Unglück im Glücktun & lassen

In den Card-Casinos kommt es vor, dass Spielende 72 Stunden durchgehend spielen

Die Casinos Austria erzielten im letzten Jahr erneut einen Rekordgewinn. Besonders boomt das Geschäft in Osteuropa und im Online-Glücksspielbereich. Stolz wird auch ständig betont, wie viele Steuermillionen abgeliefert werden. Dass hinter den Verlusten tausende einzelne Menschen stehen, die zumeist schon zuvor in schwierigen Lebensverhältnissen steckten, wird tunlichst verschwiegen. 1 bis 3 Prozent der Bevölkerung in Österreich sind glückspielsüchtig, viele von ihnen leiden zusätzlich wechselseitig bedingt an Drogenabhängigkeiten (meistens Alkohol) oder an Depressionen.Das Glück ist, wo Sie sind! lautet ein Fernsehslogan von win2day, der Online-Plattform der Casinos Austria. Es zeigt einen jungen Mann, der völlig frustriert von den Urlaubsgeschichten seiner Lebensgefährtin zum Laptop geht, dort seine Freundin im Fenster als Society-Lady an einem Pokertisch im Casino sieht und zu spielen beginnt. Versprochen wird also nicht nur finanzieller Gewinn, sondern die Lösung eintöniger, belastender Lebensumstände.

Dr. Izabela Horodecki, Psychotherapeutin und Fachleiterin der Beratungsstelle AS in Wien, die sich mit der Betreuung und Therapie glücksspielsüchtiger Menschen beschäftigt, beschreibt das so: Die Spielregeln sind immer sehr einfach, die Welt des Glücksspiels ist ein idealer Rückzugsraum, eine Fluchtmöglichkeit. Im Spiel hat man scheinbar immer die volle Kontrolle, die reale Welt verschwindet in einer Scheinwelt. Unterstützt von der allgemeinen Ideologie, dass jede/r seines/ihres Glückes Schmied ist, glauben viele daran, im Glücksspiel Kompensation für erlittenes Unrecht und Niederlagen im Leben zu finden. Wenn man gewinnt, denkt man nicht an diejenigen, die verlieren, es ist ja die freie Entscheidung eines jeden, mitzuspielen oder nicht, meint Reinhard, ein 28-jähriger Spieler, der behauptet, mit dem Pokern einen regelmäßigen Nebenverdienst zu haben.

Auf die Frage, ob dies für ihn als Linken nicht eine neoliberale Argumentation sei, meint er: Es ist schon problematisch, aber viele spielen halt aus Spaß und zahlen für diesen Spaß eine Gebühr, wie zum Beispiel beim Tennis auch. Reinhard meint, er spiele nur 2 bis 3 Stunden täglich und habe in den letzten 3 Monaten etwa 1000 Dollar gewonnen. Izabela Horodecki meint dazu, dass Suchtkarrieren meist 3 bis 7 Jahre dauern, wissenschaftlich werden vier Phasen unterschieden (Gewinn-, Verlust-, Verzweiflungs-, und Hoffnungslosigkeitsphase). Zur Beratung kommen die meisten erst ab der dritten Phase. Beziehungen sind meist schon in die Brüche gegangen und SpielerInnen leihen sich Geld, um durch Glücksspiele andere Schulden begleichen zu können (Chasing). Reinhard hat sich von der Umwelt bereits völlig abgeschottet, kommuniziert nur mehr per SMS, glaubt aber subjektiv, Pokern sei eine Jobalternative, wo man sich die Zeit selbst einteilen kann und keinen Chef hat. Den Vorteil beim Online-Spiel sieht er darin, dass man mehrere Tische gleichzeitig spielen kann. Man kommt so auf mehr Hände in der Stunde. Im Casino spielt man etwa 30 Hände in der Stunde, online, wenn man z. B. vier Tische spielt, ca. 400. Izabela Horodecki sieht darin auch die besondere Gefahr des Online-Spiels. Der Reiz-Reaktions-Kreislauf kann beliebig beschleunigt werden.

Zur Beratung kommen sie erst in der Phase der Verzweiflung

In den Card-Casinos kommt es vor, dass Spielende 72 Stunden durchgehend spielen. Ein Klient berichtete, dass am Nebentisch ein Spieler an Herzinfarkt verstorben ist und das Spiel nicht einmal unterbrochen wurde. Er konnte sich nachträglich nicht erklären, wie er dermaßen abstumpfen konnte, berichtet Izabela Horodecki. Geschlechtsspezifisch gibt es Unterschiede, vor allem im Einstiegsalter. Während Männer mit 16 bis 25 Jahren zu Spielern werden, steigen Frauen erst zwischen 35 und 45 ein. Im Internet spielen urbane junge Männer vor allem Poker, während vor allem ländlichen Hausfrauen den Wachstumsmarkt für Lotteriespiele im Netz ausmachen. Auf die Frage nach einem vergleichbaren Lustgefühl beim Pokern, antwortet Roland (29), Journalist und Student, der schon Kontakt zu AS hatte: Das ist schwer zu sagen, weil Pokern für mich eine Kategorie für sich ist. Der Suchtfaktor liegt vielleicht vor allem darin, dass man alle paar Minuten eine neue Hand bekommt, also quasi neue Hoffnung, den Riesenpot zu gewinnen. Es ist eine ständige Spannung/Entspannung. Reinhard beantwortet dieselbe Frage betont nüchtern mit: Ich spiele ausschließlich aus der Motivation heraus, ein Nebeneinkommen zu haben. Das Reizvolle am Spiel selbst ist für mich nicht das Spielen, sondern die Theorie dahinter und die Analyse. Nicht das kurzfristige Geld gewinnen oder verlieren macht den Reiz aus, sondern zu wissen, dass man in einer konkreten Situation die richtige Entscheidung getroffen hat.

Über 1000 Menschen nehmen jährlich die Hilfe von AS in Anspruch. Das Angebot ist kostenlos und anonym. Unser Ansatz ist niederschwellig und interdisziplinär, schildert Izabela Horodecki die Arbeitsweise des AS, unsere 24 MitarbeiterInnen sind PsychologInnen, PädagogInnen, SchuldenberaterInnen, PsychiaterInnen und SozialarbeiterInnen. Das langfristige Ziel ist, den KlientInnen ein spielfreies Leben zu ermöglichen, wobei ein Unterschied besteht zwischen einer geselligen Kartenrunde im Freundeskreis und dem systematischen Glücksspiel. Das Englische unterscheidet zwischen playing und gambling, im Deutschen gibt es dafür keine Differenzierung.

Horodecki schildert, dass die Spielenden erst in der Phase der Verzweiflung den Weg in die Beratungsstelle finden Fast alle stellen zuerst die Frage: Warum bin ich süchtig? Gesellschaftlich ist die Frage hochinteressant, der therapeutische Erfolg wird dadurch allerdings (bewusst?) verzögert. Wir stellen die Gegenfrage: Warum wollen sie aufhören? Erst wenn diese Frage beantwortet werden kann, ist der Weg zu einem spielfreien Leben möglich. Reinhard und Roland wollen nicht aufhören, sehen sich anderen Spielenden überlegen und glauben mit Online-Pokern ihr Leben mitfinanzieren zu können. Solange es keine Einsicht in die eigene Abhängigkeit gibt, kann auch die Umgebung kaum was machen. Gerade Spielende bauen ein präzises Netz an Lügen auf, um ihre Sucht möglichst lang zu verbergen, schildert Izabela Horodecki die schwierige Situation von FreundInnen und Angehörigen. Seit 1991 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das pathologische Spielen in ihre Internationale Klassifikation Psychischer Störungen aufgenommen. Demnach besteht die Störung in häufig wiederholtem, episodenhaftem Glücksspiel, das die Lebensführung der betroffenen Personen beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen und familiären Werte und Verpflichtungen führt. Trotz dieser Anerkennung als Krankheit wird AS weder vom Staat noch von der Stadt Wien oder von den Krankenkassen unterstützt, kurioser Weise ist die Beratungsstelle daher auf Sponsoring von Admiral Sportwetten, Casinos Austria und Novomatic angewiesen. Diejenigen, die mit ihrer spezifischen Werbung und ihrem Spielangebot an den Narzissmus der Menschen appellieren, sie zu potentiellen SiegerInnen stilisieren, geben Almosen für die ärmsten VerliererInnen, damit diese nicht durch kriminelle Handlungen, Selbstmord oder andere auffällige Verhaltensweisen den glamourösen Schein der Branche beschmutzen. Verständlich ist, dass die Beratungsstelle AS daher kaum öffentliche Kritik an Glücksspielen an sich üben kann, will sie weiter wertvolle Arbeit für ihre KlientInnen leisten.

Nicht stoffgebundene Süchte

Neben Arbeits-, Kauf-, und Internetsucht, sowie der noch nicht eindeutig definierten Sport- und Sexsucht, gehört die Glücksspielsucht zu den nicht stoffgebundenen Süchten. Es gibt praktisch keine Tätigkeit, die nicht zu einem gewissen Suchtverhalten führen kann, und es gibt kaum eine Person, die nicht gefährdet ist, süchtig zu werden. In einer lustfeindlichen, unsolidarischen Gesellschaft ist es nicht verwunderlich, dass der Hunger nach Belohnung auf sonderbare Lösungsvarianten kommt. Die Glücksspielsucht ist von ihrem Abhängigkeitsgrad nichts Besonderes, besonders ist nur, dass der Staat auf Kosten der Abhängigen gute Geschäfte macht. Sie haben ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 1400 Euro und einen Schuldenberg von 48.000 Euro, nicht wenige von ihnen sind auch schon straffällig geworden, um ihr Spiel zu finanzieren, schildert Izabela Horodecki die Situation ihrer KlientInnen. Noch vor 20 Jahren schützte das Residenzverbot niemand durfte an seinem/ihrem Wohnort spielen vor regelmäßigen Verlusten, heute reicht eine Kreditkarte, um rund um die Uhr zocken zu können. Roland und Reinhard sind noch nicht abgestürzt, eine therapeutische Unterstützung würde ihnen jedenfalls helfen. Ebenso hilfreich sind aber auch kleine oder große Erfolge bei der Suche nach einem glücklichen Leben, oder wie Izabela Horodecki schmunzelnd erwähnt: Ein beinahe hoffnungsloser Spieler kam nach 8 Monaten Therapie in die Sitzung und meinte, es sei geschafft, er sei Hals über Kopf verliebt. Er kam nie wieder ins AS.

Info:

Beratungsstelle Therapiezentrum AS für Glücksspielabhängige und Angehörige

Siebenbrunnengasse 21/DG

1050 Wien

Tel.: (01) 544 13 57

Fax: (01) 544 13 57

E-Mail: therapiezentrum@spielsucht.or.at