Von der Zielpunktpleite zum Konsum 2.0tun & lassen

Über «Kapitalistenschweine», Lebensmittel als Waren & machbare Alternativen

Die Insolvenz der Lebensmittelkette «Zielpunkt» treibt tausende Menschen in die Arbeitslosigkeit. Martin Birkner zeigt, dass sie darüber hinaus wichtige Fragen nach gesellschaftlicher Verantwortung von Vermögensbesitzer_innen und der Sinnhaftigkeit von Lebensmitteln als Waren aufwirft.

Illu: Much

Die Fakten sind bekannt: Zielpunkt ist pleite, rund 2500 Menschen – überwiegend Frauen – verlieren ihren Arbeitsplatz, die Handelsgruppe des Eigentümers Georg Pfeiffer wird 30 Millionen Euro abschreiben. Weniger bekannt ist, dass das Vermögen der Familie Pfeiffer geschätzte 770 Millionen Euro beträgt – ein Vielfaches der zirka 60 Millionen, die Pfeiffer die Sanierung der maroden Firma gekostet hätte. Die Angestellten aber mussten auf Gehalt und Weihnachtsgeld warten. Ende November, ausgerechnet am Tag der Konkurseinreichung, erhielten sie ein zynisch anmutendes Dankesschreiben von Pfeiffer («wir haben … uns für die Zukunft hervorragend aufgestellt») samt 10-Euro-Gutschein. So verwundert es auch nicht, wenn eine Beschäftigte dem Chef vorweihnachtlich ausrichten ließ: «Ich wünsch ihm, dass er sich so einen Karpfen kauft, er ihm im Hals irgendwie stecken bleibt und er vor lauter Husten dann halb erstickt, sodass er sich noch am Christbaum am Lametta festhält, ausrutscht und auf die Gosch’n fällt.» (zitiert nach http://mosaik-blog.at/zielpunkt-ein-schlag-ins-gesicht)

 

770 Millionen: moralisch verwerflich?

 

Der Angesprochene wiederum sieht sich in einem «profil»-Interview als das wahre Opfer der «unternehmerfeindlichen Stimmung» im Land. O-Ton: «Der Unternehmer ist geduldet, solange er Arbeitsplätze schafft, er sollte aber tunlichst darauf achten, kein Geld zu verdienen, weil das moralisch verwerflich ist. … Wenn einmal etwas passiert, dann ist er das große Kapitalistenschwein.» Das sagt einiges aus über das Selbstverständnis eines Unternehmers, der soeben tausende – ohnehin schlecht bezahlte – Arbeiter_innen um ihre Jobs gebracht hat.

Hinter dem Wahnsinn steckt Methode: die Tatsache, dass Lebensmittel, also unbedingt notwendige Voraussetzungen menschlichen Lebens, nur als kapitalistische Waren verfügbar sind. Fehlt die Kaufkraft, musst du hungern. Dies war schon der frühen Arbeiter_innenbewegung bewusst, und so stand an ihrem Anfang auch die Gründung von Genossenschaften. Damit sollte die Verfügbarkeit von Lebensmitteln vom kapitalistisch dominierten Markt entkoppelt und die Ernährung der arbeitenden Menschen jenseits der Profitwirtschaft sichergestellt werden (ein anderes Standbein dessen war die Subsistenzökonomie, die heute zunehmend wieder in Mode kommenden Gemüsegärten «hinterm Haus»). Der großflächige Zusammenschluss und direkte Einkauf bei den Produzent_innen sollte die Profite des Zwischenhandels umgehen und – so zumindest die Ideologie – faire Preise für Produzent_innen und ein günstiges Angebot für die Konsument_innen sicherstellen. Das funktionierte in der Frühphase des Kapitalismus ganz gut, spätestens seit der Pleite des «Konsum» vor genau zwanzig Jahren aber galt die Idee der Konsumgenossenschaft als antiquiert.

 

Konsum 2.0

 

Heute entstehen immer mehr solidarökonomische Zusammenschlüsse im Lebensmittelbereich. Die Kritik an den ökologischen und sozialen Verheerungen entlang der globalen Wertschöpfungskette lässt immer mehr Menschen zur Selbsthilfe greifen. CSA-Modelle (In der «Community Supported Agriculture» beteiligen sich Konsument_innen direkt an den Kosten einer Landwirtschaft und erhalten im Gegenzug einen Teil der dort erzeugten Produkte.), Lebensmittelkooperativen und Gemeinschaftsgärten zeigen ein neues Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung der Produktion, Distribution und Konsumtion von Lebensmitteln. Nach der Konsum-Pleite hieß es in den bürgerlichen Medien, diese sei erwartbar gewesen, da die Linken nichts von «Wirtschaft» verstehen. Daran sollten wir uns angesichts der Causa Zielpunkt wieder erinnern – und die Konsequenzen aus dem Versagen der Marktwirtschaft ziehen.

Konkreter Vorschlag: Die Hälfte des Vermögens des Firmenbesitzers dürfte reichen, um ein bahnbrechendes Experiment zu starten. Alle Zielpunktfilialen werden von den Mitarbeiter_innen übernommen und in eine «Konsumgenossenschaft 2.0» umgewandelt: Direkter Einkauf bei lokalen Hersteller_innen, einheitliche Löhne für alle, hohe Sozialstandards, ausschließlich biologische Lebensmittel, hergestellt von sozial abgesicherten Produzent_innen; alle betrieblichen Entscheidungen werden gemeinsam oder durch gewählte Delegierte getroffen. Gleichzeitig startet eine bundesweite Initiative zur Demokratisierung der landwirtschaftlichen Raiffeisen-Genossenschaften sowie eine breite Kampagne zur flächendeckenden Ökologisierung der Landwirtschaft. Und dem Herrn Pfeiffer bleiben immer noch 350 Millionen für Lametta und Karpfen.