie Mobilität, Ausbildung und Gesundheitspflege vorenthalten. «Viele islamische Intellektuelle aber und das ist eine Schande haben sich zu diesen Verbrechen nicht geäußert». Dass der Kolonialismus ein Desaster für die Muslime war, «weil er zu pathologisch reaktionären islamistischen Ideologien und despotischen Staaten führte, die sich nicht vor Gewalt scheuen», sei eine Tatsache.

Heba Raouf Ezzat ist weit davon entfernt, die Missbräuche zu leugnen. Aber in diesen Fällen, sagt sie, sei die Scharia eben manipuliert worden. »Gräueltaten kommen auch in nicht-muslimischen Ländern vor, in denen andere kulturelle und religiöse Werte als die der Scharia missbraucht werden. Wir dagegen müssen besser verstehen, warum Menschen Gewalt anwenden. Sonst fahren wir fort, Muslime und ihre Kulturen als barbarisch und die Scharia als Wurzel allen Übels zu betrachten. Das hieße, dass Muslime nur auf eine Zukunft hoffen können, wenn sie den Islam im öffentlichen Leben trivialisieren. Das wäre nicht fair.»

Die von Qantara wiedergegebene Rede des in Genf lebendenden, umstrittenen Vertreters der europäischen Muslime, Tariq Ramadan, bei der Tagung »Muslime und Juden im christlichen Europa liest sich wie eine Replik auf Hannelore Schusters These der Unveinbarkeit islamischer Werte mit den Werten des «christlichen Abendlandes». Der Halbmond ist aus Schusters Perspektive nicht nur die Negation des Goldenen Wienerherzens, sondern auch eine Verneinung Europas. «Der Islam ist Teil der europäischen Identität», postuliert dagegen Ramadan. Europa brauche die Einwanderer. Es könne sich seinen Lebensstandard ohne sie nicht leisten. Also müsse es mit ihnen leben. Europa müsse begreifen, dass die Integration der Muslime kein Projekt mehr ist, sondern Realität.

«Man verlangt von uns bessere Europäer zu sein, als die Europäer selbst es sind», ärgert sich Tariq Ramadan: «Es hat lange gedauert, bis man in Deutschland begriff, dass es die deutschen Juden waren, die zuerst Deutsche waren. Die meisten Deutschen fühlten sich als Hessen, Frankfurter, Bayern, Pfälzer, bevor sie sich als Deutsche begriffen. Die Juden hatten keine Chance, sich als Bayern zu begreifen. Sie wollten Deutsche sein. Vielleicht befindet sich Europa heute in einer ähnlichen Situation. Die Iren sind zuallererst Iren, die Dänen Dänen, die Deutschen Deutsche, die Belgier zuerst Flamen oder Wallonen; den Einwanderern, denen es verwehrt wird, Iren, Dänen, Deutsche zu werden, von denen aber verlangt wird, europäischer zu sein, als die Europäer es jemals waren, bleibt nichts anderes übrig, als Europäer zu werden. Sie werden die ersten wirklichen Europäer sein. Ohne Muslime kein Europa.»

Im Übrigen, für die meisten MigrantInnen aus muslimischen Ländern stellen sich religiöse Fragen die unter anderen von Hannelore Schuster als Integrationsproblem Nummer 1 ins Feld geführt werden gar nicht. Laut Umfragen, so Ramadan, seien 80 Prozent der in Europa lebenden Einwanderer aus muslimischen Ländern keine praktizierenden Moslems. «Sie werden dennoch argwöhnisch beobachtet und einem Klima des Verdachts ausgesetzt. Es genügt nicht, Steuern, Kranken- und Pensionsversicherung zu bezahlen, seine Pflichten als Staatsbürger zu erfüllen, gesetzestreu zu sein. Trägt man einen fremden, arabisch oder türkisch klingenden Namen, werden immer neue Loyalitätsbeweise verlangt.» Bürgerinitiativensprecherin Hannelore Schuster, selbsternannte Verkörperung des Goldenen Wienerherzens, verlangt besonders viele Loyalitätsbeweise. Darunter den Verzicht auf den Ausbau des Islamischen Zentrums in der Brigittenau.