Zur Erfindung des „Asylbetrugs“tun & lassen

Augustin-Gespräch mit Abschiebungs-Kritiker Klaus Ottomeyer

Ottomeyer.jpgGroße Plakate mit der Warnung vor Asylbetrug überall. Doch welche Mechanismen stecken hinter der menschlichen Taktik, Probleme auf eine andere Ebene zu verschieben? Der Psychotherapeut Klaus Ottomeyer spricht über die Verschleppungen und Menschenrechtsverletzungen gegen tschetschenische Flüchtlinge in Kärnten. Und auch über BZÖ und ÖVP.

Sie schrieben, u. a. in dem Buch Die Haider Show, immer wieder darüber, wie Asylwerber und Flüchtlinge politisch verwendet werden. Warum spielt diese Karte so gut? Warum ist diese Taktik so erfolgreich, dass jetzt die ÖVP auf diesen Zug aufspringt?

Der allgemeine Hintergrund ist, glaube ich, der, dass sich viele Menschen in unserer Gesellschaft nicht gut beheimatet und nicht abgesichert fühlen manchmal sogar so, als hätten sie nicht wirklich Asyl in dieser Welt. Sehr verführerisch ist dann die Vorstellung, zu jenen zu gehören, die einen Anspruch auf Heimat haben, im Gegensatz zu jenen, die nicht wirklich hierher gehören, die hinaus sollen. Wenn man Angst und keine wirkliche Sicherheit hat, kann es sehr beruhigend sein, andere Menschen in die Unsicherheit zu schicken. Vor allem Menschen, die mir etwas wegnehmen könnten, z. B. von der Versorgung, die mir Staat und Gesellschaft geben. Das Phänomen ist vielleicht mit dem Geschwisterneid vergleichbar, bei dem die älteren auf die kleinen, schwachen, hilfsbedürftigen Geschwister neidisch sein können, weil die von den Erwachsenen mehr bekommen als sie selbst.

Die ÖVP achtete im Zusammenhang mit der Osterweiterung immer auf wirtschaftliche Aspekte in der Ausländerfrage. Dass die ÖVP jetzt wirklich glaubt, dass viele Menschen ÖVP wählen würden, weil sie ebenfalls die Fremden als Feind nehmen, ist doch erstaunlich.

Die ÖVP spielt auf zwei Klavieren. Auf der einen Seite ist sie für die kapitalistische Öffnung der Märkte, damit unsere Unternehmen in Osteuropa investieren können; sie ist auch dafür, dass z. B. für die Pflegetätigkeit günstige Arbeitskräfte aus dem Osten zur Verfügung stehen. Da sind unternehmerisch günstige Lösungen sehr wichtig. Auf der anderen Seite haben natürlich gerade unterprivilegierte Gruppen Angst vor der Konkurrenz durch Ausländer und auf diese Angst muss man Rücksicht nehmen. Es ist populistisch, einerseits auf die Durchmischung mit der ausländischen Wirtschaft zu setzen und damit auch Geld zu verdienen, und andererseits die Durchmischungs-Ängste der Menschen für die eigene Wahlbilanz zu nutzen. Aber man muss über die ÖVP auch etwas Positives sagen, denn Innenministerin Fekter hat den ganz groben Rechtsverletzungen in Bezug auf die innerösterreichischen Abschiebungen von Flüchtlingen aus Kärnten einen Riegel vorgeschoben. Sie verteidigt an bestimmten Stellen die Einhaltung von rechtsstaatlichen Verfahren, was das BZÖ längst für unwichtig erklärt hat. Die ÖVP ist für strengere und zum Teil auch unmenschlichere Asylgesetze, aber es sieht so aus, als ob sie sich zumindest an die Gesetze hält.

Jörg Haider hat schon eine Tradition, gegen Slowenen oder Afrikaner zu sein, aber warum ist er jetzt so stark gegen dieses kleine, kämpferische Völkchen der Tschetschenen?

Dass hat sicher damit zu tun, dass die Tschetschenen die größte Asylwerbergruppe sind, die noch hereingelassen wird. Bis vor kurzem erhielten die meisten noch Asyl oder zumindest humanitären Aufenthalt, der sie vor Rückschiebung schützte. Die Tschetschenen haben den Ruf eines unbotmäßigen Volkes, das den Obrigkeiten, den staatlichen Autoritäten schon im Zarenreich, unter Stalin und auch später Schwierigkeiten gemacht hat. Jemand, der sich der Obrigkeit nicht beugt, ist natürlich ein Verdächtiger. Die Tschetschenen sind eine Bevölkerungsgruppe, die unter Druck steht und sehr traumatisiert ist. Es sieht so aus, dass zumindest die tschetschenischen Männer, ich glaube aber ebenfalls die Frauen, die Traumatisierung nicht rein depressiv verarbeiten, also nach innen gewendet und demütig. Sie können sich auch wehren. Teilweise sogar untereinander. Bei Konflikten aggressiv werden können, sich nicht unterkriegen lassen, was manchmal für uns ein bisschen bedrohlich aussieht das gehört sozusagen zum Überlebens-Know-how, das man sich anlernt. Aber es gibt auch viel Gemeinschaftssinn, Verbundenheit, Solidarität der Gruppen untereinander und in den Familien. Solche unbotmäßige Menschen bieten sich als Projektionsfläche für unsere eigene Tendenz an, manchmal aggressiv oder gewalttätig zu werden. Was da in Kärnten in Bezug auf die abgeschobenen Flüchtlinge passiert ist, kann man ja wirklich als eine reine Projektion bezeichnen. Als eine symbolische und handgreifliche Entsorgung der eigenen Aggressivität und Gewalttätigkeit, die in den eigenen Reihen des BZÖ aktenkundig ist, durch Gerichtsurteile bestätigt. Es ist ja grotesk, dass der Bundesgeschäftsführer wegen falscher Zeugenaussage in Zusammenhang mit einer Gewalttat, zu der er wohl auch aufgefordert hat, verurteilt ist und dass man gleichzeitig Menschen völlig zu Unrecht als Gewalttäter bezeichnet, deportieren lässt und dafür sorgt, dass sie deportiert bleiben. Das ist eigentlich unglaublich.



Wie haben Sie als Psychotherapeut der Flüchtlingsorganisation Aspis konkret die Rückschiebungen erlebt?



Zu den Rückschiebungen im Januar gab es jetzt letzte Woche ein Urteil des Unabhängigen Verwaltungssenates Klagenfurt. Danach waren die Verschleppungen von Familien nach Traiskirchen auf Geheiß von Haider eine unrechtmäßige Ausübung von Zwangsgewalt. Diese positive Wendung ist dem Engagement von SOS Mitmensch und der Anwältin Nadja Lorenz zu verdanken. Im Hintergrund gibt es auch eine strafrechtliche Anzeige gegen Haider und den Flüchtlingsreferenten. Interessanterweise hat die Staatsanwaltschaft das aufgenommen und mit der Anzeige wegen Amtsmissbrauch zusammengeführt, die Frau Fekter im Zusammenhang mit der zweiten Verschleppungswelle vor einem Monat gemacht hat. Die Abschiebaktion im Januar hatte viel mit der Wahl in Graz zu tun, bei der die Säuberung von Graz von Kinderschändern, Asylwerbern und Drogenhändlern versprochen wurde eine Art Säuberungsaktion gegen Unschuldige. Herr Koch versuchte zeitgleich in Hessen mit einer pauschalierenden Verurteilung ausländischer Jugendlicher Stimmen zu gewinnen. Für Kochs CDU ging die Rechnung nicht auf, die hat ja verloren. Ob sie jetzt bei den kommenden österreichischen Wahlen aufgeht, ist die Frage. Für uns als TherapeutInnen war es ganz schlimm, von einem Tag auf den anderen Therapien abbrechen zu müssen und eine erneute Verletzung und Vertreibung unserer traumatisierten PatientInnen samt ihrer Kinder erleben zu müssen.

Sie sprechen in dem Haider-Buch über seine Art der Feindbildverdichtung: Alle Abscheulichkeiten einer Gesellschaft scheinen sich in einer kleinen Gruppe zu versammeln … Was ist dieses Typische, das die Tschetschenen als Feindbild quasi auszeichnen soll, was symbolisieren die? Es wird gerade viel über die wirtschaftliche Situation in Kärnten oder auch in Österreich diskutiert. Finanzminister Molterer sprach von einem Schuldenrucksack, den jeder Steuerzahl tragen würde.

Ich denke, dass viele Menschen das vage Gefühl haben, dass sie von mächtigen Betrügern abhängig sind. Z. B. steht nun auch der mächtige Herr Kulterer von der Hypo Alpe Adria Bank vor Gericht. Die Leute wissen nicht, wie groß die Schulden sind, die in Kärnten auf jedem Bürger lasten … Ich denke, es gibt ein großes Misstrauen gegenüber denen, die für das öffentliche Geld verantwortlich sind, und eine Skepsis, ob sich nicht Betrüger unter die Verantwortlichen gemischt haben. Man erinnere sich an den BAWAG-Skandal. In dieser Situation ist es nahe liegend, Betrüger auch auf einer anderen Bühne zu verfolgen Menschen, die uns durch betrügerische Asylanträge, durch so genannten Asyl-Betrug, unseren Wohlstand wegnehmen könnten. Das Gefühl, dass wir von Betrügern belagert werden, kann man schon bei den Asylwerbern entsorgen. Genauso, wie man die eigene Gewaltbereitschaft dort entsorgen kann. Die Annahme einer kriminellen und gewalttätigen Gruppe am Rand der Gesellschaft entlastet uns von dem Gefühl, dass die Betrüger, die Kriminellen, die Gewalttätigen mitten unter uns oder über uns sind. Dann sind wir alle Teil einer zuverlässigen Gemeinschaft, in der man sich auch auf die Politiker verlassen kann.



Was befürchten Sie für die Wahl und für die Zeit danach?



Bei der Staatsanwaltschaft liegen zwei Anzeigen gegen Haider wegen Amtsmissbrauch. Eine zur Ortstafelfrage, die andere zur Frage der gewalttätigen Abschiebung der Flüchtlinge. Und ich fürchte, dass die beiden anderen größeren Parteien nicht am Ball bleiben werden und dass diese Haiderschen Gesetzesverletzungen wieder einmal nicht geahndet werden. ÖVP und SPÖ fürchten, dass sich im Falle einer Gerichtsverurteilung große Teile der Kärntner Bevölkerung hinter Haider stellen. Er droht mit einem zweiten Ortstafelsturm oder dem Aufmarsch der Bevölkerung. Und ich fürchte, dass wegen dieser Angst, die in der ÖVP und in der SPÖ vorhanden ist, wieder einmal darauf verzichtet wird, den Rechtsstaat zu verteidigen. Ich glaube aber, dass eine gerichtliche Verurteilung doch einen Lernprozess bei den meisten Menschen auslöst. Dass kann man z. B. daran sehen, dass niemand mehr den Herrn Westenthaler bei der Verurteilung in erster Instanz wegen falscher Zeugenaussage verteidigt hat. Ein Verfahren könnte Dinge klar stellen, aber ich glaube, dass man sich das nicht traut. Letzten Endes liegt es bei der Justizministerin, ob sie die Amtsmissbrauchs-Anzeigen gegen Haider aufgreift. Die Staatsanwaltschaft hat alles vorbereitet. Wenn Maria Berger nach der Wahl noch Justizministerin ist

Aber sie könnte auch jetzt schon etwas tun; die Anzeige wegen Amtsmissbrauch in der Ortstafelfrage liegt ja schon lange bei ihr. Haider und Dörfler sollen mit der bekannten Demontage und Verrückung der Ortstafeln Amtsmissbrauch begangen haben was sie als Amtspersonen natürlich nicht dürfen. Zur zweiten Anzeige bezüglich der Abschiebung der Flüchtlinge: Für sie muss die erwähnte Klarstellung des Unabhängigen Verwaltungssenats, dass die Kärntner Abschiebungspraxis Unrecht war, eine große Genugtuung sein. Die Flüchtlinge sagten aus und es hat ihnen sehr wohl getan, dass sie gehört wurden. Da hatten sie eine Zeitlang das Gefühl, dass es Gerechtigkeit gibt. Im Endeffekt hat das Urteil jedoch kaum Folgen. Die Fahrtkosten zu den Gerichtsverfahren, die Gerechtigkeit herstellen sollten, oder die Einsprüche in den Asylverfahren bezahlte übrigens niemand. Wiedergutmachung scheint für die verantwortlichen Politiker und Beamten ein Fremdwort zu sein.