Vorwärts, und nicht vergessen …tun & lassen

Abschied von der Widerstandskämpferin Irma Schwager

Irma Schwager, Widerstandskämpferin in der französischen Résistance, engagierte Frauenrechtlerin, Friedenskämpferin und Kommunistin, ist am 22. Juni gestorben. Die Nachricht über ihren Tod kam ausgerechnet, als Bärbel Danneberg gerade an einem Porträt für den «Augustin» schrieb. Das angefangene Porträt ist ein Zeugnis dafür, dass Irma Schwager bis zu ihrem Ende mitten im Leben stand. Ihr Tod ist eine Zäsur – auch in dem folgenden Text.

Foto: Gisela Ortner

Es ist ein schöner Frühlingstag, dieser 31. Mai. Wir feiern den 95. Geburtstag von Irma Schwager. Wir, ihre Schützlinge und politischen Weggefährt_innen über lange Jahre, haben in der Frauenhetz, dem feministischen Bildungszentrum im 3. Bezirk, eine Geburtstagsfeier vorbereitet. So langsam trudeln die Leute ein. Es ist ein intimer Rahmen, und wir haben Irma versprochen, dass sie keine Rede halten muss. Maren Rahmann spielt auf dem Akkordeon und singt Widerständiges, Französisches. Auf dem Tisch liegt ein Band mit bunten Zettelröllchen, die Frauen haben 95 Botschaften aus Irmas langem Leben zusammengetragen und angeheftet: Artikel, Fotos, ein Stick mit einem Film über sie, rote Nelken, Archivmaterial aus der «stimme der frau», der Zeitschrift des Bundes Demokratischer Frauen, dessen Vorsitzende Irma Schwager lange Zeit war.

Eine dieser Botschaften ist dem Organ «Freies Österreich» der Österreichischen Freiheitsfront, Gruppe Belgien, entnommen. Wir lesen ihr Auszüge daraus vor. Irma Schwager schrieb unter ihrem damaligen Namen Irma Wieselberg im Juni 1945 über «unsere neue Regierung»: «Da unser Volk am Befreiungskampf aktiv teilgenommen hat, wodurch erst die Grundlage für die Regierungsbildung geschaffen wurde, hat es die Bedingung, die im Nachsatz der Moskauer Erklärung enthalten war, erfüllt. In diesem Nachsatz war ausgesprochen worden, dass der Beitrag des österreichischen Volkes bei der endgültigen Regelung der österreichischen Frage berücksichtigt werden würde. (…) Riesig groß sind die Aufgaben, vor denen die neue Regierung steht, denn nach sieben Jahren Hitlerbesetzung muss unser Land eine Wiedergeburt im wahrsten Sinne der Wortes durchmachen …» Irma ist sichtlich gerührt. Ihr war dieser Artikel, den sie vor siebzig Jahren in Brüssel geschrieben hatte, nicht mehr in Erinnerung. Und sie lässt es sich zu ihrem 95. Geburtstag nicht nehmen, doch eine Rede zu halten. Lebendig, bildlich, engagiert und ausführlich erzählt sie über ihr Leben im Widerstand und ihre Heimkehr in das befreite Österreich.

Erinnerungen aus dem Widerstand

1920 als Kind jüdischer Eltern geboren, bekam Irma Schwager als Mädchen die Pogromstimmung in den Straßen Wiens zu spüren, wo Juden und Jüdinnen unter dem Gejohle der Leute zum «Straßenreiben» abgeholt wurden. Als Irma auf dem Heimweg die straßenreibenden Juden sah, drückte ihr der Bäckersbursche, ein Nazi, einen Kübel mit Seifenwasser in die Hand, die «kleine Wieselberg» solle auch die Straßen reiben. Empört schüttete Irma dem Burschen den Kübel vor den Bauch und radelte rasch davon. Im 38er-Jahr wurden die ersten Transporte nach Dachau zusammengestellt. Während Irma sich auf den Weg nach England machte, blieben die Eltern, die einen Gemischtwarenhandel betrieben, in Wien. Beide Elternteile und zwei Brüder sind im Holocaust umgekommen.

Mit 18 Jahren fuhr Irma nach England, kam aber nie dort an, sondern blieb illegal in Belgien und schloss sich einer Gruppe von politischen Emigrant_innen an. In den Gesprächen begann sie zu verstehen, «dass man nicht nur Opfer ist, dass man sich nicht nur wehren kann, sondern auch muss». Mit dem Einmarsch der Nazis im Mai 1940 wurde die Situation für Irma im besetzten Belgien so brenzlig, dass sie nach Frankreich flüchtete. Dort wurde sie im Lager Gurs interniert und schloss sich einer illegalen kommunistischen Organisation an. Mit Hilfe der französischen Widerstandsbewegung gelang ihr die Flucht aus dem Lager.

Nun begann für Irma die politische Alltagsarbeit in der Résistance, in der die Österreicher_innen eine eigene Gruppe gebildet hatten. Während die Burschen in den verschiedenen Wehrmachtsstellen unterzukommen suchten, um dort gegen den Krieg zu agitieren, nahmen die Mädchen mit den Soldaten Kontakt auf und versuchten in den Gesprächen, Überzeugungsarbeit gegen den Krieg zu leisten. Die «Mäderlarbeit» war hochriskant, eine Frau der Gruppe wurde hingerichtet und drei Frauen sind nach Auschwitz und Ravensbrück verschleppt worden.

Der Tod – eine Zäsur

Ein kleines Mädchen sitzt bei der Geburtstagsfeier am 31. Mai auf Irmas Schoß, die Tochter von zwei Freundinnen, die zur Feier gekommen waren. Das kleine Mädchen und die 95-jährige Irma sind für mich ein Bild des Zusammenhalts zwischen Leben und Tod, so denke ich im Nachhinein, ein Sinnbild der Lebenslinien vom Anfang bis zum Ende so wie das bunte Band, an das wir die Erinnerungsbotschaften für Irma geheftet hatten.

Eine Spanne, in die der Tod eine Zäsur gerissen hat. Am 22. Juni ist Irma gestorben.

Als ich sie kurz zuvor im Krankenhaus besuchte, hatte sie mir zu verstehen gegeben, wie sehr ihr diese Geburtstagsfeier gefallen hat, und sich bedankt dafür. Der Tod kommt immer zu früh. Auch bei einer 95-Jährigen. So viel gäbe es noch zu sagen, so viel noch zu tun.

Irma Schwager

Aus der Rede von Bärbel Danneberg bei der Verabschiedung von Irma Schwager am 3. Juli im Krematorium Wien-Simmering

Liebe Irma! Du hast uns einen kostbaren Schatz hinterlassen: das Wissen um den Wert von Solidarität und Widerstand. Dir war das Gemeinsame immer wichtiger als das Trennende im Ringen um eine gerechtere Gesellschaft, in der Frauen jenen Platz einnehmen, der ihnen gebührt. Dafür hast Du Bündnisse geschmiedet, Vertrauensarbeit geleistet und Aktionseinheiten gesucht. Auf internationaler Ebene hast Du als Mitbegründerin der Internationalen Demokratischen Frauenföderation die Vernetzung von Fraueninitiativen über unsere Ländergrenzen hinaus vorangetrieben. Die Weltfrauenkonferenzen und die Ziele der UNO-Dekade der Frau waren Dir Ansporn, mit den Frauen des Bundes Demokratischer Frauen Österreichs, dessen Vorsitzende Du ab 1972 warst, für die Verwirklichung dieser Ziele einzutreten. (…) Erinnerst Du Dich, als wir einen Waschkorb voller Unterschriften für die Änderung des Ehe- und Familienrechts, das noch aus der Postkutschenzeit stammte, beim damaligen Sozialminister ablieferten? Oder an die Aktionseinheiten zum Internationalen Frauentag in den 1980er Jahren, die zu einem breiten Frauenbündnis über Parteigrenzen hinaus in ganz Österreich wurden? Und an die Demonstrationen für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch? – Zu Beginn waren das noch BDF-Tafelmärsche über die Mariahilfer Straße, im Zusammenwirken mit feministischen, autonomen, parteipolitischen oder christlichen Fraueninitiativen und -organisationen wurde es ein breites Frauenbündnis, das erreichte, den Abtreibungs-Klassenparagraphen in den ersten drei Monaten straffrei zu stellen.

In den leitenden Gremien der KPÖ hast Du die Frauenpolitik der Partei entscheidend mitgeprägt und sie für weibliche Lebenszusammenhänge sensibilisiert. Das war oft mühsam, aber Du hast Dich in der Frauenpolitischen Kommission der Partei, die anfangs noch Familienpolitische Kommission hieß, nicht nur für die Umbenennung dieses Gremiums eingesetzt, sondern entscheidend an der Erarbeitung und Diskussion des ersten KPÖ-Frauenprogramms mitgewirkt. (…) Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus war Dein überzeugter Ruf. Und so hast Du gemeinsam mit Margarete Schütte-Lihotzky und anderen Frauen das antifaschistische Frauenkomitee für die Filmvorführungen in der Wiener Urania organisiert, das mit diesen Themen Aufklärungsarbeit leistete. Dein friedenspolitisches Engagement hat Dich am Höhepunkt des Vietnamkrieges 1971 nach Vietnam gebracht. In den 1990er-Jahren warst Du Präsidentin der Gesellschaft Österreich-Vietnam und anschließend deren Ehrenpräsidentin.

Das Wichtigste aber, hast Du uns immer gesagt, ist die Erhaltung des Friedens, hütet ihn und kämpft dafür! – Und manchmal haben wir Jüngeren im Redaktionskollektiv der «stimme der frau» die Augen verdreht, wenn uns andere Themen in der Zeitung wichtiger erschienen. Aber Du hast nicht locker gelassen. Und wie recht hast Du gehabt, wenn wir uns die heutige Weltlage anschauen. (…) Für Deine Zivilcourage wurdest Du vom Österreichischen Frauenring ausgezeichnet. Mit Ehrungen des offiziellen Österreich wurdest Du nicht überhäuft. Du warst bescheiden, was Ehrungen anlangt. Du hast mir in einem unserer letzten Gespräche gesagt: «Weißt du, wir haben nicht alles erreicht, aber wir haben viel bewegt.» So ist es. Vor allem hast Du uns Jüngere zu politischer Wachheit erzogen. Wir sind Dir sehr dankbar dafür. Wir verneigen uns, wir werden in Deinem Sinn weiterwirken.