Vergessensabschnittetun & lassen

eingSCHENKt

Frühförderung betrifft nicht nur Kinder mit Bedarf an Sprachunterstützung, sondern allgemein Kinder aus sozial schwächeren Elternhäusern. Bei den 4- bis 6-Jährigen gehen Kinder armutsgefährdeter Eltern deutlich weniger in den Kindergarten (57 %) als nicht arme Kinder (75 %). Weiters kommen von den zehn Prozent, die beim Lesen am schlechtesten abschneiden, mehr als zwei Drittel (68 %) aus deutschsprachigen österreichischen Familien. Rund 14 Prozent der Schüler mit Migrationshintergrund erreichen beim Pisa-Test sogar die beiden höchsten Leistungsstufen. Ganze 45 Prozent liegen im Durchschnitt aller getesteten 15-Jährigen. Das heißt: 59 Prozent der MigrantInnen lesen gleich gut oder besser als der Durchschnitt der Schüler deutscher Muttersprache. Hier ist nicht der ethnische, sondern der sozioökonomische Hintergrund bestimmend.

Die Zeit zwischen 3 und 6 Jahren birgt große Chancen, sozial benachteiligte Kinder spielerisch und individuell zu fördern. Eine gute integrative Kinderpädagogik ist in dieser Phase ein schützender und stärkender Faktor für das Selbstbewusstsein der Kinder. Und hilft die in den Kindern angelegten Möglichkeiten spielerisch zu entfalten. Die Zeit zwischen 3 und 6 Jahren ist ein „window of opportunity“, um mit einfachen Maßnahmen etwas gegen die Vererbung von Armut zu tun. Ob dann am Türschild Kindergarten oder Vorschule steht, ist zweitrangig. Was es braucht, sind Lernbedingungen, die allen Vorteile bringen: Was den Schwachen gut tut, nützt auch den Starken.

Wichtig ist eine integrative Pädagogik, die sowohl mit behinderten Kindern als auch mit sozial benachteiligten Kids als auch mit Sprachen so umzugehen weiß, dass alle profitieren.

Die homogene Klasse als Idealbild der Schule, wo sich alle Kinder und Jugendlichen mit denselben Inhalten beschäftigen, ist eine Illusion, so Rudolf Meraner, Leiter des pädagogischen Instituts in Südtirol. Südtirol hat eine integrative gemeinsame Schule. Alle Kinder, ob sie Migrationshintergrund haben oder aus sozial benachteiligten Familien kommen, ob sie weniger oder sehr begabt sind, sind bei uns zu finden, erzählt der Direktor der Mittelschule in Bozen. Regellehrer müssen sich etwa auch mit Heil- und Sonderpädagogik auseinander setzen. Das ist auch in Kanada so. Es gibt eine fachliche und eine pädagogische Ausbildung der Lehrenden. Der eine ist Mathematiker und Spezialist für Teilleistungsstörungen. Die andere ist Sozialkundelehrerin und Begleiterin beim Spracherwerb von Kindern aus bestimmten afrikanischen Ländern.

Eine Schule, in der zu wenig gelernt und zu viel gelehrt wird, rechnet fix mit Nachhilfestunden anderswo. Das stellt in jedem Fall eine Benachteiligung für einkommensschwache und ressourcenarme Haushalte da. Es braucht einen anderen Unterricht, der den fatalen Kreislauf 1. (auswendig) Lernen, 2. Prüfung, 3. Vergessen zu durchbrechen versucht; ein Unterricht, der statt Vergessensabschnitte zu produzieren, Lernprozesse gestaltet. Anstelle eines defizitorientierten Ansatzes zeichnen sich die sozial erfolgreichen Schulkonzepte durch die Orientierung an den unterschiedlichen Lebenswelten ihrer SchülerInnen aus: in durchmischten Gruppen individuell fördern. Das geht nur mit einer neuen Unterrichtsqualität, einer neuen Lehrerausbildung und einer neuen Schularchitektur. Und einer Frühförderung für alle.