Pass auf, kleine Hand, was du tusttun & lassen

Der öffentliche Raum ist nicht mehr für alle öffentlich

«Der Bürger, der den übel riechenden Betrunkenen, den rüpelhaften Jugendlichen oder den aufdringlichen Bettler fürchtet, drückt nicht lediglich seine Abneigung gegenüber ungehörigem Verhalten aus. Er drückt ebenso ein Stückchen Volksweisheit aus, die eine zutreffende Verallgemeinerung enthält, nämlich dass ernst zu nehmende Straßenkriminalität in Gegenden floriert, in denen ungeordnetes (disorderly) Benehmen ungehemmt geschehen kann.» (Wilson/Kelling, 1996; Broken Windows Theorie)Dies ist der schlichte Kern der pseudowissenschaftlichen Begründung für die spätmoderne Kriminalprävention durch Nulltoleranz. In wenigen Sätzen wird angesprochen, was den «anständigen» Bürger bedrängt, nämlich das schlechte Benehmen und unangepasste Verhalten der Außenseiter, die Unordnung, die gewöhnliche Straßenkriminalität sowie die Furcht des Bürgers davor. Die Überwachung und «Säuberung» des öffentlichen Raums wird zum Programm und erhält die notwendige «wissenschaftliche» Legitimierung.

Grundsätzlich kann zwischen öffentlichem Raum, halböffentlichem Raum und privatem Raum unterschieden werden. Als öffentlicher Raum werden einmal jene Gebiete im staatlichen (bzw. kommunalen) Eigentum, die auch von der öffentlichen Hand verwaltet werden, bezeichnet. Also: öffentliche Verkehrsflächen für Fußgänger-, Fahrrad- und Kraftfahrzeugsverkehr, Parks, Plätze. Diese Bedeutungsebene setzt an den Eigentumsrechten an. Eine zweite Bedeutung bezieht sich auf die Ableitung des Begriffs von offen. Öffentlicher Raum als ein Ort, der für alle offen ist. Komplexer ist die dritte Bedeutungsebene, nämlich Öffentlicher Raum als ein Ort von Öffentlichkeit, der damit zum Raum von Politik und politischer Willensbildung wird.

Halböffentliche Räume sind Räumlichkeiten, die sich zwar privat zuordnen lassen, im Rahmen ihrer Zweckbestimmung nach aber öffentlich zugänglich sind. Beispiele: Einkaufszentren, Shopping-Malls, Passagen, Bahnhöfe, Airports, Fußballstadien etc. In halböffentlichen Räumen bestimmt das Hausrecht, das meist von privaten Sicherheitsdiensten durchgesetzt wird, das Verhalten und steuert den Zugang. Letztlich können auch geschlossene Wohnsiedlungen (gated communities) mit Zugangskontrolle als halböffentliche Räume bezeichnet werden.

Ein Beispiel für eine Hausordnung im halböffentlichen Raum (Sony Center Berlin):

Feilbieten von Waren, Straßenmalereien, Musizieren oder andere Auftritte sowie Vorführungen jeder Art sind ohne schriftliche Genehmigung durch das Center Management nicht erlaubt.

Betteln und Hausieren sind nicht gestattet.

Für das Verteilen von Werbematerial, das Anbringen von Plakaten, Kundenbefragungen, das Sammeln von Spenden, die Durchführung von Demonstrationen und politischen Aktionen aller Art benötigen sie eine schriftliche Genehmigung durch das Center Management.

Das Sitzen ist nur auf den dafür bereitgestellten Bänken, nicht jedoch auf den Treppen erlaubt.

Der Genuss von alkoholischen Getränken außerhalb der gastronomischen Einrichtungen ist untersagt. Und, und, und …

Schließlich ist den Anordnungen des Sicherheitspersonals Folge zu leisten. Zuwiderhandlungen können als Hausfriedensbruch strafrechtlich verfolgt werden.

Die Teilung der Stadt in Hoch- und Niedrigrisikozonen

Die «Hausordnungen» im öffentlichen Raum sind durch die Strafgesetze, Verwaltungsverordnungen, Sicherheitspolizeigesetze und kommunale Vorschriften, in Wien z. B. durch das Wiener Landessicherheitsgesetz mit seiner Bestimmung zur Bettelei, geregelt. Bei den Strategien des Ausschlusses gegen auffällige, störende und auch wenig zahlungskräftige Personengruppen wie Bettler, Wohnungslose, Drogensüchtige, Alkoholiker und auch Jugendliche geht es immer auch um Verhaltenskontrolle. Dahinter steht ein Verständnis, das nicht mehr von der Beherrschbarkeit und Lösung sozialer Bedrohungen, Konflikte und Probleme ausgeht, sondern von der Vorstellung, dass soziale Probleme zu den «normalen» Schattenseiten des Fortschritts gehören und letztlich Risiken des Lebens wie Verkehrsunfälle und Krankheiten darstellen. Soziale Räume werden nach einer an Gefährlichkeitsindikatoren profilierten Skala von Hochrisikogebieten an der Spitze zu Niedrigrisikogebieten am unteren Ende eingestuft. Wer vorbestraft ist, illegale Drogen konsumiert, auf der Straße lebt, verfügt über Risikomerkmale, die ihm den Zugang zu bestimmten mit Vorteilen und Privilegien verbundenen Bereichen verwehren.

Die Gesamtheit dieser Entwicklung fragmentiert die Gesellschaft. Der frei zugängliche öffentliche Raum schrumpft zu Gunsten halböffentlicher und nichtöffentlicher privatisierter Areale mit gestaffelten, multiplen Zugangsbeschränkungen. Innerhalb des öffentlichen Raums bildet sich eine komplexe, sich ausbreitende Inselwelt privat regierter Räume, in welchen Zugangs- und Nutzerbefugnisse weitestgehend autonom festgelegt werden. Der öffentliche Raum wird dabei neo-feudalistisch segmentiert. An diesen Orten dominiert das Privatinteresse. Interventionen richten sich daran, dass Konsum und Kauf ungestört ablaufen können.

Die Delegation der Definition von Sicherheitsrisiken an «private Regierungen» öffnet Willkür und Eigenmächtigkeiten Tür und Tor. Für den Supermarktbetreiber stellen herumlungernde Alkoholiker kriminelle Gefahren dar, während der Boutiquebesitzerin die Straßenmusikanten stören. Private Sicherheitskräfte setzen ihre Interventionen nicht aufgrund drohender Kriminalität, sondern aufgrund drohender Störung der unternehmerischen Aktivitäten ihrer Auftraggeber, wenn bestimmte äußere Merkmale auftreten. Damit verschwimmt der Unterschied bloßer negativer Auffälligkeit und drohender Kriminalität wie derjenige zwischen formeller und informeller sozialer Kontrolle.

Überwachungsgesellschaft und Kontrolltechniken

Pass auf, kleine Hand, was du tust / Pass auf kleine Hand, was du tust. / Denn der Vater im Himmel schaut herab auf dich, / Pass auf, kleine Hand, was du tust (ein Kinderlied).

Heute ist der Vater im Himmel ein prekär Beschäftigter des Sicherheitsgewerbes, der hinter den Bildschirmen der Videoüberwachung sitzt.

Die Einführung der Videoüberwachung (CCTV: closed circuit TV) ist eng verbunden mit der Vorstellung präventiver, situativer und technischer Risikoabwehr durch verdachtsunabhängige Kontrollen. Die hohe Akzeptanz der Videoüberwachung bei der Bevölkerung hängt mit der Kriminalitätsfurcht zusammen und den mitgelieferten Begründungen bei Einführung derartiger Systeme, nämlich dass diese der Abschreckung potenzieller Täter, der Erhöhung der Entdeckungswahrscheinlichkeit und der Aufklärungsrate sowie der Erhöhung des Sicherheitsgefühls und der Kriminalprävention dienen.

Videoüberwachung findet im öffentlichen, halböffentlichen Raum statt, wird von Privaten aber auch vom Staat (Polizei, Gemeinden) betrieben.

Die Einführung der Videoüberwachung steht im Zusammenhang mit dem Bemühen um Rückgewinn der Attraktivität der Innenstädte, die durch eine verbreitete Furcht vor Kriminalität, Belästigung durch Bettler und herumlungernde obdachlose Alkoholiker gelitten hat. Im Konkurrenzkampf der Metropolen um kaufkräftige Konsumenten, Touristen und Besucher kultureller Großereignisse werden solche «Störenfriede» zum Standortnachteil. Die Kriterien des Einsatzes der Videoüberwachung nach Fahndungsrastern (Risikoprofile) zeigt, dass sich diese präventive Kontrolle bevorzugt an Personen richtet, welche bei Konsum und kommerziellen Vergnügen als störend empfunden werden.

Eine groß angelegte europäische Studie (GB, A, N, DK, Ungarn und Spanien) zur Videobeobachtung im öffentlichen Raum, Urbaneye, weist in allen Ländern hohe Wachstumsraten von Videoüberwachung nach, wobei Großbritannien mit vier Millionen Kameras einen absoluten Spitzenplatz in Europa einnimmt, während Österreich mit ca.140.000 Kameras eher Nachzügler ist.

Eine einzige Person kann in GB täglich von 300 Kameras aufgenommen werden.

Die von Steuermitteln bezahlte Infrastruktur kostete bisher etwa 500 Millionen Pfund und hat keinen Einfluss auf die Kriminalitätsentwicklung, so ein Ergebnis der Studie.

Danach sind lediglich drei Prozent der in der Millionenstadt London verübten Raubüberfälle mit Hilfe von Überwachungsvideos aufgeklärt worden.

Laut ARGE Daten stellt sich die Situation in Österreich so dar:

* Im Bereich der Bankfilialen, die hundertprozentige Videoüberwachung aufweisen, nehmen die Banküberfälle seit mehreren Jahren dramatisch zu, während gleichzeitig die Aufklärungsquote sinkt. Jeder Bankräuber hat mittlerweile erkannt, dass es „für jemanden, der etwas zu verbergen hat“, ganz leicht ist, Videoüberwachungen auszutricksen.

* Mit der Videoüberwachung am Schwedenplatz hat man zwar den Drogenkleinhandel vom Platz verscheucht, man hatte jedoch im gleichen Jahr einen Anstieg von 2,5 Prozent der Gesamtdrogenkriminalität zu verzeichnen.

* Die Videoüberwachung bei den Wiener Linien konnten die dramatische Zunahme von Taschendiebstählen nicht eindämmen, sodass man dort trotz Videoüberwachung doch wieder mehr auf Streifendienste setzt.

* In der SCS wurden zwar die Autoeinbrüche weniger, gleichzeitig stiegen die Vandalismusakte.

Videoüberwachung dient so mehr der sozialen Kontrolle und der Exklusion als der Kriminalitätsprävention, mit der sie hauptsächlich begründet wird. Vor allem bedient sie das Sicherheitsbedürfnis der Bürger.

So dienen all diese Kontroll- und Überwachungstechniken weniger der Sicherheit und der Kriminalprävention als der Säuberung des öffentlichen Raums von den Armen, Elenden, Überflüssigen und sind Ausdruck des Kampfes gegen die Armen, der täglich geführt wird.

www.argedaten.at