Materialgöttervorstadt

Besinnung und Einkehr – vier Fallbeispiele aus Wien

Ein Adventhappening, für das vielleicht auch Atheist_innen zu gewinnen wären, schlägt Karl Weidinger (Text und Fotos) vor: «schräge» Kirchen zu besuchen.

Herrgott aus Stein: «Stonehenge» in Wien-Mauer

Die Urmutter aller schrägen Kirchen Wiens. «Der Berg auf dem Jesu Botschaft gelebt wird – Ge(b)orgenberg – Unsere Vision 2020» steht in aufgeklebten Buchstaben auf dem Portal in Überkopfhöhe. Nix mehr in Stein gemeißelt. Überhaupt kein Kirchturm ersichtlich. Kreuz nur zu erahnen. Das Kreuz, das wir auf uns nehmen? Kollege Anton Blitzstein erzählte von seinem «Jakobsweg». Mit Steinen im Gepäck, um die Bußwirkung zu erhöhen. Wer öffentlich fährt und den Kirchenberg im Süden Wiens erklimmt, tut auch Buße. Um sich auf dem Georgenberg geborgen zu fühlen – eine Vision für 2020? Der Anmarsch ist beschwerlich, lohnt sich aber.

Vor dem sakralen Bauwerk staunt man über Betonklötze und die Anordnung der rechteckigen Quader. 152 Betonblöcke türmen sich hier ohne Symmetrie übereinandergestapelt. Schmale Fenster dazwischen verbinden das Gesamtkunstwerk. Die Glasscheiben bündeln den Lichteinfall und zeugen von der Allmacht eines höheren Wesens.

Die Kirche wurde 1974 nach Entwürfen des Bildhauers Fritz Wotruba erbaut und liegt auf dem Areal einer ehemaligen Kaserne. Die Größe der rohen Blöcke schwankt zwischen 0,84 und 64 Kubikmeter. Der schwerste wiegt 141 Tonnen, der längste misst über 13 Meter. Stilistisch ist die Kirche dem Brutalismus zuzuordnen.

Wotruba hatte den Plan zur Kirche seit 1964. Bis sie gebaut war, vergingen weitere zwölf Jahre. Es regte sich großer Widerstand. Ende 1976 wurde das Sakralbauwerk eingeweiht. Bereits vor der Fertigstellung wurde das Projekt zum Ausflugsziel von Neugierigen und Kunstinteressierten. So was wie eine Pilgerstätte, ein «Stonehenge» in Wien-Mauer.

Katholische Filialkirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit:

Ottillingerplatz 1, 1230 Wien-Mauer (Ecke

Georgsgasse/Rysergasse); geöffnet Samstag, 14 bis 20 Uhr,

Sonn- und Feiertag, 9 bis 16.30 Uhr

 

Herrgott aus Beton: Ein Bunker in Ottakring

Die Kirche «Maria Namen» liegt bei der U-Bahn-Station Thaliastraße. In diesen Sakralkubus verirren sich keine Bobos zwecks Einkehr. Die letzte katholische Messe fand hier 2014 statt. Am Bau an der Ecke Hasnerstraße/Hippgasse ist nichts hipp. Keine Bobo-Zone, nicht einmal Gottes Acker ringsum. Gottes Land schon gar nicht mehr.

Das Stift Klosterneuburg beseelsorgte das heutige Ottakring bis 1848. Wohnungsnot und Elend prägten das Gebiet. Die Notkirche aus Holz wurde von Kardinal Innitzer 1939 zur selbständigen Pfarrkirche erhoben. Nach den Plänen von Otto Nobis errichtete die Baufirma Hofmann & Maculan dann 1972 die Fassade aus Sichtbeton. Das Kreuz ist kein lateinisches, sondern ein griechisches mit gleichlangen Seitenteilen (erinnert an Erste-Hilfe-Kasten oder Apotheke). Aber Gott verspricht auch Hilfe – für Katholik_innen, die zu einer Minderheit geworden sind. Sozusagen Gottes letzter Bunker?

Die Kirche hat eine elektronische Orgel, statt einem Ehrfurcht gebietendem Blaswerk mit Orgelpfeifen in allen (Laut-)Stärken und (Ton-)Höhen. Der freistehende Tabernakel aus dem Jahre 1976 zeigt die Sonne mit der Taube, als Symbol des Geistes Gottes, der von hier aus auf die Gemeinde kommen soll. Der unverbaute steinige Platz neben der Kirche (Hippgasse 27) wurde zu einem Kinderspielplatz umgestaltet. Die Pfarren Neulerchenfeld und Maria Namen wurden 2013 zusammengelegt und der serbisch-orthodoxen Kirche übergeben. Das brachte die letzten Katholik_innen auf die Barrikaden. Wehrhaftes Christentum oder kirchliche Politik? Gott wird es nicht bekümmern.



Kirche Maria Namen: Hippgasse 29–31, 1160 Wien, Eingang Hasnerstraße 11; geöffnet Dienstag bis Freitag von 9 bis 12 Uhr

Herrgott aus Stahl: Kirche der Vereinten Nationen

Der flache Bau am Platz der Vereinten Nationen erinnert an ein anderes höchstes Heiligtum. Ein schwarzer Block, ein Stein, ein Schrein. Architekt Heinz Tesar aus der Meisterklasse von Roland Rainer siegte im Wettbewerb zum Bau der katholischen Kirche «Christus, Hoffnung der Welt». Kurz vor der Jahrtausendwende wurde mit der Errichtung begonnen. Seit dem Millennium ist der Bau fertig und wird seither vom Orden der Salvatorianer betrieben. Die dunkle Außenhaut ist aus steirischem Chromstahl gefertigt. Die Oberfläche der Kirchenfassade ist mit runden Öffnungen verziert. Diese diagonal angeordneten Perforationen können auch als Einschläge oder Einschüsse gedeutet werden. Denn die Christenheit in aller Welt mutierte – global gesehen – vom Haupttäter zum meistverfolgten Opfer – ohne jetzt eine Aufrechnung oder Zuweisung irgendwelcher Gräueltäten vorzunehmen.

Das Gotteshaus ist mit einem weißen Kreuz an der Außenwand versehen. Die Löcher in der Fassade durchbrechen die Strenge der Konstruktion. Tagsüber dringen die Strahlen der Hoffnung in den Innenraum, nachts wird das Licht von innen nach außen abgegeben.

Hier probt der Donaucity-Kirchenchor. Wegen der Nähe zur UNO-City geht es kunterbunt zu wie in «Sister Act». Jedenfalls ist dies die modernste Kirche Wiens, wo der katholische Glaube noch einen hohen Stellenwert besitzt. Die Kirche ist täglich ganztags geöffnet, was inzwischen zu einer Seltenheit geworden ist – zumindest in Wien.

Rektorat Christus, Hoffnung der Welt (UNO-Kirche): Donau-City-

Straße 2, 1220 Wien; geöffnet

täglich von 8 bis 20 Uhr

 

Herrgott aus Glas: Gott ist in allen Dingen

Das Bauwerk im Bezirksteil Matzleinsdorf steht unter Denkmalschutz. Es wurde 1963 nach Plänen des deutschen Kirchenarchitekten Rudolf Schwarz fertiggestellt. In der Funktion als Jugendkirche und als Kirche des Schutzpatrons der Feuerwehr findet alljährlich (seit den 1970er-Jahren) eine Florianimesse statt.

Aber nicht nur das. Hier hielt unsere Straßenzeitung «Augustin» Weihnachtsfeiern ab. Hier wurden Filme gedreht («Wanted» von Alfred Dorfer, mit Michael Niavarani als exotischem Pfarrer).

Ihre Vorgängerin, die Rauchfangkehrerkirche, wurde trotz heftiger Proteste schließlich 1965 abgerissen. Die Straßenbahnlinie, die bisher um die Kirche führte, wurde unter die Straße verlegt (U-Straba) und konnte nicht mehr für die Statik des Gotteshauses garantieren.

Auf der Portalseite ist ein imposantes Kreuz eingearbeitet. Selbst bei geringem Sonnenschein erstrahlt der Innenraum mit einem lichttechnischen Prunk. Die 853 bunten Glasfenster kommen voll zur Geltung und werden zum gestaltenden Element des Innenraums.

Der Maler Giselbert Hoke schuf ein lichtdurchflutetes Fensterwerk von beträchtlichen Ausmaßen. Die von ihm gestalteten Hochschiffwände versammeln insgesamt 835 Fenster in Mosaikform zum Lichtdurchlass als Gottesbeweis. Das Zusammenspiel von kleinen Ebenen zwischen den Betonrippen und den großen Flächen über alle vier Hochschiffwände erzeugt einen prächtig erhabenen Eindruck.

Ganz gleich, ob Granit, Stein, Sichtbeton, Marmor oder Holz. Oder auch Chrom, Stahl und Glas. Gott ist in allen Dingen.

Pfarre Sankt Florian: Wiedner Hauptstraße 97, 1050 Wien;

geöffnet Montag, Dienstag und Donnerstag von 9 bis 12 Uhr und Mittwoch von 16.30 bis 18.30 Uhr