Zurück ins Lebentun & lassen

Meine Töchter sind süchtig (5)

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Die Kinder vom Karlsplatz, die bei den Streetworkern um Spritzen und Drogenersatz anstehen, haben mein tiefstes Mitgefühl. Wenn ich dort auf dem Weg zum Naschmarkt vorbeikomme, fallen mir vergangene Bilder ein. Meine beiden Mädchen waren einmal drogenabhängig und schafften den Ausstieg. Der letzte Teil eines Berichts von Karin Mandel.

Meine jüngere Tochter hatte sich in der Zwischenzeit also verliebt. Es war die große Liebe, die bis heute, ein viertel Jahrhundert später, andauert. Es gelang der Kleinen im Laufe der Zeit schließlich, sich selbst am Haarschopf aus dem Drogensumpf zu ziehen, wobei ihr Freund sie sehr unterstützte. Dieses gegenseitige Vertrauen und Wissen schweißt ihre Beziehung über all die Jahre zusammen.

Dazwischen aber gab es viele Tiefs. Als sie sich freiwillig für einen Entzug am Steinhof entschloss mir sagte sie nichts davon , machte mir die Ärztin am Telefon Vorwürfe, dass ich mich zu wenig um mein Kind kümmern würde. Das ist der bekannte Kreislauf: Bei Schwierigkeiten wird den Müttern die Schuld aufgeladen. Die Folge sind lebenslange Selbstvorwürfe und Selbstzweifel. Meine Tochter lag also auf dem Pavillon V., zusammen mit verwirrten, dementen, alkoholkranken und drogensüchtigen Patientinnen. Für sie muss das ein Geisterschloss gewesen sein. In der Nacht, erzählte sie uns beim Besuch, käme immer eine weißhaarige Frau an ihr Bett und würde behaupten, sie sei ihre Tochter.

Ich fand ihre freiwillige und einsame Entscheidung, nach Steinhof zum Entzug zu gehen, sehr mutig. Ob ihr das etwas geholfen hat, kann ich nachträglich nicht sagen, aber es war ein Schritt, sich selbst Hilfe zu holen. So wie ich zu meinen Drogeneltern ins Jugendzentrum ging, einer Gruppe Angehöriger von Drogenabhängigen, die zusammen mit einem Therapeuten versuchten, mit dieser Situation klar zu kommen, ging sie auf die Psychiatrie am Steinhof, um Hilfe zu bekommen.

Es war sicher ein Bündel an Eindrücken und Erlebnissen, das entscheidend für den Ausstieg war. Zum einen erlebten die Mädchen, dass immer öfter jemand aus ihrem bekannten Drogenmilieu starb oder im Gefängnis landete oder krank wurde oder einfach nur lallend und desorientiert in irgendeinem schmierigen Unterschlupf anzutreffen war; zum anderen grauste ihnen allmählich selbst vor diesem Milieu, das sich gegenseitig beklaute und verriet und auf welches kein Verlass war. Nicht zuletzt war es auch unser verlässliches Dasein für sie, ohne ihnen die Eigenverantwortung für ihr Leben abzunehmen, das ihnen auf die Sprünge half. Wir luden z. B. regelmäßig zu gemeinsamen Essen und Feiern ein, eine Angewohnheit, die sich bis heute gehalten hat.

Ganz sicher aber war es die Liebe, die beiden half, wegzukommen.

Geschäftemachen legal oder illegal


Meine ältere Tochter machte eine Ausbildung, verliebte sich und wurde schwanger. Das war der Wendepunkt in ihrem Leben. Sie wurde eine hervorragende Mutter, eine bessere als ich es jemals war. Und mein Mann und ich wurden begeisterte Großeltern. Allerdings hatte auch sie zwischendurch noch heftige Abstürze. Am schlimmsten war es, als sie einen Freund kennen lernte, einen Beamten im öffentlichen Dienst, der selbst auf Drogen war und mit dem sie Kokain konsumierte. Da glaubte ich, dass alles Bangen, Reden, Helfen und Sorgen umsonst war. Doch auch das ist nun schon lange her.

Meine jüngere Tochter wurde nach ihrem Steinhof-Aufenthalt krank und verbrachte eine schlimme Zeit im Spital. Doch langsam erholte sie sich, ihr Freund half ihr in dieser Zeit sehr. Als sie wieder einigermaßen auf den Beinen stand, begann sie wieder zu arbeiten und verdiente sich ihren Lebensunterhalt selbst. Und sie entdeckte ihre große Liebe zur Musik.

Heute haben wir regelmäßigen Kontakt miteinander, und beide Mädchen sagen mir oft, wenn meine Schuldgefühle mich wieder einmal lähmen, sie würden sich keine andere Mutter wünschen. Alles hätte ich richtig gemacht und sie hätten von meinem verrückten und unsteten Leben, wenn auch mit vielen Umwegen, profitiert. Nichts wollten sie missen. Vielleicht sagen sie das ja nur zu meiner Beruhigung aber es wirkt.

Ich selbst bin mir klar darüber, dass vieles an den Drogenproblemen meiner Töchter in meine eigene Verantwortung fällt. Doch genau so vieles ist Zufall und bei weitem nicht auf eine einzige Ursache wie etwa Berufstätigkeit der Mutter oder Scheidung der Eltern zurückzuführen. Und schon gar nicht auf ein asoziales Milieu, wie manchmal herablassend behauptet wird. Zum Beispiel waren es die Jugendlichen aus betuchten Elternhäusern, die vor der Schule in einem Wiener Nobelbezirk, in welche eine meiner Töchter ging, die jungen Mädchen in ihren Bann zogen mit Drogen. Der Reiz lag wohl auch im Verbot und in einer Szene, die sich verwegen über Autoritäten hinwegsetzte und dadurch Mut vortäuschte. Die Legalize-Bewegung hat schließlich auch ein politisches Anliegen: Jugendliche, die Hasch rauchen, nicht zu kriminalisieren, während andere, legale Drogen, die mindestens genau so gefährlich sind, für Jugendliche problemlos zu erhalten sind.

Das Hauptproblem besteht wahrscheinlich darin, den bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Drogen in einer Gesellschaft zu lernen, die den Drogenkick in schon fast jedem Werbespot vorführt vom Kaffee, über Medikamente, Konsumgüter, Gewinnspiele, Alkohol oder Sexspiele die Sucht machenden Dinge verfolgen uns auf Schritt und Tritt. Die Sucht ist eine Triebfeder in einer überdimensionierten Warenwelt, die Profite zu sichern. Das wissen auch die Dealer und alle, die mit Suchtabhängigen ihre Geschäfte machen die einen legal, die anderen illegal.

Derzeit starten Fachstellen der Länder das größte Drogen-Präventionsprojekt: Speziell geschulte Lehrer sollen Fertigkeiten der SchülerInnen stärken, die später den Ausbruch einer Suchterkrankung verhindern können. Sucht ist eine Erkrankung und keine Laune sozial desinteressierter Menschen, heißt es da. Die Therapie von Drogen-, Fett- und Spielsucht kostet die SteuerzahlerInnen jährlich Millionen an Euro. Um es erst gar nicht zum Ausbruch kommen zu lassen, startet nun an Österreichs Volksschulen ein Sucht-Präventionsprogramm mit dem Namen Eigenständig werden. Das heißt: Der Lehrer thematisiert im Klassenzimmer nicht illegale Drogen, Alkohol oder Nikotin, sondern die Schüler selbst. Sie erhalten im Rahmen des Unterrichts Unterstützung bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Durch die Förderung von Selbstwahrnehmung, Umgang mit Stress und negativen Emotionen, Selbstbehauptung und Problemlösungsfähigkeit soll das Programm jene sozialen Fähigkeiten stärken, die später den Ausbruch einer Suchterkrankung verhindern helfen lassen. (Die Presse, 5. 1. 07)

Na ja, warten wir es ab. Mir riecht das nach Hilflosigkeit in einer Gesellschaft, deren Funktionieren auf immer neu geweckten Bedürfnissen und Anhängigkeiten aufbaut.

Ich selbst habe damals, ich war starke Raucherin, zu mir gesagt: Möchte wissen, ob es wirklich so schwer ist, von dieser Sucht zu lassen. Wenn es mir nicht gelingt, kann ich auch meinen Kindern keinen Vorwurf machen. Ich habe es schließlich ohne besondere Hilfsmittel geschafft, nicht mehr zu rauchen, die angefangenen Packerl liegen nach Jahrzehnten noch in irgendeiner Schublade herum. Eines aber wurde mir klar: Es geht nur vom Verstand her, aufzuhören. So als ob man im Oberstübchen einen Hebel umstellt, der es rot NEIN blinken lässt, wenn man zum Zigarettenpackerl greifen möchte

Meine Töchter haben es geschafft. Ich bin stolz auf sie und habe Hochachtung vor allen, die sich durch den Ausstieg für ihr Leben entscheiden.

Ende der Serie