Panorama ist auch eine Art zu denkentun & lassen

Palästinenser, Beduinen oder Hirten, ganz klein am Horizont ...

Den Blick von weitem oder von oben auf bestimmte Menschen herab, die als Teil der Landschaft dargestellt werden, liebten europäische Panorama-Fotografen im 19. Jahrhundert in Palästina. Dem israelischen Künstler Tal Adler schauen seine Foto-Subjekte genau ins Auge. Dem Augustin erzählte er über seine Arbeit in den offiziell nicht anerkannten Beduinendörfern in Israel. Für manche bedeutet politische Kunst verstärkt Politik. Kunst wird nur als Mittel verwendet, um den Menschen politische Ziele näher zu bringen für andere steht die Kunst im Vordergrund. Was ist für dich wichtiger?



Seit fünf Jahren arbeite ich mit den unrecognized villages, den nicht anerkannten beduinischen Dörfern in der Wüste Negev. Ich versuche ein Projekt auf eine konstruktive Art so zu gestalten, dass künstlerische Aspekte und politische Werte Hand in Hand gehen und unzertrennbar sind. Wenn du eine klare Agenda hast und Kunstsprache und Kunstcodes kennst, ist das nicht schwierig. In dem Projekt mit den unrecognized villages hätte man leicht in die Fallen des Orientalismus oder der ethnografischen Fotografie tappen können. Herz des Projektes ist eine Wanderausstellung von Fotos und Geschichten, eine von jedem der vierzig nicht anerkannten Dörfer. Für die fotografische Sprache, die ich für das Projekt entwickelte, benutzte ich Panorama-Proportionen. Wenn du die Geschichte des Genres der Panorama-Fotografie anschaust, so besteht sie zumeist in sehr eindrucksvoller Landschafts-Fotografie.

Der Grand Canyon z. B. ist ein beliebtes Motiv. Normalerweise dominiert in dieser weiten Panorama-Fotografie die Landschaft. Es ist Romantizismus. Du siehst zumeist keine Menschen, und wenn es Menschen in diesen Fotografien gibt, sind sie ganz klein, als Teil der Natur. Die Natur ist stärker und mächtiger, beinahe göttlich. Es ist eine göttliche Natur und der Mensch ist irgendwo ganz klein am Horizont. Und das entspricht genau der Weise, in der die erste zionistische Führerschaft, bis heute eigentlich, die Beduinen in der Wüste Negev betrachtet. Nicht nur die Beduinen, auch die Palästinenser, die Leute, die schon vor ihnen hier waren.

In seinem berühmtesten Zitat spricht David Ben Gurion von Israel/Palästina und sagt: Es ist ein Land ohne Leute für Leute ohne ein Land. Das ist ein zionistisches Mantra. Wenn du frühe Fotos aus dem 19. und 20. Jahrhundert für Palästina anschaust egal ob es jüdische Fotografen sind oder nicht, sie sind immer Europäer und siehst du Palästinenser, Hirten oder Beduinen, stehen die Figuren klein, am Horizont, mit ihren Schafen und einer Flöte, die Sonne hinter ihnen sehr romantisch, sehr orientalisch. Ich nahm dieses Panorama-Format, machte jedoch Porträts. Meine Fotos sind sehr scharf, mit realistischer Farbe, die Person schaut dem Betrachter direkt ins Auge. Sie erzählt ihre Geschichten aus erster Hand. Ich bemühte mich sehr, eine romantische oder ethnografische Annäherung zu vermeiden. Und die Panorama-Betrachtung von Menschen zu stoppen. Panorama ist auch eine Art zu denken.

Wie lief die Zusammenarbeit mit den Beduinen ab?

Bevor ich mit dem Projekt begann, besuchte ich die repräsentativen Organisationen der unrecognized villages im Negev wie The Regional Council of the Unrecognized Bedouin Villages in the Negev. Es gibt Komitees in den Dörfern und ein Repräsentant von jedem Dorf kommt zur Versammlung. Der Staat Israel erkennt diese Dörfer mit ihren 500 bis 5000 Einwohnern nicht an. Sie sind Bürger genau wie ich, jedoch muslimische Araber, aber ihre Dörfer gehören zu keiner Gemeinde. Denn der Staat Israel behauptet, Eigentümer dieses Raumes zu sein, und die Beduinen beanspruchen als indigene Bewohner den Platz für sich. Es ist ein territorialer Konflikt. Nachdem ich mich damit lang auseinander gesetzt und dazu viel recherchiert habe, kann ich sagen, dass die Beduinen, die seit Hunderten von Jahren dort leben, zu hundert Prozent im Recht sind. Ich stellte mich bei der Organisation vor und sagte: Ich kann als Künstler eure langjährige Kampagne zur Anerkennung der Dörfer mit künstlerischen Mitteln unterstützen. Als die erste Ausstellung eröffnete, bedeutete das ein unglaubliches Event. Die Beduinenführer kamen zur Vernissage nach Tel Aviv. Hunderte von Beduinen reisten mit Autobussen aus den Dörfern an, was sie Stunden kostete. Als Initiator der Kampagne stand ich vor der panoramaartigen Herausforderung, die Geschichte jedes einzelnen Dorfes auf eine Weise, die die Bewohner aussuchten, zu präsentieren.



Auf welche Weise war die Verbindung zwischen Kunst und Politik für die kommende Ausstellung Overlapping Voices. Israeli and Palestinian Artists ein Kriterium?

Die Zionisten feiern im Jahr 2008 sechzig Jahre Staat Israel und die Palästinenser gedenken 60 Jahre Nakba. Nakba ist das arabische Wort für Desaster. Die palästinensische Diaspora ist nur ein Teil des Desasters. Das Datum bedeutet zwei Seiten der gleichen Münze. Wir wollen zeigen, wie verschieden KünstlerInnen aus Israel/Palästina denn für mich ist es nicht Israel oder Palästina, für mich ist es irgendwie eine verrückte Suppe mit dieser Realität umgehen. Overlapping Voices ist keine politische Kampagnen-Ausstellung, die für oder gegen etwas auftritt, sondern eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Komplexität der Situation, der crazy soup. Wir wollen Kunstwerke zeigen, die über die normalen Dichotomien hinausgehen Armee versus Terroristen, Juden versus Araber, Ashkenasi versus Mizrahi …

Info:

Overlapping Voices. Israeli and Palaestinian Artists, Essl-Museum, 15. Mai26. Oktober. Tal Adler ist, gemeinsam mit Amal Murkus und dem rites-institute (Friedemann Derschmidt und Karin Schneider), Kurator der Ausstellung. Sein Projekt mit den unrecognized villages wird in der Ausstellung in erweiterter Form zu sehen sein.