SOS aus der Lacknergassetun & lassen

Caritas schliesst ein Obdachlosenheim - ein richtiges Signal in schwarzblauen Zeiten?

Nach einem gemeinsamen Plan der kirchlichen und öffentlichen Träger von Sozialeinrichtungen wird die Wiener Wohnungslosenhilfe modernisiert. „Im Sinne der Betroffenen“, lautet die Propaganda: Ein- und Zweibettzimmer in Obdachloseneinrichtungen sollen Standard werden. Aus dieser Sicht ist das Haus St. Josef in der Lacknergasse (Wien 18), in dem rund 60 Obdachlose leben, nicht mehr fit genug. Es soll gesperrt werden. Die erste Reaktion der betroffenen Bewohner und BetreuerInnen: Schock!Ein Brief flattert Anfang Februar in die AUGUSTIN-Redaktion. Der Alarm-Schrei eines Mitarbeiters: „Im Zuge einer Vertragserneuerung zwischen der Caritas und der MA 12 entscheidet sich die Caritas-Führung und die Leitung der `Offenen Sozialarbeit` (ein Caritas-Arbeitsbereich, die Red.) kurzerhand für eine höchst umstrittene Maßnahme, nämlich zur Schließung der Lacknergasse, dem Wohnheim St. Josef samt dem angeschlossenen Tagesheim! Argumentiert wird mit der Standardisierungs-Offensive der MA 12, im Sinne einer Qualitätsverbesserung hin zu ausschließlich 1- und 2-Betteinheiten, wobei es die MA 12 (in einem Teil ihrer Obdachloseneinrichtungen, die Red.) selbst diesbezüglich gar nicht so eilig hat. Die Caritas stürmt einseitig diesem Konzept voraus und demoliert eine funktionierende Einheit, die weitgehend in der Szene und in der Bevölkerung integriert ist – ohne Gewissheit auf adäquaten Ersatz. Gerechnet wird außerdem mit stagnierenden respektive rückläufigen (!) Wohnungslosenzahlen. Auf diese Art wird spekulativ eine Budgetumgewichtung verbrämt. Was kommt als nächstes?“

Naturgemäß sieht Andreas Strobl von der Wiener Caritas-Führung, Bereichsleiter der „Offenen Sozialarbeit“, die Sache ein wenig anders: „Es ist nicht so, dass die MA 12 hergegangen ist und gesagt hat: Liebe Caritas, du musst das Haus Lacknergasse zumachen! Die Schließung des Heimes ist eine Entscheidung der Caritas. Die Caritas ist nicht am Gängelband der MA 12. Allerdings muss man dazu sagen: Es gibt in Wien ein gut funktionierende Expertenrunde, die versucht, für Gesamtwien die Angebote für Wohnungslosenhilfe zu optimieren. Die Runde wird von Vertretern aller Trägereinrichtungen gebildet, darunter der Stadt Wien und der Caritas. In einem gemeinsamen Papier wurde schon 1997 formuliert, dass es Ziel der Wohnungslosenhilfe sein sollte, auf den Standard der Ein- und Zweibettzimmer zu kommen.“ Klar sei andererseits: Die MA 12 mache keinen Hehl daraus, dass sie zu dieser Richtungsentscheidung steht. Die Stadt schlage übrigens in ihrer eigenen Wohnungslosenhilfe diesselbe Richtung ein – indem sie z.B. demnächst die Meldemannstraße schließen werde.

 „Für uns ist die Welt zusammengebrochen“

Die Gemeinde Wien finanziere 20 bis 25 Prozent der Kosten der Caritas-Obdachloseneinrichtungen. „Das heißt also: Die sechs Obdachlosenheime der Caritas, dazu die Gruft, der Bahnhofssozialdienst, die Busse, werden zu einem hohen Grad von der Caritas selbst finanziert. Es geht im Fall Lacknergasse nicht darum, eine Einsparung zu erzielen. Die Caritas zieht sich finanziell nicht aus der Wohnungslosenhilfe zurück. Für das Personal der Lacknergasse wird anderswo im Caritas-Bereich ein Angebot geschaffen.“

Die Caritas fühle sich, so Strobl, natürlich verpflichtet, für alle Insassen der Lacknergasse adäquate Wohnungs- oder Heimangebote zu finden, auch für die, die nicht im neuen Caritashaus in der Römergasse in Ottakring (konzipiert für jüngere Obdachlose; soll im Herbst eröffnet werden – die Red.) unterkommen. Wenn die Römergasse – mit ihren Ein- und Zweibettzimmern – öffne, werde die Lacknergasse zugesperrt.

Dass der Entschluss für das eingespielte Mitarbeiterteam und für die betroffenen Obdachlosen hart ist, konzidiere er, so der Caritas-Mann. Wie hart, das spürte der AUGUSTIN bei einem Lokalaugenschein. „Für uns ist die Welt zusammengebrochen“, sagt ein älterer Obdachloser. „Speziell für mich ist es immens schwierig. Mir ist hier sozusagen das Leben gerettet worden. Ich hänge emotional schwer an diesem Haus und seinen Menschen. Ich glaube, dass es hier am schnellsten ginge, ganz vom Alkohol wegzukommen. Und jetzt bin ich gezwungen, in einem neuen Haus neu anzufangen. Hier habe ich alles irgendwie in den Griff bekommen. Aber die große Gefahr beim Entzug, sagt man mir, kommt in drei, vier Monaten. Und was ist dann? Mir persönlich tut also das Herz weh. Schauen Sie sich unsere Küche an – alles in einem tadellosen Zustand. Ich begreife das einfach nicht, warum sie die Lacknergasse zusperren!“

Die Stimmung der geistigen Schwestern, der ehrenamtlichen und professionellen MitarbeiterInnen des Hauses St. Josef schwankt zwischen Wut, Trauer, Galgenhumor, Verständnislosigkeit und Resignation. Jede(r) beklagt, die Caritas-Leitung habe die Konsultation der MitarbeiterInnen gescheut. Das Haus St. Josef sei doch nicht als irgendein beliebiges, auswechselbares Objekt in der Stadt zu behandeln! Die soziale Einbettung in den wohlhabenden Bezirk Währing sei organisch gewachsen und modellhaft. Das familienähnliche Betreuungsmodell widerspreche vielleicht dem Zeitgeist, ermögliche aber den Betroffenen ein Leben in einer Atmosphäre der Würde.

So sieht es auch Michael Gassmann, der Leiter der Lacknergasse. „Für die Menschen, die sich hier bei uns aufhalten – Menschen, die seit Jahren auf der Straße sind, total `abgebaut`, ist das Angebot in Wien noch lange nicht ausreichend“, meint er im Gespräch mit dem AUGUSTIN. „Die Angebote der Stadt Wien sind für diese Menschen nicht adäquat. `Bevor ich in die Meldemannstraße gehe, gehe ich lieber auf die Parkbank`, hört man oft. Diesen Leuten steht oder stand die niederschwellige Lacknergasse offen. Im Winter waren wir übervoll, wir richteten sogar Matratzen her, damit die Betroffenen nicht im Freien schlafen mussten. Die Stärke unserer Hauses war: Wenn jemand gekommen ist und gesagt hat, ich brauche JETZT Hilfe, ich brauche JETZT ein Bett, konnten wir ihm das JETZT anbieten. So konnten wir auch einen Asylanten, der nirgends sonst unterzubringen war, auf der Matratze schlafen lassen. Einrichtungen wie der Bahnhofsozialdienst oder Asyl in Not haben bei uns anrufen können: `Habt ihr noch irgendwo ein Platzerl?` Schaut euch dagegen die Gänsbachergasse (Einrichtung der Stadt Wien) oder das neue Haus der Heilsarmee an: Wie schwierig ist es doch, da hineinzukommen. Die Spezialität der Lacknergasse war: Es ist ein offenes Haus. Jederzeit konnte jeder kommen – sogar illegale Ausländer. Auch Alkoholiker. Sie konnten sich duschen, konnten um einen Schilling mittagessen, hatten Spinte für ihre Habseligkeiten zur Verfügung.“

„Will jetzt keinen Krieg mit der Caritas anfangen“

Er negiere nicht, dass Standards von Ein- und Zweibettzimmern sinnvoll sind. Prinzipiell habe jeder das Recht auf Privatsphäre. „Aber muss das immer der prioritäre Wert sein? Dadurch, dass hier zwei Schwestern und ein Mitarbeiter im Haus wohnen, herrscht ein familiäres Klima – muss das nicht ebenso bewertet werden? Das Entscheidende ist: Die Lacknergasse ist organisch gewachsen. Es ist eines der ersten Häuser der Caritas für Obdachlose, 1983 gegründet. In der Standard-Debatte soll nicht diese menschliche Dimension vergessen werden. Ich glaube, dass nach der Absiedlung der Lacknergasse einige Leute sich auf der Straße wiederfinden werden. (Einwurf Strobls: „Wir werden sicher für alle, die hier wohnen, ein Angebot schaffen“). Unsere Klienten brauchen viel Geduld, sie haben schon vieles durchgemacht in ihrem Leben. Ich weiß nicht, ob man sie einfach verpflanzen wird können. Es wird Angebote in anderen Häusern für sie geben, aber die Frage ist, ob sie es annehmen können.“

Das angesprochene moderne Wiener Wohnungslosenhilfe-Konzept, der Wiener Stufenplan, habe vielleicht die Schwachstelle, gerade auf die Schwächsten zu vergessen, auf jene, die nirgends hineinpassen. Für sie sei vielleicht gerade nicht das Einbettzimmer, sondern die menschliche Wärme das Entscheidende.

Er stelle immer noch die Frage, so Heimleiter Gassmann, ob die Caritas-Leitung ihre Entscheidung optimal überlegt hat. „Allerdings wäre – gerade in Zeiten wie diesen – sehr dumm, innerhalb der Caritas einen großen Krieg anzufangen. Wir brauchen jetzt Kraft, um zu verhindern, dass die neue Regierung gegen die Schwächsten vorgeht.“


Kontakt: Haus St. Josef, 1180, Lacknergasse 98, Tel. 479 23 94.

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