Politik des Immer-Schlimmertun & lassen

Susanne Scholl kennt Flüchtlinge, die besser deutsch sprechen als die Innenministerin

Von 1991 bis 2009 war Susanne Scholl mit einer Unterbrechung Korrespondentin des ORF in Moskau. Seit ihrer Pensionierung schreibt sie in den «Salzburger Nachrichten» und in «News», ist Buchautorin und unterrichtet am Institut für Slawistik. Sie ist engagiert gegen die unmenschlichen Fremdengesetzte und hat aktuell einen offenen Brief an Kanzler, Vizekanzler und Innenministerin geschrieben (siehe am Ende des Interviews), in dem sie gegen die geplante Gesetzesnovelle protestiert. Darüber sprach sie mit dem Augustin.

Welche Ressonanz haben Sie auf diesen Brief bekommen?

Sehr viele Leute haben ihn unterstützt, sicher bereits über 500, von den Angesprochenen hab ich einen Brief aus der ÖVP-Zentrale bekommen, der zusammengefasst ungefähr sagt: Was wollen Sie, ist eh alles in Ordnung.

Warum engagieren Sie sich so stark in der Frage?



Damit ich mich noch in den Spiegel schauen kann. Meine Eltern haben als Juden flüchten müssen. Das ist nicht direkt vergleichbar, aber der Umgang mit Flüchtlingen in Österreich ist wirklich beschämend.

Welches Motiv hat die Regierung, ständig Verschärfungen zu beschließen?

Ich glaube, sie hat wirklich die Hoffnung, die Rechten stoppen zu können, indem sie Grausamkeiten beschließt. Und es ist zweifellos eine Grausamkeit, wenn Eltern dazu gezwungen werden, zu entscheiden, welche Traumatisierung ihre Kinder erleiden müssen, das erinnert dann schon an «Sophies choice».

Haben Sie noch Hoffnung, dass diese Novelle nicht beschlossen wird?

Ja, sicher. Einerseits gibt es Proteste verschiedener Gruppen, aber auch Diskussionen im SPÖ-Parlamentsclub. In der ÖVP gibt es nur ganz wenige, wie den Vizebürgermeister von Innsbruck. Je stärker der öffentliche Druck ist, desto größer die Chance, dass das Gesetz nicht so kommt. Das hat man auch bei den Fällen Zogaj und Komani gesehen.



Wie geht es Ihnen damit, wenn Innenministerin Fekter mit ihrem Amtskollegen in Moskau ein Rückschiebeabkommen beschließt?

Das ist nicht auszuhalten. Frau Fekter glaubt, das Richtige zu tun, dabei bedeutet es für viele Abgeschobene echte Lebensgefahr. Aber die Abschiebebescheide selbst sind unglaublich beschämend. Ich kenne eine tschetschenische Großmutter, deren fünf Kinder humanitäres Bleiberecht in Österreich haben und auf deren Kinder sie die letzten sechs Jahre hier aufgepasst hat. Die Frau ist schwer an Diabetes erkrankt und soll jetzt abgeschoben werden, «da ihr Integration ins Familienleben nicht nachgewiesen werden könne.» Ist das zu fassen?

Ist das ein Einzelfall von einem sadistisch agierenden Beamten?

Nein, keinesfalls. Ich habe viele abgelehnte Asylanträge gelesen, die Begründungen sind oft auch sehr absurd. Wie zum Beispiel das eines Nigerianers, der als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Österreich kam. Ich zitiere aus der Ablehnung eines Asylantrags: «() Der Beschwerdeführer zeigte diverse Narben an seinem Körper als Beweis für seine Behauptungen () Es ist dem Beschwerdeführer jedoch nicht gelungen, eine staatliche Verfolgungsgefahr bzw. den von ihm behaupteten politischen Bezug glaubhaft zu machen () Weiters widerspricht es der Lebenserfahrung, dass der damals noch minderjährige Beschwerdeführer von einem Tag auf den anderen von zu Hause verschwindet und seine Eltern nichts unternehmen, um etwas über sein Schicksal herauszufinden. Gerade ein Politiker der regierenden Partei wird kraft seines Einflusses wohl Schritte gegen politische Gegner einleiten, die seinem eigenen Kind Böses zugefügt haben.

Sie kritisieren auch, dass immer wieder auf Deutschkenntnisse als Aufnahmekritierium in Österreich gepocht wird, warum?

Das ist ganz einfach. Es ist völlig klar, dass es in einem traumatisierten Zustand viel schwerer ist, eine Sprache zu lernen, und es ist ja dann fast so, dass Leute, die flüchten wollen, schon ein halbes Jahr vorher einen geheimen Deutschkurs im Herkunftsland besuchen sollten. Dabei sprechen die meisten Flüchtlinge sowieso über kurz oder lang besseres Deutsch als die meisten Österreicher. Ich habe zwei kurdische Mädels interviewt, die nachweislich ein besseres Deutsch sprechen als Ministerin Fekter, und zwar sicher!

Glauben Sie, dass durch die Rot-Weiß-Rot-Card gelingen wird, die dringend benötigten Fachkräfte anzuwerben?

Keinesfalls. Die meisten jetzt von der Abschiebung bedrohten Menschen haben hier bereits Ausbildungen gemacht, beziehungsweise schon Qualifikationen mitgebracht. Während diese Menschen kostspielig abgeschoben werden, werden andere nicht nach Österreich kommen, weil sie ihre Familien nicht mitnehmen können.

Sehen Sie in der EU ein Land, das als Vorbild herangezogen werden könnte?

Leider nein, Früher dachte ich, es seien die Niederlande, aber dort ist es jetzt auch schon schlimm.

Sie haben zu dem Thema Flüchtlinge in Österreich auch ein Buch geschrieben, das dieser Tage erscheinen wird. Worum geht es bei «Allein zu Hause»?

Ich habe Flüchtlingsfamilien über ihr Leben hier befragt, aber auch, was sie in den Herkunftsländern erlebt haben. Das wird hier in Österreich oft gar nicht mehr gefragt. Drei der Familien sind bereits in den 70er-Jahren geflüchtet, eine aus Chile, eine aus Russland und eine aus Kurdistan. Natürlich sind auch viele aktuelle Fälle dokumentiert und eine Chronologie der Verschlechterungen im Fremdenrecht.

INFO:

Buchpräsentation: 2. März, 19 Uhr im Veranstaltungssaal der Hauptbücherei am Urban-Loritz-Platz.

 

Die Beschwerde der Susanne Scholl

Herr Bundeskanzler, Herr Vizekanzler, Frau Innenministerin!

Sie planen also ein neues Gesetz. Wieder einmal. Ein Gesetz, das alles leichter machen soll.

Eltern sollen künftig selbst die Wahl haben. Entweder ihre ohnehin traumatisierten Kinder mit in Schubhaft nehmen oder sie in ein Heim geben.

Wer sich schwer tut mit dem Deutsch-Lernen oder das Geld für einen solchen Kurs nicht aufbringen kann, soll nicht mehr nach Österreich kommen.

Und keiner, der nicht das Glück hat, in Österreich als Kind von Österreichern geboren worden zu sein, soll sich künftig in diesem Land wirklich sicher fühlen dürfen. Schon gar nicht, wenn er womöglich hier in diesem Land ein Kind zur Welt bringt.

Ich übertreibe werden Sie mir jetzt vorhalten.

Aber ich habe hier nur kurz und pointiert zusammengefasst, was das neue sogenannte «Fremdenrechtspaket» offenbar beinhalten soll.

Eltern sollen also zwischen der einen Art und der anderen Art der Traumatisierung ihrer Kinder wählen müssen.

Wie zynisch, nein, verzeihen Sie, wie sadistisch muss man sein, um sich so etwas auszudenken?

Und was das Deutsch-Lernen betrifft, will ich Sie fragen, wie gut und wie schnell Sie selbst in der Lage wären, eine Fremdsprache zu erlernen. Apropos: Wie viele Sprachen sprechen Sie?

Traumatisierte Menschen auf der Flucht tun sich schwer, irgendetwas zu lernen.

Und abgesehen davon ist nicht jeder Mensch sprachbegabt. Kann das ein Kriterium dafür sein, ob er in Würde leben darf oder nicht?

Die wichtigste Frage aber lautet: Was glauben Sie zu erreichen, wenn Sie aus Österreich ein Land machen, das Fremden ausschließlich Misstrauen und Ablehnung entgegenbringt?

Und glauben Sie allen Ernstes, dass sich qualifizierte Arbeitskräfte darum reißen, in ein Land zu kommen, das ihre Familien am liebsten aussperren würde?

Ganz abgesehen von der letzten Frage, die ich Ihnen hier stellen will: Warum viel Geld darauf verwenden, durch die eine Tür all jene hinauszuwerfen, die gern und engagiert hier arbeiten wollen und können, und ebenso viel Geld darauf verwenden, andere, die aus oben erwähnten Gründen ohnehin nur ungern hier herkommen wollen, ins Land zu locken?

Ich fordere Sie auf, diese Gesetzesnovelle in Bausch und Bogen abzulehnen und endlich Gesetze FÜR und nicht GEGEN Menschen in Not zu verfassen.

Dr. Susanne Scholl