Schleppen kann rettentun & lassen

Flüchtlingsanwalt: Die geringste Hilfe für Vertriebene wird kriminalisiert

Rechtsanwalt Lennart Binder ist etwas frustriert. Eigentlich will er die drei als «Schlepper» verhafteten Flüchtlinge des ehemaligen Refugee Camps vor der Votivkirche nicht wahnsinnig gerne betreuen. Grund: «Die Akten bestehen aus unglaublich vielen Polizei-Telefonüberwachungsprotokollen, aus sinnlosen Gesprächen von Unverständlich mit Unverständlich, aus deren kryptischen Satzfetzen imaginäre Tatbestände konstruiert wurden.» Binder im Gespräch mit dem AUGUSTIN.

Wie sah die Lage am Beginn deiner Vertretung der Flüchtlinge des Wiener Refugee Camp aus?

Die Vertretung war eine große administrative Herausforderung, denn die Flüchtlinge konnten nichts über das Stadium ihres Verfahrens sagen oder welche Bescheide es gibt. Manche hatten ihre persönlichen Papiere in Traiskirchen gelassen, weil sie sich offenbar spontan zum Demonstrationszug entschlossen hatten. Der Zutritt in die Erstaufnahmestelle Ost wurde ihnen später verwehrt. Die Konsequenz war, dass Fristen versäumt wurden. Manche glaubten, dass die Rechtsberater in Traiskirchen automatisch beauftragt sind, Beschwerden zu machen. Wir versuchten, die Asylverfahren zu rekonstruieren.

Warum war das besonders wichtig?

Wegen der drohenden Fristversäumnisse bzw. deren Reparatur. Die Polizei tat so, als ob die Flüchtlinge in der Votivkirche obdachlos wären oder sich verstecken würden, auch wenn sie sicher Namenslisten erstellt hat. Was zur Folge hatte, dass die Zustellung von Bescheiden durch Hinterlegung in Traiskirchen oder im Akt stattgefunden hat. Die normale Beschwerdefrist beträgt 14 Tage, aber ein Teil dieser Flüchtlinge ist über Ungarn gekommen, und im Dublin-Verfahren gibt es nur sieben Tage Einspruchsfrist.

Was waren die Asylgründe?

Das ist schwer zu sagen, denn den Leuten wird von den Referenten bei der Einvernahme im Bundesasylamt in den Mund gelegt, dass sie nur aus wirtschaftlichen Gründen kommen.

Ich habe Flüchtlinge interviewt, denen die Taliban das Grundstück oder das Geschäft weggenommen hatten.

Mag sein. Wer aller ist ein Taliban? Schauen wir in unsere Geschichte: Vielleicht sind manche Nazis geworden, um die Wohnung des Nachbarn zu arisieren. Es ist eigentlich ziemlich egal, was die Flüchtlinge erzählen, denn es wird sowieso negativ abgeschlossen. Für mich ist der subsidiäre Schutz entscheidend. Der klassische Flüchtling, der als Dissident zwanzig Jahre im Gulag in Sibirien war, kommt nicht zu uns. Wir haben den Treibsand. Ich meine damit zum Beispiel jene afghanischen Jugendlichen, die von ihren Eltern nach Europa geschickt werden, weil sie das Leben ihrer Kinder retten wollen. Vorbeugend sozusagen, da sie sonst untergehen.

Was sind deine genauen Kritikpunkte am Verfahren?

Dass ein Asylwerber nicht richtig belehrt wird, dass die kurzen Fristen nicht einhaltbar sind, weil das mit allen Tricks verwehrt wird, dass es praktisch nicht möglich ist, von Traiskirchen aus in sieben Tagen eine Rechtsvertretung zu organisieren. Der Vertreter kann in der kurzen Zeit kaum Recherchen machen. Dazu kommt das Sprachproblem, das Übersetzungsproblem. Aber selbst wenn das alles gelungen ist, landet der Akt beim Asylgerichtshof, der ihn gar nicht anschaut, weil die fast keine Verhandlungen durchführen. Die segnen nur die erste Instanz ab, sie prüfen nicht selber. Da können der Präsident des Asylgerichtshofs und die Frau Innenminister behaupten, was sie wollen, aber es stimmt nicht. Der Jurist Harald Perl wird jetzt Präsident des neuen Verwaltungsgerichtshofs – der Asylgerichtshof geht in einem Verwaltungsgericht auf. Perl – ehemaliger Ministersekretär von Kanzler Vranitzky – wird ab kommenden Jänner der Präsident des größten Gerichts in Österreich. Die Asylgerichtshof-Richter sind keine Richter, auch wenn sie sich tausendmal so nennen. Sie haben keine Richterausbildung, sie sind Beamte. Das Bundesasylamt kommt meist nicht zu den Verhandlungen, die lassen sich immer entschuldigen. Verhandlungen kriegen sofort den Charakter einer Polizeieinvernahme, eines Verhörs. Der «Richter» übernimmt das Befragen. Er ist, wie gesagt, ein Verwaltungsbeamter, der es gewohnt ist, mit (im juridischen Sinn) Parteien zu kommunizieren.

Und zu den Parteien muss man einen gewissen Abstand haben.

Parteien lügen grundsätzlich, das ist eine Einstellung eines Beamten. Der Asylgerichtshof hat zudem die Möglichkeit, Beweise vorzubringen, völlig abgewürgt. Während noch beim Vorläufer, dem Unabhängigen Asylsenat, Ländersachverständige hinzugezogen und auch Recherchen in den Herkunftsländern gemacht wurden, passiert heute nichts mehr dergleichen. Der Asylgerichtshof ist gezwungen, die Länderdokumentation des Innenministeriums als Grundlage für die Entscheidung heranzuziehen. Einwände oder Ergänzungen sind nicht erlaubt. Das finde ich nicht fair. Aber bei den Pakistani sind sowieso keine mündlichen Verhandlungen durchgeführt worden.

Laut einem Youtube-Video wurde dir der Besuch von Häftlingen in der Schubhaft untersagt.

Ich durfte später hinein. In der Schubhaft gab ich einem Beamten die Liste mit den zehn Flüchtlingen, die Bescheide bekamen wegen dem gelinderen Mittel. Drei waren im Gefängnis. Zwei sagten, dass sie nach Ungarn abgeschoben würden, einer hatte den Festnahmebescheid, dass er nach Pakistan abgeschoben werde; als Ankunftszeit in Pakistan war der 31. Juli vier Uhr früh vermerkt. Einer rauchte eine Zigarette und kippte um. Der, der nach Pakistan abgeschoben werden sollte, sah psychisch gar nicht gut aus. Der andere erzählte mir von seiner Krankheit, einer Lähmung, dem ist es psychisch auch nicht gut gegangen. Der dritte, der Mehmut, der war eigentlich recht aktiv. Wenn die ungarischen Behörden sehen, dass er sechs Monate Aufenthalt in Österreich hatte, schicken sie ihn wieder nach Wien zurück. Bleibt die Frage, ob es Meldezettel für die Votivkirche gab, in der er sich zum Schluss aufhielt.

Wie denkst du über die prompten Heimreisezertifikate?

Die pakistanische Botschaft hat bis jetzt keine Heimreisezertifikate ausgegeben. Und jetzt ist dieser Bruch passiert. Außenminister Spindelegger war in Pakistan und hat angeblich «Entwicklungshilfe» angeboten. Von 16 Millionen ist die Rede, andere reden von 16.000 Euro pro Heimreisezertifikat. So etwas Ähnliches hat auch der Konsul von Afghanistan gesagt und sehr witzig gefunden.

Müssten das nicht sehr dumme Schlepper sein, die sich im Zentrum polizeilicher und medialer Aufmerksamkeit ansiedeln?

Ich sehe eine Parallele zur «Operation Spring». Der Staat versucht, die Leute zu kriminalisieren. Der Herr Tatzgern ist in der Polizei der oberste Bekämpfer des Schlepperwesens. Die Tendenz der Schlepperparagrafen, die Tatzgern anwenden kann, ist, jede Hilfe für Flüchtlinge in den Bereich der organisierten Kriminalität zu zerren, das ufert total aus. In Eisenstadt habe ich eine entsetzlich kranke Flüchtlingsfrau, eine kurdische Aktivistin, selber vertreten. Kurden aus der Türkei sind nach Deutschland geschleust worden; in Wien haben sie in der Wohnung dieser Aktivistin übernachtet. Für das Essen, das sie bei ihr bekamen, ließen die Flüchtlinge zehn oder fünfzehn Euro da. Sie wollten einfach nicht den Kühlschrank ihrer Unterstützerin leer fressen, ohne jede Gegenleistung. Jetzt ist sie der gewinnmäßigen, gewerbsmäßigen Schlepperei angeklagt. So rasch kommt man in dieses Schleppersein hinein. Oder der Taxifahrer, der für Passagiere, die er von Schwechat zum Westbahnhof bringt, den ganz normalen Taxitarif verlangt. Schon ist er ein «Schlepper», denn er hat Flüchtlinge transportiert. Das ist ein uferloser Paragraf.

Und du vertrittst zwei von den drei als Schlepper Angeklagten?

Vor kurzem habe ich Asif Mahmood und Sohaib Gondal in Wiener Neustadt besucht, von denen ich auch die Vollmachten übernommen habe. Innerhalb von 14 Tagen müßte ja eine Haftüberprüfungsverhandlung stattfinden. Die wird natürlich negativ ausgehen wegen Fluchtgefahr und Wiederholungsgefahr, aber immerhin muss der Staatsanwalt sagen, was er ihnen vorwirft. Hintergrund ist, dass Mahmood seiner Abschiebung durch die Weiterflucht nach Italien zuvorkommen wollte. Er hat sich von seinen beiden Freunden telefonisch verabschieden wollen, die meinten, er solle wegen persönlicher Abschiednahme auf sie warten. Als Gondal zum Bahnhof kam, wurde Mahmood gerade von Zivilpolizisten kontrolliert und Gondal fragte, was los sei. Zum Schluss sind alle drei eingesperrt worden. Unterstellt wird, dass Mahmood den Spitznahmen «Khalifa« hat, der in Telefonüberwachungsprotokollen einer anderen «Schlepperbande» vorkommt. Gondal soll einmal am Bahnhof gewesen sein, vor ein paar Tagen, als irgendein Zug mit elf Pakistani angekommen ist. Der Zusammenhang ist völlig rätselhaft. Es wird eigentlich auch nicht behauptet, dass irgendeiner von den dreien Geld bekommen hätte. Ich musste die Beschwerden gegen die Haftbeschlüsse zurückziehen, weil ihnen bei der Verhaftung eingeredet wurde, darauf zu verzichten.

Es wäre übrigens kein Amtsmissbrauch, wenn Bescheide vom Bundesasylamt oder Asylgerichtshof nicht vollstreckt werden, da von geänderten Verhältnissen infolge Integration ausgegangen werden kann. Selbst Minister Strasser fand rechtliche Lösungen für die 150 armenischen Christen aus dem Irak und dem Iran, die nach dem Anschlag auf das World Trade Center in Wien hängengeblieben sind – um der Caritas aus der Patsche zu helfen, die diese Christen betreute. Auch damals – insofern besteht eine Ähnlichkeit zu den aktuellen Fällen – ist behauptet worden, dass die Christen keine Asylgründe hätten, sondern aus wirtschaftlichen Gründen auf dem Weg nach Santa Monica in Kalifornien wären. Siehe da, manche erhielten dann sogar die österreichische Staatsbürgerschaft. Ein Ministerbeschluss, und die Lage war entschärft.



Die Fragen stellte Kerstin Kellermann.

Begriffserklärungen:

Operation Spring …

… war der polizeiliche Codename für eine großangelegte Operation der österreichischen Polizei (1999 bis 2000) gegenüber Einwanderern aus Afrika. Diese wurden beschuldigt, Drogen zu verkaufen. 127 Personen wurden festgenommen; Rechtsanwalt Lennart Binder zeigte damals auf, wie im Grunde unbrauchbare Telefonabhörprotokolle in «wichtige Beweismittel» umgewandelt wurden.

Dublin-Verfahren …

… ist eine 2003 in Kraft getretene EU-Verordnung, die besagt, dass Asylwerbende in jenem EU-Land einen Asylvertrag stellen müssen, wo sie erstmals EU-Boden betraten. Die Dublin-Verordnung führt zu einer drastischen Einschränkung der Rechte von Flüchtlingen im Asylverfahren.