Würde und Wellblechtun & lassen

Otjivero, Namibia: Erstes Grundeinkommen weltweit

Für den herkömmlichen Journalismus sind Informationen aus Afrika nur dann interessant, wenn sie Katastrophen, Kriege und Machtmissbrauch betreffen. Eine Inflation von Bildern weißer Retter, umringt von schwarzen Geretteten, komplettiert das Afrika-Image, das die Medien erzeugen. Dass die BewohnerInnen von Otjivero, Namibia, seit Jänner 2008 ein Grundeinkommen in der Höhe von monatlich umgerechnet 8 Euro ausbezahlt bekommen, langweilt den Mainstream-Sensationsjournalismus. Von ihm wird man kaum erfahren, wie vielversprechend die ersten Erfahrungen sind. Rev. Dr. Claudia Haarmann, Koordinatorin der dahinter stehenden Basic Income Grant Coalition und Mitarbeiterin des Desk for Social Development der Evangelischen Lutherischen Kirche, sprach in Windhoek mit dem Augustin. Ihr zahlt an 1200 BewohnerInnen einer typischen ländlichen Siedlung zwei Jahre lang monatlich 100 Namibische Dollar. Euer Ziel ist es, der Regierung mit dem Pilotprojekt zu zeigen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen Sinn macht. Wie schaut das konkret aus?

Das System funktioniert so, dass jeder zwischen 0 und 59 das Geld bekommt. Ab 60 gibt es eine staatliche universale Rente. Kinder unter 21 kriegen das Geld über einen Primary Care Giver. Das ist meistens die Mutter. Die Auszahlung erfolgt einmal im Monat.

Ihr, die Basic Income Grant Coalition, seid ein Zusammenschluss vieler wichtiger Gewerkschaften, Kirchen und NGOs …



Es stimmt, es sind alle wichtigen Dachverbände dabei. Es ist die größte zivilgesellschaftliche Koalition gegen Armut seit den Apartheidszeiten.



Was sind eure ersten Erfahrungen?



Es ist sehr viel passiert. Die Erwartungen wurden total überschritten. Das meiste Geld wird für die Grundversorgung ausgegeben. Hunger und Unterernährung sind ein Riesenproblem. Die Krankenschwester der Klinik hat gesagt, dass sie vorher regelmäßig, zwei-, dreimal pro Monat Kinder ins nächste Krankenhaus bringen musste, einfach wegen Unterernährung, und seit Januar gibt es das nicht mehr. Sie hat keinen einzigen Fall von Unterernährung mehr gehabt, der so schlimm war, dass das Kind ins Hospital aufgenommen werden musste. Die Durchfallerkrankungen sind deutlich zurückgegangen. Ein wichtiger Teil der Koalition sind die Aidsorganisationen. Voriges Jahr waren es drei Leute, die die Medikamente gekriegt haben, jetzt sind es 36. Und das zeigt, dass der Bedarf da war und die Leute es sich einfach nicht leisten konnten. Damit die Medikamente wirken, braucht man auch ausreichend zu essen.

Die Schule hat gesagt, dass doppelt so viele Eltern bezahlt hätten. Sie haben jetzt zum ersten Mal genug Geld, um Papier und Toner für die Kopiermaschine zu kaufen. Man muss hier einen relativ niedrigen Betrag für die Schule bezahlen. Das zeigt, wie wichtig es den Leuten ist, dafür das Geld auszugeben. Man sieht auch, dass die Leute ökonomisch aktiv werden. Es haben sich zwei neue Geschäfte gebildet, die Grundnahrungsmittel verkaufen. Oder Leute backen Brötchen und verkaufen diese. Auch ein Haarsaloon hat aufgemacht. Das Monopol des bisherigen Geschäftsbesitzers wurde aufgebrochen, was für die Preise nur gut war.

Das Wichtigste für mich ist, dass den Leuten die Würde zurückgegeben wurde, dass sie das Gefühl haben, nicht mehr nur Bettler zu sein. Das merkt man, wenn jemand zu einem kommt und sagt Ich hab mir eine neue Hose gekauft. Ich kann jetzt wieder unter Menschen gehen. Also, dass die Leute das Gefühl haben, dass sie sich nicht verstecken müssen, weil sie nichts wert sind und weil jeder denkt, , dass, wenn sie zum Nachbarn gehen, nur kommen, um Essen zu erbetteln. Leute, die in absoluter Armut leben, sind von anderen Menschen abhängig, von der Gemeinschaft, von der Regierung. Aber wenn man eine gewisse Einkommenssicherheit hat, dann hört diese Abhängigkeit auf und sie fühlen sich befreit.

Die Schwesternzeitung des Augustin in Namibia The Big Issue berichtet auch, dass die meisten Hüttendächer aus Plastik durch solche aus Wellblech ersetzt wurden.

Ihr fordert also ein bedingungsloses Grundeinkommen. Kannst du uns erzählen, wie es dazu kam?

Die Idee ist in Südafrika intensiv untersucht worden und kommt von den Gewerkschaften. Nach der Apartheid haben diese bei den Verhandlungen für die Verfassung 1993/1994 gesagt, es müsse so etwas wie ein Social Security System geben. Das vorherige sehr ungleiche System müsse ausgedehnt werden. Es gab insbesondere eine sehr lange Diskussion über die Kinderunterstützung, die hauptsächlich auf Weiße und Coloureds ausgelegt und so hoch war, dass man sie nicht hätte ausweiten können. Daraus ist der Child Support Grant entstanden. Im Prinzip hat diese Diskussion in Südafrika gezeigt, wie wichtig die sozialen Unterstützungen sind. Die Pensionen, der Child Support Grant und auch die Behindertenrente. Wir [mein Mann Dirk und ich] haben dann verschiedene soziale Unterstützungssysteme getestet ein Haushaltseinkommen, eine Arbeitslosenunterstützung, eine Ausweitung der Kinderunterstützung und den Basic Income Grant. Und da hat sich gezeigt, wenn man das modelliert, dass der Basic Income Grant zum einen die billigste Lösung und zum anderen die meisten Leute abdeckt und dadurch die Armut am besten angreift. Also das war die Diskussion in Südafrika.

Und in Namibia?

In Namibia ist es so gelaufen, dass es 2002 eine Steuerkommission gab, die von der Regierung eingerichtet worden ist. Sie sollte prüfen, wie man das Steuersystem verändern kann, damit es wirtschaftliches Wachstum gibt. Die Kommission war der Meinung, dass Armut und Ungleichheit so groß sind, dass sie wirtschaftlich keinen Sinn machen. Die beste Methode sie anzugreifen wäre ein universales Einkommen. Sie haben auch ausgerechnet, dass Namibia sich ein solches leisten könnte. Die Regierung hat darauf aber nicht reagiert. Unsere Kirche hat das dann aufgenommen. Wir haben Umfragen gemacht, was die Bevölkerung denkt. Dabei ist herausgekommen, dass Einkommenssicherheit ein sehr wichtiger Faktor ist. Die Kirche hat dann die anderen Organisationen angesprochen.

Auf welche Widerstände seid ihr gestoßen?



Die Regierung ist sehr zögerlich. Die Hauptargumente sind, dass es zu teuer sei und dass es Abhängigkeiten schaffen würde. Der IMF (Internationale Währungsfonds) hatte die Regierung dabei beraten. Sie mussten allerdings in der Folge zugeben, dass sie falsch gerechnet haben.

Braucht Ihr Unterstützung?



Ja, wir brauchen noch Geld. Wobei das Fundraising eigentlich recht positiv angelaufen ist. Also das muss man jetzt schon sagen, dass aus sehr unterschiedlichen Stellen große Unterstützung kommt. Wir sammeln allerdings nur für die Ausbezahlung und die damit verbundenen Kosten. Das ist alles, es geht um nichts anderes.

Mehr zum Pilotprojekt:

Die offizielle Site der BIG Coalition mit Hintergrundmaterial.

http://www.bignam.org



Die Straßenzeitung The Big Issue berichtet regelmäßig vom Fortgang des Projektes.

http://www.bigissuenamibia.org.na

Das weltweite und das österreichische Netzwerk für ein Grundeinkommen ebenso.

http://www.basicincome.org/bien/news.html

http://www.grundeinkommen.at/



Auch die meisten namibischen Zeitungen berichten und können online gelesen werden. Allgemeine Zeitung, The Namibian, New Era u. a.

Die Seite von Rev. Dr. Claudia und Rev. Dr. Dirk Haarmann

vom Desk for Social Development der ELCRN:

http://www.cdhaarmann.com/



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