Dolce Vita auf Wienerischvorstadt

Journalist_innen machen sich Gedanken über ihr Wien (Teil 8)

Michael Hufnagl über eine Insel, die auch für ihn ein Paradies ist.

Treffpunkt auf der Wiese beim Ruckenbauer. Eh schon wissen. Wie immer. Wir alle. Ein kleines Stück Donauinsel war unser Stützpunkt. Als wir sogenannte Oberstufler waren, und an den sommerlichen Nachmittagen für das Freizeit-Leben lernten. Gut, zugegeben, es waren auch einige Vormittage dabei. Aber natürlich nur, um dort in Ruhe Mathematik, Darstellende Geometrie oder Französisch zu büffeln. In so einen Kopf geht viel mehr hinein, wenn man zwischenzeitlich ins Wasser springt – oder sich mit Ruckenbauer-Eis stärkt.

 

Einige Jahre lang hätte ich für diese wenigen Quadratmeter Gras einen Meldezettel ausfüllen können. Und damit war ich nicht allein. Es gab Tage, da tummelten sich 15 bis 20 Schülerinnen und Schüler am immer gleichen Ort. Allzeit bereit, zwischen Scharfsinn und Schwachsinn zu pendeln. Bereit, zu baden und zu philosophieren, zu spielen und zu streiten, zu knutschen und zu schweigen. Bereit, zu leben und zu lieben.

Die Donauinsel war für uns ein Stück Zuhause. Geborgenheit. Dort gab es immer eine Schulter zum Anlehnen, eine zum Ausweinen oder eine zum Eincremen. Dort gab es immer einen Fußball, einen Kassettenrekorder (ja, so hieß das damals) und Musik von Georg Danzer und Peter Cornelius – reif für die Insel. Und: Segel im Wind. Unsere Freiheit. Die Donauinsel war ein Lebensgefühl, eine Kommunikationsplattform. Auf heute umgelegt: Die Donauinsel war unser Facebook. Beziehungsstatus: glücklich liiert. Und wir sind von der Reichsbrücke ins Wasser gesprungen. Denn Idiotie hieß damals noch Mut.

 

Den Ruckenbauer gibt’s an diesem Ort nicht mehr. Aber das Drumherum, das Wasser, die Wiesen, die scheinbar unendliche Weite, das ist als Paradies erhalten. Das haben sie 1972 zu bauen begonnen. Gegen allerlei Widerstände. So richtig vorstellen haben sich das wohl die wenigsten können, was da einmal entstehen sollte. 16 Jahre Bauzeit bis zur endgültigen Fertigstellung hat das Ding in Anspruch genommen. Aber es hat sich ausgezahlt. Jetzt ist das Erholungsreich dank der MA 45 (Wasserbau) 21,1 Kilometer lang, und unser Fleckerl beim Ruckenbauer ist ein winziger Teil von 3,9 Quadratkilometern Unbeschwertheit.

 

Auf der Donauinsel haben wir Wettfahrten auf Rollerblades unternommen, als die noch ein sportliches Spektakel waren.

«Wir haben immer neidisch zu den türkischen Nachbarn geschielt»


Auf der Donauinsel haben wir in den Lokalen der Copa Cagrana Tonnen von Spareribs verdrückt (und das eine oder andere Bier war im Fluss des Lebens auch dabei).

Auf der Donauinsel haben wir unseren Kindern das Radfahren beigebracht, weil man im ebenen Gelände die vielen Wege ideal nutzen kann, um mit der Hand am Fahrrad bis zur Erschöpfung mitzulaufen.

 

Auf der Donauinsel haben wir die Grillplätze (insgesamt 15) bevölkert und dabei immer neidisch zu den türkischen Nachbarn geschielt, weil die so ein Gelage viel weltmeisterlicher zelebrieren.

 

Und, eh klar: Auf der Donauinsel haben wir einander getroffen, um das Fest der Feste zu feiern. Die dreitägige Musikparty war ein Heiligtum. Ich war 15 Jahre alt, als Iron Maiden hier gastierten. Die gnadenlos beste Metal-Band, die es je gab, und die meinem Teenager-Geist die notwendige Dosis Revolution verabreichte. Und so hämmerten jene Songs durch die Wiener Nacht, deren Titel unser Programm, unsere Hymnen waren: «2 Minutes to Midnight», «Stranger in a Strange Land», «Heaven Can Wait», «The Number of the Beast». Und natürlich: «Running Free». Auf der Donauinsel der Seligen.

 

Von dieser Philosophie profitiert meine Hündin heute noch. Wuzeln, wetzen, winseln, wedeln – running free. Und wo gibt es das schon? Einen Hundebadebereich. An zwei Stellen, die nennen sich Hundestrand Nord und Hundestrand Süd. Auf insgesamt 1,3 Kilometer Länge dürfen die Tiere schwimmen und plantschen, bei Bedarf auch anbandeln oder sonstwie die Hundeseele baumeln lassen.

 

Und könnte meine Hündin statt immer nur zu bellen auch lachen, fände sie garantiert – wie das Herrchen – schon den Ausgangspunkt der Donauinsel höchst unterhaltsam. Die Insel beginnt nämlich beim … Einlaufbauwerk Langenzersdorf. Danach führt sie durch die Bezirke Floridsdorf und Donaustadt und endet in der Lobau mit der Einmündung der Neuen Donau in den Hauptstrom.

 

Drei U-Bahnen (U1, U2, U6) führen zum Paradies. 15 Zugänge gibt es. Und die klingen so wunderbar wienerisch. Die Jedleseer Brücke etwa. Oder die Floridsdorfer Brücke, in Wien Fluridsdorf gesprochen. Der Danzer-Steg. Oder die Kaisermühlen-Brücke, in Wien Kaisermüh’n gesprochen.

 

1,8 Millionen Bäume und Sträucher wurden einst gepflanzt. 170 Hektar Wald sind entstanden. Die MA 49 (Forstamt und Landwirtschaftsbetrieb) hat sich hier verwirklichen dürfen. Besonders schön ist im Übrigen der Kirschenhain rund eineinhalb Kilometer nördlich der Nordbrücke. Sich dort zur rechten Frühlingszeit herumzutreiben, ist ein Fest für die Augen. Denn anlässlich des Ostarrichi-Jubiläums im Jahr 1996 wurden dort einige hundert Kirschbäume gepflanzt. Die Kirschblüte steht in der japanischen Kultur für Schönheit und Aufbruch. Na also. So ein echter Wiener ist eben auch ein bisserl ein Japaner.

 

Ich mag die Natur. Also mag ich diese Insel. Die wurde im Laufe von Jahrzehnten nämlich zu einem Reservat für seltene Vogel-, Amphibien- und Fischarten. Ein Lebensraum für Hirsche und Rehe, Hasen und Biber. Ein wunderbares Beispiel: Der vom Aussterben bedrohte Donaukamm-Molch hat hier seine Heimat gefunden. Das ist, wie wir Faunatiker natürlich alle wissen, ein etwa handgroßer Schwanzlurch aus der Familie der echten Salamander. Der Zoologe Heimo Schedl bezeichnete ihn als «kleinen Wasserdrachen». Aber nicht deshalb, weil das Weibchen größer als das Männchen ist … genug jetzt.

 

Wenn wir von Reservaten sprechen, dürfen die Menschen nicht fehlen. Und die Donausinsel ist immerhin eine der größten Sammelstellen für die Nackerten der Großstadt. Natur pur, FKK für Inselmann und Inselfrau. Auf insgesamt acht Kilometern Länge ist es an mehreren Stellen möglich, sich aus dem Korsett des Alltags zu schälen. Auch ein Akt der Befreiung. Und auch ein Teil eines prachtvollen Geschenks an eine prachtvolle Stadt.

 

Unverzichtbar, so oder so. Die Donauinsel liegt Wien einem Herzen gleich inmitten. Ein Herz, das – mit Sauerstoff bestens versorgt – seit Jahrzehnten aktiv ist. Ein Herz, für das mein Herz schlägt.

Michael Hufnagl, 1970 in Wien geboren, ist Autor der Wiener Tageszeitung «Kurier». Er verehrt die Donauinsel – einen Platz voller Möglichkeiten.