Recht auf Marmeladetun & lassen

Die Angst der MA42 vor Fallobst im öffentlichen Raum

Die Gruppen «Stadtfrucht Wien» und «Kuserutzky Klan» starten im Herbst eine Petition für Obstbaum-Commons – gemeinsam genutzte Obstbäume im öffentlichen Stadtraum. Die MA42, das Stadtgartenamt, steht auf der Seite der leicht zu pflegenden Ziergewächse. Woraus die Magistratsbeamt_innen ihre Marmelade kochen, ist unbekannt.

Mit ihren Früchten haben sich die Pflanzen etwas Großzügiges einfallen lassen. Und etwas Raffiniertes. Sie bringen die Tiere und Menschen dazu, eine Aufgabe für sie zu übernehmen, die sie selbst nicht so gut erledigen können: ihre Gene zu verbreiten. Bestimmte Pflanzen sind für uns Menschen also so unwiderstehlich geworden, so nützlich und so schmackhaft, dass wir sie aussäen, pflegen, transportieren oder besingen. Oder sogar Petitionen für sie formulieren und unterschreiben – darüber gleich mehr.

Die Arten-Einfalt des globalen Markts

Der koevolutionäre Tauschhandel zwischen Pflanzen und Menschen ist nur ein Strang im komplexen Weltgeschehen. Der globale Markt kann die vielseitigen Verführungen der Pflanzenwelt nicht normieren und daher nicht kontrollieren und verwerten, also konzentriert er sich (mit Hilfe genetischer Eingriffe) auf ein paar wenige Grundreize. Zum Beispiel auf den Zuckergehalt beim Apfel. Die Folge: Gab es bei Äpfeln vor einem Jahrhundert noch über siebentausend verschiedene Sorten im Handel, haben heute die meisten Äpfel in den Regalen dieselben fünf oder sechs Eltern.

«Warum im Supermarkt Pestizid-Obst aus fernen Ländern kaufen, wenn Bio-Obst ganz in der Nähe auf den Bäumen verfault?», lautete die rhetorische Frage, mit der die Gruppe «Stadtfrucht Wien» im Frühjahr 2012 ihre Tätigkeit begann. Sie machte auf diese regionale Nahrungsressource aufmerksam, veranstaltete Informations- und Ernte-Touren. Mit dem Augenmerk auf Peak Oil und die dadurch bevorstehenden Veränderungen in der Nahrungsmittelproduktion kam im Herbst 2012 die Forderung dazu, vermehrt Obstbäume im öffentlichen Raum zu pflanzen – am besten alte, seltene Sorten. Durch die Unterschriften-Petition «Recht auf Marmelade!» im Rahmen des Kulturprojekts «Wienwoche» soll das Thema nun den Weg in den Gemeinderat finden.

Keine Angst vor Obstbäumen!

In Wien sind in der Regel folgende zwei Institutionen für Baum-Angelegenheiten zuständig: in den äußeren Grünbereichen die MA 49, das Amt für Forst- und Landwirtschaft, auf den städtischen Grünflächen die MA 42, das Stadtgartenamt. Die MA 49 zeigt sich gegenüber Obstbäumen aufgeschlossen, pflanzte zum Beispiel in den letzten zwanzig Jahren im Wienerwald gezielt Elsbeeren, Speyerlinge und Vogelkirschen und betreut seit Ende der 1970er Jahre den mit rund 1300 Obstbäumen größten öffentlichen Früchtegarten Wiens, die Steinhofgründe – die Reste der einstigen Selbstversorgungs-Anlage des Otto-Wagner-Spitals.

Wenn durch die Obstpflücker_innen hie und da ein Ast abbricht, sieht man das beim Forstamt als «eine Art von natürlichem Baumrückschnitt». Für die Verantwortlichen des Stadtgartenamts ist es hingegen ein ernstes Problem. Und überhaupt: Auch das Obst selbst würde die städtischen Grünanlagen «verschmutzen» und, wenn es fault, zu einer Geruchsbelästigung und einer Wespenbedrohung führen und allesamt die Bürger und Bürgerinnen verärgern, hieß es, als die Initiative «Stadtfrucht Wien» und die Künstlerinnen des «Kuserutzky Klans» im Herbst 2012 im Rahmen der «Wienwoche» Obstbäume im öffentlichen Raum pflanzten. Oder es zumindest versuchten.

Der öffentliche Raum als Commons

Den Ängsten der MA 42 vor Obstbäumen setzten die Aktivist_innen folgenden Vorschlag entgegen: Die Obstbäume in der Stadt werden als Commons behandelt. Gruppen von interessierten Anrainer_innen kümmern sich um die Pflege und um das von Passant_innen nicht geerntete Obst. Die leitenden Personen des Stadtgartenamts ignorierten diesen Vorschlag und drohten mit Anzeigen. Sie scheinen an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema nicht interessiert. Noch nicht.

Entscheidet eine Institution wie das Stadtgartenamt monopolartig über die Gestaltung der städtischen Parks und Grünflächen? Wer bestimmt eigentlich, was im öffentlichen Raum von Wien geschieht? Und wenn das nicht die Öffentlichkeit ist, ein soziales Aushandeln derjenigen, welche einen bestimmten Ort nutzen, können wir dann überhaupt von einem öffentlichen Raum sprechen?

Mit der Unterschriften-Petition «Recht auf Marmelade» setzen sich der «Kuserutzky Klan» und «Stadtfrucht Wien» dafür ein, dass zehn Prozent der rund 2000 Bäume, die das Stadtgartenamt im Jahr pflanzt, Obstbäume (alte, seltene Sorten) sein sollen, und Bürger_innen die Möglichkeit bekommen sollen, sich als Baumpat_innen um die Obstbäume in ihrer Nähe selbst zu kümmern. Bei der Querfahrt mit einer «JAM-TRAM» wird u. a. das Ende des Kapitalismus betrauert (Maren Rahmann) und mit Obst musiziert (Helge Hinteregger).

Warum «Recht auf Marmelade»? Marmelade ist im Zusammenhang mit Früchten das beliebteste Subsistenz-Produkt. Marmelade steht für eine Kultur von Selbermachen und Schenken. Sie ist ein Nahrungsmittel, das nicht ganz dem marktwirtschaftlichen Verwertungsprozess unterworfen ist. – Mehr unter www.stadtfruchtwien.wordpress.com.