Wasser übers Meertun & lassen

Eine Frage der Verteilung

Ein Apfel besteht nicht nur aus den Komponenten «Baum» und «Pflücken». Er wird gezüchtet, gegossen, gespritzt, gedüngt, verpackt, transportiert, eingeschlichtet, gekauft und nach Hause gefahren. Mit den Mobiltelefonen ist es noch wilder, denn die verrotten nicht einmal am Kompost. Armin Reller, Professor für Ressourcenstrategie an der Universität Augsburg, erzählt die Stoffgeschichten hinter den Produkten des täglichen Gebrauchs.Vor kurzem wurde bekannt, dass die OMV in Poysdorf bei Niederösterreich große Mengen von Schiefergas entdeckt hat, die in 4000 bis 6000 Meter Tiefe zwischen Schieferplatten eingepresst sind ist das ein Grund zur Freude oder zur Sorge?

Vorerst einmal beides. Freude darüber, dass diese Erde offenbar Bodenschätze hat, die wir noch nicht gefunden haben. Sorge darüber, dass wir sie in kürzester Zeit verbrauchen und mit technischen Methoden wie Fracking fördern, die unterm Strich schädlich sind. Man muss bei so einer Förderung auch den Aufwand mitrechnen, wie viel Energie ich verbrauche und wie viel Kohlendioxid ich erzeuge, um das hinzukriegen.

Bei welchen Rohstoffen ist das noch der Fall, dass der Aufwand für ihre Gewinnung zunehmend größer wird?

Das Verrückte ist: Wir haben uns in der Technikgeschichte in einen Zustand manövriert, in dem immer mehr Prozesse Energie brauchen, obwohl wir auf diesem Planeten eigentlich angehalten wären, Energie zu sammeln. Das Paradebeispiel ist die Landwirtschaft. Die Landwirtschaft ist eigentlich die Kunst, Sonnenenergie zu sammeln und in Zucker, Kohlenhydraten, Stärke, Proteinen, Ölen und weiteren natürlichen Stoffen zu speichern. Dem steht nun der Energieaufwand gegenüber, den wir zur Bestellung der Felder aufwenden, an Dünger, Pestiziden, Wasser, Kohlendioxid usw. Und da haben wir in den meisten Fällen eine eindeutig negative Bilanz, stofflich und energetisch: Wir sammeln weniger Energie, als wir in die Felder reinbringen, und machen zudem den Boden kaputt. Im industriellen Weizenanbau wird heute bis zu zehnmal mehr Energie eingesetzt, als geerntet werden kann.

Ist fruchtbarer Ackerboden eine knapp werdende Ressource?

Fruchtbarer Boden und saftige Wiesen sind heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Nur rund ein Zehntel der nicht vom Meer bedeckten Landmassen sind für die Landwirtschaft geeignet. In Deutschland gehen täglich 95 Hektar Ackerboden verloren, weil Häuser und Straßen darauf gebaut werden (in Österreich täglich rund 10 Hektar, Anm.). Aber nicht nur Asphalt, Beton und Kunstrasen verbrauchen fruchtbares Land, auch der falsche Umgang mit den Nährstoffkreisläufen des Bodens macht viel kaputt.

Dazu kommt die Frage, wofür wir die Ernte verwenden, für Nahrungsmittel, für Tierfutter oder Biotreibstoff.

Genau, laut WWF werden ja 85 Prozent der weltweiten Soja-Ernte für Tierfutter verwendet. Oder eine noch deutlichere Zahl: Die Hälfte der rund 1,3 Milliarden Hektar der zur Landwirtschaft geeigneten Flächen werden dazu benutzt, Tiere zu ernähren. Da gäbe es durch einen veränderten Lebensstil doch einigen Spielraum.

Nun fehlt den meisten von uns das Wissen um diese Zusammenhänge, z. B. auch beim Wasserverbrauch. Laut Statistik verbraucht ein Mensch in Mitteleuropa rund 130 Liter pro Tag, was mir schon sehr viel vorkommt. Sie schreiben nun aber, dass wir pro Kopf und Tag rund 5000 Liter Wasser verbrauchen. Wie kommen Sie zu dieser großen Zahl?

Das hat mit unserem Lebensstil zu tun, damit, dass wir Konsumentinnen und Konsumenten sind, die sich nicht kümmern müssen um das Zustandekommen der Produkte und der Konsumgüter, die wir kaufen können oder nutzen. Deshalb ist der Begriff Stoffgeschichten in unserem Buch sehr einprägsam, der bedeutet, dass wir uns auf die Kontexte konzentrieren, unter denen ein Produkt im Laden landet. Diese Wassergeschichte ist insofern spannend, weil das nicht virtuelles Wasser ist, wie das gern genannt wird, sondern Wasser, das wirklich gebraucht wird, um ein bestimmtes Produkt oder ein bestimmtes Material herzustellen. So ist es heute weltweit der Fall, dass Kulturpflanzen dort angebaut werden, wo sie nicht hingehören, dementsprechend ist der Energie- und Wasseraufwand enorm. Bei der Baumwolle hat sich das so geäußert, dass in Usbekistan pro Kilogramm Rohbaumwolle bis zu 25.000 Liter Frischwasser notwendig sind. Völliger Irrsinn. Dasselbe gilt im Niltal. Das heißt, wenn ich mir ein Baumwoll-Kleidungsstück kaufe, dann kaufe ich im Prinzip auch Wasser ein und Energie und Pestizide und Chemikalien.

Genügt das Konsumverhalten allein, um etwas zu verändern, oder bedarf es da mehr Verantwortung von der Politik?

Das Konsumverhalten allein reicht nicht. In den 200 Jahren fossiler Geschichte haben wir uns Technologien zurechtgelegt, sei es in der Mobilität, bei Luxusgütern, in der Metallnutzung, die nicht einfach so nachhaltig gestaltet werden können. Da sind große Umlagerungsprozesse vonnöten. Zuerst müssen wir einmal unseren Lebensstil mit seinen Ansprüchen an die Bodenschätze und an die Naturgüter transparent und wahrnehmbar machen. Wenn Sie diese Kamera oder dieses Aufnahmegerät anschauen, wissen wir ja gar nicht, wie das zustande gekommen ist. Durch die Globalisierung der Produktion werden Komponenten, Materialien, Produkte aus aller Welt zusammengefügt zu einem Konsumgut, ohne dass wir an die Konsequenz denken müssen.

Lassen sich diese hochtechnischen Dinge wie Kameras, Handys oder Computer mit ihren komplexen Materialmischungen überhaupt noch recyceln?

In so einem Handy oder einer Kamera befinden sich vielleicht 25 oder 30 unterschiedliche Metalle. Sie haben so gesehen ein globales Gerät vor sich. Das Problem ist, wenn Sie die Stoffe zurückgewinnen wollen, sind Sie mit der Tatsache konfrontiert, dass die einen Stoffe in beträchtlichen Mengen da drinnen stecken, andere wie Indium oder Germanium in Mikrogrammmengen. Dieses Gerät ist also viel komplizierter als alle Erze, die wir auf dieser Welt brauchen, um Metalle herauszuholen. Technologien, die wirtschaftlich und umweltverträglich ermöglichen, diese Metalle zurückzugewinnen, haben wir noch nicht entwickelt. Wenn sie nicht recycliert werden, werden sie fein verteilt in der Biosphäre oder in der Petrosphäre, und das ist natürlich völliger Unsinn. In einer Tonne Handys steckt etwa fünfzigmal mehr Gold als in einer Tonne Golderz in Südafrika.

Nun sind Rohstoffe geographisch unterschiedlich verteilt. Wenn wir zum Wasser zurückkommen: Hier sprechen Sie von der Notwendigkeit eines effizienten, globalen Wassermanagements. Wer sollte das leisten und was hieße das für ein wasserreiches Land wie Österreich?

Österreich hat die glückliche Situation, dass genügend frisches Wasser zur Verfügung steht. Der globale Wasserkreislauf zeichnet sich dadurch aus, dass er gratis und franco das Wasser aufbereitet. Beim Regen kommt normalerweise sauberes Wasser auf die Erde. Nur ist die Verteilung hier sehr ungleich. Weil immer mehr Wasser als Bewässerungswasser in die Landwirtschaft fließt, werden wir nicht umhin kommen, ein Wassermanagement globaler Art aufzuziehen. Was mir so vorschwebt ist zum Beispiel ein Weltressourcenrat. Da wir weltweit pro Jahr etwa 5.500 Kubikkilometer Frischwasser brauchen, und davon 70 Prozent für die Landwirtschaft, tun wir gut daran, jetzt schon zu überlegen, wie wir das Wasser in Zukunft verteilen. Österreich ist in der glücklichen Lage, sich selbst versorgen zu können, andere Länder können das nicht. Israel zum Beispiel bezieht teilweise Wasser aus der Türkei, übers Meer transportiert in Plastiksäcken, um Landwirtschaft zu betreiben, und wenn wir ein Kilogramm Orangen aus diesem Gebiet kaufen, dann sind dafür unter Umständen 300 Liter «türkisches» Wasser verbraucht worden. Das heißt, diese Rohstoff-Verknüpfungen sind derart komplex geworden, dass man sie kaum noch nachvollziehen kann.

Um ihrer Wachstumslogik zu folgen, eignet sich die Wirtschaft immer mehr Gemeingüter an, zum Beispiel auch Wasser, wobei hier das Argument lautet: Es ist nur ein sinnvoller Umgang damit möglich, wenn es was kostet.

Die Wasserproblematik ist sehr spannend. Gut funktionierende Wasserversorgungssysteme, wie wir sie in europäischen Städten und Landstrichen haben, sind immer Allgemeingut gewesen. Und alle Privatisierungsversuche haben nur dazu geführt, dass diese Versorgungssysteme an Qualität einbüßen, weil der Unterhalt eines Wasserversorgungssystems aufwändig ist und per se kein Geschäft sein kann. Die vitalen Ressourcen wie Wasser, Boden, Bodenschätze und Luft sollten auf keinen Fall privatisiert und dem Profitstreben unterworfen werden.

Das Gespräch führte Peter A. Krobath.

Stoffgeschichten

Armin Reller und Heike Holdinghausen zeigen in ihrem Buch anhand von Stoffgeschichten, woher Ressourcen wie Coltan, Kupfer, Silicium, Lithium, Zucker, Phosphor, Indium oder Baumwolle kommen und wofür wir sie verwenden bzw. verschwenden.

Armin Reller/Heike Holdinghausen: «Wir konsumieren uns zu Tode», Westend-Verlag