MITTEN IM ELFTENvorstadt

Der Tschocherl-Report (18. Teil)

Was hat der Stephansdom mit dem Gasthaus Stefan in Simmering gemeinsam? In beiden hängt ein Kreuz. Was verbindet die beiden noch? Zehn Stationen mit der U3. Sehr christlich sind im «Stefan» auch die Preise. Das Publikum des kleinen Simmeringer Lokals ist aber, wie der ganze Bezirk, doch mehr sozialistisch als katholisch geprägt.Das Gasthaus Stefan ist zu jeder Tageszeit gut gefüllt. Zum Zeitpunkt des Lokalaugenscheins, einem Donnerstag zu Mittag, ist es sogar sehr gut gefüllt. Und das, obwohl es hier, für ein Gasthaus untypisch, nichts zu essen gibt. Das Lokal von seinem Angebot also eher ein Café ist offenbar einfach sehr beliebt. Und das hat mehrere Gründe. «Es is gemütlich hier, die Preise san super und die Bedienung is freundlich», meint ein Gast. Für einen anderen liegt es am Wirt er sei «der Beste der Besten».

Kein Wunder, dass einer beliebt ist, wenn er für seine Stammgäste einmal pro Jahr einen ganzen Bus mietet und ihnen einen Heurigenbesuch in Groß-Enzersdorf spendiert. Sechzig Leute seien da jedes Jahr dabei, weiß einer, der jährlich mit von der Partie ist. Auch ein vom Chef gegründeter Fußballverein, dem Gäste des Cafés angehören und das in der 3. Klasse der Wiener Stadtliga sogar Meister wurde, zeugt von einer engen Bindung des Chefs an seine Gäste. Der Wirt des «Stefan» heißt Stefan Kolenac und der wurde sogar einmal ganz offiziell zum «Wirt des Jahres» gekürt, erzählt ein anderer Stammkunde stolz.

Das «Stefan» hat nicht nur einen beliebten Chef, es überrascht auch durch seine unorthodoxe Raumeinteilung. Von der Glastüre, auf der ein Pickerl für Tschocherl eher unüblich Hunden den Zutritt verbietet, führt ein Gang direkt nach hinten zur Bar. Während rechts vom Gang drei große Tische einer davon wird als Stammtisch ausgewiesen ausreichend Sitzgelegenheit bieten, kleben linker Hand kleine Sitznischen an der Wand, die an typisch amerikanische Diner erinnern und in heimischen Breiten eher selten zu finden sind.

In einer dieser Nischen sitzt Rudi. Früher hat er Autos repariert und auch verkauft, sogar Ferrari und Porsche waren dabei. Seit bei ihm, wie er es formuliert, beide Knie und eine Hüfte repariert wurden, repariert der 60-Jährige keine Autos mehr. Unters Auto käme er vielleicht noch alleine, heraus aber nicht. Als sein Chef das gut gehende Autohaus verkauft hat, bekam Rudi eine hohe Abfertigung, eine Stelle fand er danach aber nicht mehr. Pensionsberechtigt ist er noch nicht, dafür sind seine vierzig Arbeitsjahre zu wenig. Doch Rudi ist mit seinem «bescheidenen Leben», wie er es nennt, zufrieden. «I braucht ned mehr», sagt er. Täglich komme er ins «Stefan», wo er seine «heilige Ruh» habe. Rudi: «I kum eina, les mei Zeitung und trink an Kaffee, oder a Achterl.» Bisweilen liest er auch im Romanheftl, das in der Innentasche seiner Jacke steckt. Der Zukunft sieht er gelassen entgegen. Auch dem Weltuntergang, der ja, wie manche behaupten, am 21. Dezember über die Bühne gehen soll. Rudi dazu «Mir is des wurscht, weil i hab nix zum Verlieren.»

Bekannt ist Rudi auch in anderen Bezirken. Wenn er etwa im 6. in ein Lokal geht, sagen die Leute: «Schau her, der Edel!» Das ist sein Spitzname. Als der gebürtige Serbe, der den Wiener Dialekt akzentfrei beherrscht, vor vierzig Jahren nach Wien gekommen sei, war er natürlich der Tschusch. Irgendwann hätten die Leute aber gemerkt, dass er einiges am Kasten habe, seine Arbeit als Automechaniker gut mache und er alles in allem ein leiwander Kerl sei. Seitdem ist er der «Edeltschusch», oder einfach nur «der Edel».

Aus dem ehemaligen Jugoslawien kommt auch Herr Kolenac, der Chef. Tschusch dürfe man zu ihm aber nicht sagen. Rudi: «Der sagt: I bin a Krawot» Eine Unterscheidung, die für Rudi nebensächlich ist. «Mir san olle gleich, mir kuman olle von do unten.» Und über den Krieg: «Der wor a Bledsinn. Zu wos der guat wor, des waß heit eh kaner mehr.»

Auch Herr Kolenac ist schon lange in Wien, seit 1968. Zuerst war er Chauffeur, wechselte dann als Bademeister in die Prater-Sauna und entschied sich 1989 für die Selbständigkeit als Gastwirt. Auf Miete erwarb er sein erstes Lokal, das dreieinhalb Jahre später aufgrund des Baus der U3 und der Errichtung der Endstation Simmering abgetragen wurde. Kolenac war gezwungen, mit seinem Lokal in zwölf Container auf ein Grundstück an der Simmeringer Hauptstraße umzuziehen, das er als Standplatz erwarb. Später verkaufte er das Grundstück an einen rumänischen Pfarrer, der dort die heutige rumänisch-orthodoxe Kirche errichten ließ. Das Gasthaus Stefan am heutigen Standplatz gibt es seit dem Jahr 2000. Die meisten Kunden halten dem Chef aber schon viel länger die Treue, manche seit Beginn seiner Selbständigkeit.

Zu ihnen gehört auch Herr Muhr, den sie im Lokal den «Muhrli» nennen. Oder den «Muhrlipapa». Manche sagen aber einfach nur Papa zu ihm. Der Schriftzug «Muhrli» ist auch auf seinem höchst persönlichen Weinglas eingraviert. Und gegenüber, auf der Glasrückseite, steht «Rapid». Herr Muhr hat sein Leben lang als Polier gearbeitet und hobbymäßig als Schiri Spiele der Wiener Liga geleitet. Seit ein paar Jahren ist er in Pension. Schiri ist er schon lange nicht mehr. Der frühere starke Raucher trägt seit sechs Monaten ein Sauerstoffgerät, das ihn mit zusätzlichem Sauerstoff versorgt. Der Lebensfreude und dem Humor des 62-Jährigen, der seit seinem 14. Lebensjahr in Simmering lebt, tut dies keinen Abbruch. Seiner Treue zum «Stefan» schon gar nicht. Seit er in Pension ist, besucht er das Lokal täglich, von der Früh so gegen acht bis zur Sperrstunde. Er verbringst sein Leben im «Stefan» und sagt: «I werd do bleiben, bis i stirb.» Da er nicht mehr so gut auf den Beinen ist, bringt ihn früh morgens seine Frau mit dem Auto. Oder es kommt Otto, ein Kellner, und holt ihn. Irgendwer hole ihn immer ab und bringe ihn abends wieder heim, beteuert Herr Muhr, manchmal sogar der Chef.

Simmering ist einer der letzten typischen Arbeiterbezirke und neben der Donaustadt der Einzige, in dem die SPÖ noch absolut regiert. Trotz schwerer Verluste (minus 11,46 Prozent) kam die SPÖ hier bei der Bezirksvertretungswahl 2010 immer noch auf 49 Prozent. Die Bezirksvorsteherin von Simmering heißt Renate Angerer, und auch sie ist ein regelmäßiger Gast im «Stefan». Ein sehr regelmäßiger Gast sogar. Ein Stammkunde weiß, dass sie manchmal sogar einfach hinter der Budel verschwindet und sich selbst einen Kaffee runterlässt. Oder etwas anderes einschenkt. Denn, man könnte es so sagen: Sehr lebenslustig und gesellig sei sie, die rote Bezirksvorsteherin vom elften Hieb.

GASTHAUS STEFAN

Krügerl: 2,40

Flaschenbier: 2,40

Mokka klein: 1,30

Achterl rot/weiß: 1,

Essen:

Schanigarten:

Ambiente: amerikanischer Diner ohne Essen

Adresse: Simmeringer Hauptstraße 120

1110 Wien

Tel.: (01) 94 34 445

Web:

Öffnungszeiten: 622 Uhr, Sa., So., Feiertag: 722 Uhr