Wo bitte geht’s zum Dialog?tun & lassen

Pseudo-Bürger_innenbeteiligung Flughafen Wien: Die dritte Piste ist tabu

Ob alpendurchstoßende Tunnels oder landschaftsfressende Autobahnen: Großprojekte im Verkehrsbereich kommen keinen Bescherungen für mobile Menschen gleich, lösen keines ihrer Zeitprobleme. Vielmehr handelt es sich um Umverteilungsmaschinen: Die öffentliche Hand schaufelt öffentliche Gelder in den privaten Baukonzern. Die vielgepriesene «Bürger_innenbeteiligung» hat hier keinen Auftrag: Demokratie und Transparenz wären nur Störfaktoren. Christian Bunke prüft diese These am Beispiel des Flughafenausbaus.Anfang Jänner ging ein regionalpolitischer Dauerbrennpunkt in eine neue Runde. Vom siebten bis neunten Jänner wurde vor dem noch relativ neuen Bundesverwaltungsgericht in Wien über das Für und Wider einer dritten Piste am Flughafen Schwechat gestritten. Es wurden turbulente drei Tage, in denen es unter anderem einen Befangenheitsantrag gegen die vorsitzenden Richter durch die Partei der Ausbaugegner_innen gab.

Flughäfen sind von Natur aus kontroverse Einrichtungen. Hier bündeln sich Verflechtungen von Politik und Wirtschaft. Die Auswirkungen von Flughäfen auf die Gesundheit der in umliegenden Gemeinden wohnenden Menschen und auf die Umwelt sind Dauerstreitpunkte zwischen Flughafenbetreiber_innen und Bürger_inneninitiativen. Das ist beim Flughafen Schwechat-Wien ganz genauso.

Besonders stark tritt all das zutage, wenn eine neue Piste geplant wird. Beispiel Frankfurt am Main: 1962 beschloss die dortige Flughafen AG den Bau einer neuen Startbahn. Erst 1984 wurde sie in Betrieb genommen. Dazwischen lagen Jahrzehnte der Gerichtsprozesse, politischer Streitigkeiten und nicht zuletzt ein jahrelanger Kampf von Bürger_inneninitiativen aus dem Umland, Umweltschützer_innen und linken Aktivist_innen. Der Kampf um die Startbahn West ging in die Geschichte der sozialen Bewegungen der Bundesrepublik Deutschland ein.

Vielleicht hatte die Flughafen Wien AG diese Geschichte vor Augen, als sie 1999 ein Mediationsverfahren ausrufen ließ. Man wollte unbedingt eine dritte Piste, da man auf Seiten des Flughafens mit einer drastischen Erhöhung der Passagierzahlen rechnete. Doch wie soll man das jenen Teilen der Bevölkerung verkaufen, die sich über den damit verbundenen Fluglärm ärgern?

Totschlagargument gegen Protestierende: «Mangelnde Konsensfähigkeit»

Als zündende Idee entstand ein Mediationsverfahren. Dieses nahm 2001 seinen Anfang. Alles sollte im Konsens ablaufen, so hieß es. Doch 2003 war es mit dem Konsens schon wieder vorbei. Ein erster Teilvertrag wurde unterschrieben, der den Bau einer dritten Piste vorsah. Und das obwohl eine Reihe von Bürger_inneninitiativen absolut nicht dieser Meinung war. Sie stiegen folgerichtig aus dem Mediationsverfahren aus. Als 2005 die endgültige Fassung des Mediationsvertrages unterschrieben wurde, waren nur noch wenige Bürger_innenitiativen dabei. Den abgesprungenen wurde «mangelnde Konsensfähigkeit» vorgeworfen.

Über die Umsetzung der Beschlüsse des Mediationsverfahrens wacht bis heute ein «Dialogforum Flughafen Wien». Dessen Gründungsmitglieder sind die Flughafen Wien AG, die AUA, die Austro Control, Anrainergemeinden, die Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland sowie eine Arbeitsgemeinschaft, die Bürger_inneninitiativen und Siedlervereine um den Flughafen Wien vertreten soll. Eigentümer- und Wirtschaftsinteressen sind hier klar in der Mehrheit.

Auch im Dialogforum wird «Konsensfähigkeit» groß geschrieben. Wer gegen die dritte Piste ist, darf nicht mitmachen. Wer beim Dialogforum dabei ist, muss über alles Stillschweigen bewahren. So will der Flughafen Wien seine Betriebsgeheimnisse schützen. Gleichzeitig wird so eine offene Diskussion über Sinn und Unsinn einer dritten Piste aus der Öffentlichkeit entfernt, institutionalisiert und hinter verschlossene Türen gesteckt.

Das Wiener Dialogforum ist nicht das erste seiner Art. So gab es im Frankfurter Raum ein «regionales Dialogforum Flughafen Frankfurt», dem ein Mediationsverfahren zum Thema Fluglärm vorausging. Dieses Verfahren was aus Flughafensicht aber nicht sehr erfolgreich, weil viele Bürger_inneninitiativen, aus dem Widerstand gegen die Startbahn West mit viel politischer Erfahrung und Misstrauen ausgestattet, diesem Verfahren ihre Teilnahme verweigerten.

… vor allem ein Versuch, Widerstand zu neutralisieren

Tatsächlich ist auch die Wiener Variante vor allem ein Versuch, Widerstand zu neutralisieren. Aber auch Gesetze werden mit Verweis auf das Dialogforum zumindest kleingeredet. So rechtfertigt der Flughafen Wien die Nichtdurchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung vor dem Bau des Skylink-Terminals mit dem Dialogforum.

Der Konsensbegriff kommt ursprünglich aus den neuen sozialen Bewegungen. Konsensverfahren sind der, mal mehr oder weniger erfolgreiche, Versuch innerhalb einer Bewegung, eine für alle Beteiligten vertretbare gemeinsame Linie für das weitere Vorgehen zu finden. Das setzt voraus, dass alle Beteiligten in etwa dieselben Interessen vertreten.

Für den Flughafen bedeutet dies die bedingungslose Zustimmung zur dritten Piste. Der Flughafen Wien will wachsen. Er ist der Meinung, er muss wachsen, um zukunftsfähig zu sein. Vor dem Bundesverwaltungsgericht vertraten die Vertreter_innen des Flughafens die Linie, dass der Flughafen ohne eine dritte Piste für Langstreckenflüge und Direktanflüge nicht mehr attraktiv sei beziehungsweise in naher Zukunft an Attraktivität einbüßen werde. Und an jeder Langstrecke, so die Flughafen AG, würden 200 Arbeitsplätze hängen. Das gelte besonders für Kongressbesucher_innen. Und Wien sei ja bekanntlich ein wichtiger Kongressstandort und wolle das auch bleiben. Auch die Roadmap Luftfahrt, die von der Regierung beschlossen sei, sehe die dritte Piste ausdrücklich vor.

Wirtschaftsvertreter_innen finden Arbeitsplätze immer dann plötzlich wichtig, wenn es darum geht, umstrittene Großprojekte durchzusetzen. Man kennt das aus Frankfurt. In seinem Buch «Die Mitmachfalle» lässt Thomas Wagner den Umweltaktivisten Michael Wilk zu Wort kommen. Der stellt fest, dass zumindest der Frankfurter Flughafen sogar zu einem Abbau von Arbeitsplätzen beigetragen hat.

Von «Waffengleichheit» keine Rede

Die Bürgerinitiativen führen gegen den Flughafen Wien ins Feld, dass dieser massiv von Steuererleichterungen und allerlei sogenannten Incentives profitiert. So sind die dort verkauften Tickets umsatzsteuerbefreit. Auch das Kerosin für die Flugzeuge ist steuerbefreit. Grundsteuer zahlt der Flughafen auch keine.

Gleichzeitig zweifeln die Bürger_inneninitiativen die Wirtschaftsdaten des Flughafens an. Dieser stagniere, so Susanne Heger in einem vor dem Bundesveraltungsgericht gehaltenen Referat. Die Zahl der Flugbewegungen sei in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Die für die Flugsicherung zuständige Austro Control behauptet demgegenüber, dass es zu Spitzenzeiten Engpässe gebe.

Überhaupt die Austro Control. Auch sie ist ja in Form ihres für den Flughafen Wien zuständigen «Tower Supervisor» Christian Woborsky im Dialogforum vertreten. Dieser vertrat die Austro Control vor dem Bundesverwaltungsgericht. Er deklarierte diese Doppelfunktion aber nicht. Das tat auch nicht Wolfgang Hesina. Hesina ist Geschäftsführer des Dialogforums und wird dafür vom Flughafen bezahlt. Vor dem Bundesverwaltungsgericht hatte er am letzten Verhandlungstag einen plötzliche Auftritt, um im Auftrag der Anrainergemeinden die Vorzüge des Dialogforums zu preisen. Gute Ergebnisse seien nicht über Umweltverträglichkeitsverfahren zu erreichen, sondern nur über Dialog. Es fragt sich nur, wessen Ergebnisse.

Eine Beteiligte am Mediationsverfahren für die dritte Piste, die nicht namentlich genannt werden möchte, sagte mir im Laufe meiner Recherchen, dass von Waffengleichheit von Anfang an keine Rede sein könne. Ehrenamtliche Vertreter_innen der Bürger_inneninitiativen seien einem Block bezahlter Vertreter_innen aus Politik und Flughafen gegenübergesessen. Diese mangelnde Waffengleichheit machte sich auch im Prozess bemerkbar: Der Flughafen präsentierte Gutachten, die den Ausbaugegner_innen nicht übermittelt wurden. Sie konnten also nur schwer adäquat Stellung nehmen. Eine Diskussion über die gesundheitlichen Auswirkungen von Fluglärm wurde vom Richterpräsidium erst um einen Tag verschoben und dann überhaupt nicht gestattet. Es folgte der auch in den Medien berichtete Befangenheitsantrag. 2025 will der Flughafen bauen. Eine breite gesellschaftliche Diskussion über das Thema ist dringend nötig.

Weiterführende Literatur: Thomas Wagner, Die Mitmachfalle: Bürgerbeteiligung als Herrschaftsinstrument, Köln: PapyRossa, 2014