Sackgasse Billigjobstun & lassen

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Frau Salzer schlägt sich als Ich-AG und Armutsunternehmerin mit Gebrauchsgrafiken durch den Alltag. Ihr dreijähriger Sohn leidet seit seiner Geburt an schwerem Asthma. Er braucht viel Zeit. Der Lohn ihre Arbeit ist unregelmäßig und gering. Loch auf, Loch zu. So muss sie rechnen, einmal die Miete, einmal das Heizen, einmal das Telefon. Immer gibt es eine offene Rechnung. Kaputt werden darf nichts: kein Boiler und keine Waschmaschine. Mit dem Einkommen gibt es kein Auskommen. Die Betroffenen pendeln zwischen prekären, schlecht bezahlten Jobs und Arbeitslosigkeit. Sie erzählen von einem Alltag, der in der Öffentlichkeit unsichtbar gemacht ist.Für die einen bedeuten prekäre Jobs eine Vergrößerung ihres persönlichen Handlungsspielraums, für andere eine unfreiwillige Beschränkung. Schlechte Jobs machen die meisten doch ohnehin nur zur Überbrückung und bis sie was Besseres gefunden haben, meinen viele. Und freilich wünschen sich die betroffenen ArbeitnehmerInnen auch wirklich rasch einen anderen und besseren Job. Studien belegen jedoch, dass viele Working Poor aus ihrer schlechten Situation nicht mehr oder nur schwer herauskommen. In Deutschland gibt es für mehr als 70 Prozent der Billigjobber keinen Aufstieg in höhere Lohnsegmente. «Die in Plädoyers für die Einführung eines Niedriglohnsektors häufig verwendete Behauptung, Niedriglohn sei ein Sprungbrett in höhere Einkommensschichten, wird durch unsere Ergebnisse mehrheitlich widerlegt», so die StudienautorInnen Hans-Jürgen Andreß und Anne Krüger. Vielmehr führen die genannten Jobs für die Mehrheit zu einer dauerhaften prekären Einkommenslage ohne Ausstieg. Das Armutsrisiko in Deutschland sei im internationalen Vergleich «sehr hoch», argumentiert weiters die OECD: «Seit Mitte der 90er-Jahre fördert Deutschland zu stark niedrig entlohnte Jobs.» Langzeitarbeitslose hätten «nach wie vor einen vergleichsweise geringen finanziellen Anreiz, eine existenzsichernde Beschäftigung anzunehmen». Der künstlich und staatlich geförderte Niedriglohnmarkt ist eine Armutsfalle. Hartz IV samt seinen 1-Euro-Jobs führt in eine Sackgasse.

Die unfreiwilligen Ich-AGs haben alle Nachteile eines Unternehmers, ohne seine Vorteile genießen zu dürfen. Die Freiheitsfrage liegt im Begriff «prekär». Unsicherheit ist eine zu schwache Übersetzung. Eigentlich heißt «precarius»: durch Bitten erlangt, aus Gnade bekommen, auf Widerruf gewährt. Das beschreibt ein abhängiges und freiheitsbeschränkendes Verhältnis. Da gibt es weder Freiheitsgewinn noch soziale Absicherung. Alle politischen Versprechungen messen sich an den zwei Parametern: Werden soziale Risiken im Alter, bei Krankheit oder Jobverlust abgesichert und werden Selbstbestimmungsspielräume für die Beschäftigten erweitert?