Ungeborgene Blicke, zögernde Beichtetun & lassen

Warum man über die Geduld der meisten BettlerInnen staunen sollte

U6-Station Josefstädter Straße. Am Treppenabsatz kniet eine Frau. «Bitte, bitte!» Sie möchte Geld. Der flehende Blick beschämt mich. Sind die Leute hier tatsächlich so hartherzig, dass die Bettlerinnen so tief ins melodramatische Fach hinabsteigen müssen, dass man ihnen etwas gibt?Als Regisseurin passiert es mir öfters, dass ich einer Bettlerin das Gleiche raten möchte wie den meisten SchauspielschulabsolventInnen: etwas weniger täte es auch. Outrieren bringts nicht. Aber ich weiß gar nicht, ob ich Recht habe. Ich vertrete nicht den Mehrheitsgeschmack.

Vielleicht bringts beim Betteln das Outrieren ja doch?

Ich lächle die Dame an, während ich ihr 50 Cent reiche. Sie nickt dankend. Das Lächeln zu erwidern geht wohl nicht so gut, wegen des Flehens kurz davor und gleich danach? Ist es frech von mir, zu lächeln und ihr in die Augen zu schauen? Wäre es höflicher, ihr mit gesenktem Blick das Geld in die Hand zu drücken und schnell weiter die Stiege hochzugehen und ganz bewusst darauf zu verzichten, mir ein Bild von der Frau in dieser demütigenden Situation zu machen?

Findet sie es überhaupt demütigend oder ist es halt überlebensnotwendige Schauspielerei wie so vieles im Leben einer Frau? Um nichts demütigender als der kurze Rock und hochhackige Schuhe beim Vorstellungsgespräch und entschieden weniger unterwürfig als die aufgespritzte Oberlippe und der Push-up beim Rendez-vous??

«Er hat wirklich Hunger!»

An der Alser Straße steige ich aus, und es überfällt mich die Eingebung, mich beim Weg die Stiege hinab auf dem Treppenabsatz hinzuknien. Ist meine Jacke abgefuckt genug? Aber viel zu punkig, oder? Ich probiere Gesichtsausdrücke aus. Ich fühle mich unwohl.

Ich kniee circa 3 U-Bahn-Landungen lang. Schon nach zweien ist der Boden zu kalt. Und einen passenden Gesichtsausdruck finde ich auch nicht. Vergeblich. Kein einziger Cent. Dann erkenne ich eine gute Bekannte unter den Passanten und sie mich. Sie bleibt stehen.

«Recherchierst du für deinen nächsten Film oder ist hier irgendwo eine versteckte Kamera?»

Ich gebe es also auf.

Ein paar Tage später, vor dem Gartenbaukino. Ein Bettler afrikanischer Abstammung.

«Sorry, do you have a little time?» Nein, eigentlich nicht. «Are you racist?» Guter Schmäh. Natürlich nicht. Also höre ich ihm zu. Er brauche dringend 10 Euro, er habe nicht gegessen.

Leider ist es gut möglich, dass er Recht hat. Leider leben wir in einer Stadt, in der illegalisierte Flüchtlinge tatsächlich oft Hunger leiden müssen, wenn sie nicht stehlen wollen. Leider habe ich in der Tasche nur noch 3 Euro, die sollen für die nächsten drei Tage reichen, am Konto ist längst gar nichts mehr. Ich kann überhaupt nur ins Kino gehen, weil man Viennale-Karten mit der Kreditkarte bezahlen kann. Die wird erst am 12. des nächsten Monats gesperrt werden. «Sorry, I dont have anything myself.» Glaubt er vernünftigerweise nicht.

Ich rede den nächsten Passanten an: «Haben Sie vielleicht einen Euro für diesen Herren?» Der Passant würdigt mich nicht einmal eines Blickes, geht vorbei. Ich versuche es beim nächsten. Unwillige, abfällige Kopfbewegung, und er geht weiter. Der Zorn packt mich. «Er hat wirklich Hunger!», ruf ich ihm nach. Als nächstes wende ich mich an eine Dame: «Entschuldigung, dieser Herr hier hat Hunger, aber weil er schwarz ist, gibt ihm niemand etwas, ich täte es so gerne, hab aber selber nichts, könnten Sie nicht …?» Sie geht weiter. «Geizige Schnepfn!» Hab ich das jetzt gedacht oder tatsächlich laut gesagt? Die Leute sehen nicht arm aus in diesem Eck der Stadt. Teure Mäntel und Nobelhandtaschen. Irgendjemand wird doch einen Euro übrig haben?

Geduld, Feindesliebe und eiserne Knie

Ich schwöre nicht eher nach Hause zu gehen, als ich nicht mindestens einen Euro für den Bettler aufgetrieben habe, der hier seit Stunden dasteht und umsonst gegen die Mauer aus Nichtbeachtung dieser widerlich kaltherzigen, wohlhabenden Leute vergeblich anbettelt. Der nächste. Feiner Mantel. Laptop in hübscher Tasche. Sieht aus wie ein Tourist. «Sorry, would you mind giving one Euro to this starving man?» Der Mann schüttelt den Kopf, geht weiter. Ich suche einen meiner drei Euros heraus. Wenn keiner was gibt, geb ich den Euro halt her. «Immer nur die Armen helfen den Armen. Die Reichen verfressen alles selber und werden fett und schiach dabei!», rufe ich dem letzten Hartherzigen nach. Auf Englisch, auf Deutsch. Dem Afrikaner bin ich peinlich, mir selber auch. Doch leider, mein Zorn ist nicht zu bremsen. «Christliches Abendland oder wie? Schämen Sie sich nicht, Sie centzutzelnder, gschissener Unchrist, alles für sich zu behalten, wenn andre hungern?» Eine fette Wut treibt mich hinter dem Laptopträger her und dazu, ihn unflätig zu beschimpfen.

Der Afrikaner geht verwundert nach der andren Seite davon, als wolle er nichts mit mir zu tun haben.

Beim Warten auf die U-Bahn weiß ich nicht, ob ich mich für meinen Auszucker schämen oder über die Geduld der meisten BettlerInnen staunen soll.

Erkenntnis: Betteln ist jedenfalls eine harte Arbeit, die weitreichende Fähigkeiten erfordert: Geduld und Gelassenheit, Menschenkenntnis und Selbstbeherrschung, die christliche Tugend der Feindesliebe und eiserne Knie. Das gehört doch angemessen entlohnt.