Man kann auch ausbrechenvorstadt

Der Bezirk Josefstadt ist nicht überall grau

Das Projekt «Stadtflanerien» das Aktionsradius Wien klopft jeden Wiener Bezirk in Schrift, Bild und Ton ab. Die nächste Etappe erfolgt Ende Februar mit der Präsentation des Hörbuchs zur Josefstadt (Näheres siehe Kasten). Hier zur Josefstadt-Einstimmung ein für den Augustin gekürzter Essay von Robert Sommer und Fotos von Wolfgang Bledl.

Foto: Wolfgang Bledl

Zwischen den monströsen Gebäuden der Nationalbank im 9. Bezirk und der Justizanstalt Josefstadt im 8. Bezirk liegt Wiens uncharismatischste Rasenfläche. Eine repräsentative Stichprobe vor Ort ergab: Niemand kennt ihren Namen, obwohl sie deren zwei hat: Ostarrichi-Park und Otto-Wagner-Platz (zwei Befragte tippten auf: Nationalbank-Platz). Vielleicht ist der Umstand, dass das unstrukturierte Grün das Dach einer Tiefgarage bildet, für das Charismadefizit verantwortlich. Eine Guerilla-Gardening-Initiative, die hier Obstbäume zu pflanzen versuchte, hatte eine andere Erklärung für die absolute Absenz von Flair auf dieser Grünfläche ohne Eigenschaften: Zwischen zwei Häusern der Lüge könne es keinen Kraftort geben, nur einen Unort. Wie zur Bestätigung dieser abenteuerlichen These hatten die Bäume der Guerillagärtner_innen keinerlei Überlebenschance.

Häuser der Lüge? «Die Bank lügt uns vor, es gäbe keine Alternative zum Geld. Das Gefängnis behauptet, es bessere die Insassen. Das war schon eine Lüge, als es 1839 eröffnet wurde. Strafen, Erziehen und Wiedergutmachung waren schon damals die Ziele des Staates in Bezug auf den Strafvollzug. Schon damals wusste man, dass das nur Rhetorik ist», sagte ein Redner beim Pflanzversuch. Er wies auf ein 1783 erschienenes Buch mit dem Titel «Annehmlichkeiten in Wien» hin, in dem ein Autor namens Perinet feststellte, dass die Delinquenten beim Verlassen des Gefängnisses «schlechter befunden werden» als beim Antritt der Haftstrafe. Die Idee des Gefängnisses als Universität des Verbrechens ist hier vorformuliert.

Mit Strafvollzugs-Alternativen wie dem «Außergerichtlichen Tatausgleich», der hierzulande in Teilbereichen der Konfliktlösung angewandt wird, oder wie den in Irland, Neuseeland und Kanada bewährten Maßnahmen der «restorative justice» könnten – wenn die Politik es wollte – die Gefängnisse leergefegt werden, zumal die Rückfallsquote bei diesen alternativen Modellen empirisch minimal bleibt.

Falls uns diese Utopie heimsuchen würde, sollte sie nicht unbedingt zur Schlussfolgerung führen, die restlichen Schwerverbrecher_innen hier zu konzentrieren: Die Lage im Zentrum Wiens wäre zu wertvoll. Vorzuziehen wäre der Umbau des Grauen Hauses in ein Museum der österreichischen Justizpolitik, das sich allerdings einer «Geschichte von unten» verpflichtet fühlte.

Rotes Wien und Bayrische Kultur

Wenn Sie einmal in der Nähe sind, wagen Sie einen Rundgang um den Häuserblock, in den das Graue Haus integriert ist. Der Ausgangspunkt ist das Hofbräu zum Rathaus (früher Adam’s Gasthaus) am linken vorderen Eck. In der Florianigasse finden sie eine Tacobar, einen Schuhmacher, eine Trafik, eine Pizzeria und das Gasthaus «Zur Wickenburg». Ecke Florianigasse-Wickenburggasse liegt die Zentrale des österreichischen Jagd- und Fischereiverbands. Seine Auslagen im Stil «realer Sozialismus» bieten Bücher darüber, wie man Wildschweine schützt, wie man Wildschweine zubereitet und wie man Wildschweine schießt. In einer dieser Auslagen sind die hässlichste Krawatten der Welt ausgestellt (trug Jägermeister Konrad etwa Dinger dieser Art?).

Nun biegen Sie in die Wickenburggasse ein und treffen auf das Haus, in dem 1865 der ungarische Maler Mihály von Munkácsy wohnte. Es ist der Künstler mit dem schönsten Todesdatum (1. Mai 1900), aber mit einem Todesort zum Schämen. Munkácsy starb in der Irrenanstalt Endenich in geistiger Umnachtung, nachdem er durch eine Liaison mit einer französischen Adeligen das Leben eines Fürsten gelebt hatte. Drei Liegenschaften weiter, Wickenburggasse 15, ist die Kontrahentin aller Fürsten dieser Welt präsent. Der Gemeindebau aus dem «roten Wien» trägt den Namen der Wiener Rebellin Therese Schlesinger. Als Tochter eines jüdischen Papierfabrikanten startete sie in der bürgerlichen Frauenbewegung, wandte sich aber bald – inspiriert von Friedrich Adler – dem Marxismus zu. Beim ersten Frauentag (1911) spielte sie organisatorisch und inhaltlich eine prägende Rolle. In dem emotionsgeladenen Zustand, der sie bei der Frauentagspremiere erfasste, muss ihr Genosse Pathos die Feder geführt haben (Schlesinger selber erschrak angeblich später über das Pathetische ihres Aufrufs an die Männer): Ihr Männer stehet uns zur Seite / Heraus, wer Sozialist sich nennt / Wir helfen euch in eurem Streite / Wenn er auch noch so heiß entbrennt / Nun müsst ihr eure Hilf uns leih‘n / Soll uns der Preis gewonnen sein.

Was von diesem revolutionären Pathos blieb, kann man sehen, wenn man ein paar Schritte in den Innenhof des Gemeindebaus macht: Ein Gartenzwergparadies breitet sich im Zentrum der Anlage aus. Ein besserer Teil des Erbes der Frauenrechtlerin Therese Schlesinger ist zwei Häuser weiter untergebracht: der feministische Milena Verlag. Auf Wickenburggasse 21 sind alle Bücher, die hier verlegt werden, käuflich zu erwerben. Zweimal noch um die Ecke (das Yuppielokal «Edison» verschmähend), und sie sind wieder beim Ausgangspunkt, wo das Hofbräuhaus mit «Bayrischer Bierkultur» – sofern das auszuhalten ist (Anm. d. Augustin-«Vorstadt»-Redaktion) – wartet. Während die darauf warten, versetzen Sie sich ins Innere des Blocks.

Die Langversion auf stadtflanerien.at

 

Infos:

Gerade die Direktorin des im ersten Bezirk gelegenen Burgtheaters, Karin Bergmann, und nicht der Direktor des Theaters in der Josefstadt, Herbert Föttinger, liefert mit zwei Sätzen eine treffende Zustandsbeschreibung des achten Bezirkes: «Die Josefstadt ist nicht so schick oder bobomäßig geworden, wie man es über den Siebten und den Zweiten sagt. Sie ist aber auch kein toter Bezirk, wo nur noch Beamtenwitwen sitzen würden.» Die Burgtheater-Direktorin spricht natürlich aus berufenem Munde, sie arbeitet zwar nicht, aber wohnt in der Josefstadt und wirft ein aufmerksames Auge auf ihre Umgebung, wie sie im Interview für das Hörbuch Josefstadt beweist. Diese CD entstand im Rahmen des Projektes «Stadtflanerien Wien» des Aktionsradius Wien. Pro Bezirk wurden neben den Hörbüchern (bei der Josefstadt handelt es sich um das 13te) bereits literarische und fotografische Essays produziert, und darüber hinaus werden auch noch Stadtführungen angeboten. Doch zurück zum neuesten Hörbuch.

Carola Timmel, die Gestalterin, interviewte neben Karin Bergmann noch weitere acht Personen, die, bis auf Heini Staudinger (Bewohner und Geschäftsbetreiber) aus dem kulturellen bzw. wissenschaftlichen Bereich kommen. Konkret wären das Peter A. Krobath (Autor und Mitbegründer von «Stadtfrucht Wien»), Liette Clees (Agenda Josefstadt), Rahim Taghizadegan (Ökonom und Philosoph), Markus Semelliker (Organist der Piaristenbasilika Maria Treu), Elke Krasny (Stadtforscherin), Matthias Beitl (Direktor vom Volkskundemuseum) und Tina Walzer (Historikerin).

Diese Auswahl an Gesprächspartner_innen ist selektiv, wo bleiben etwa Gemeindebaubewohner_innen oder klassische Imbiss-Betreiber_innen, – auch die wären im flächenmäßig kleinsten Bezirk von Wien anzutreffen. Nichtsdestotrotz gibt das aufwendig und informativ gestaltete Hörbuch Josefstadt Perspektiven preis, die selbst für bezirksaffine Personen neu und bereichernd sein können.

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Hörbuchpräsentation

29. Februar, 19 Uhr

Volkskundemuseum

Laudongasse 15–19, 1080 Wien

Bei freiem Eintritt

Die CD ist bereits erschienen und kostet € 20,–