Swearing with Sarahvorstadt

Englischkurs für Schiedsrichter_innen

International tätige Referees müssen nicht nur körperlich, sondern auch sprachlich fit sein. Eine Suche nach den Möglichkeiten der Weiterbildung von Hannes Gaisberger.

Foto: Mehmet Emir

Im Sommer werden die Fremdsprachenkenntnisse ausgepackt. Sei es als Reisender, sei es als wegweisende Einheimische. Oft folgen Momente bitterer Erkenntnis: Dass die Schulzeit schon lange vorbei ist. Dass es einfacher ist, auf einer französischen Homepage einzukaufen als auf Französisch eine Wegbeschreibung zum nächsten Supermarkt zu geben. Und das ausgeruht und ohne Druck.

Wie muss es da den Referees in internationalen Einsätzen gehen? Sie spulen auf dem Fußballfeld Kilometer um Kilometer ab und müssen unter den Blicken und Pfiffen der Zuseher_innen permanent Entscheidungen fällen und begründen. Auf Englisch natürlich, das auch im Fußball die allgemein gültigen Amtssprache geworden ist, frankophile FIFA hin oder her.

 

Elitenbildung privatisiert

Die Crème de la Crème der ÖFB-Schiedsrichter_innen, die für internationale Begegnungen entsandt werden, sind natürlich nicht samt und sonders Sprachlehrer_innen oder Dolmetscher_innen. Obwohl Barbara Poxhofer aus Niederösterreich – seit 2013 FIFA-Schiedsrichterin – im Zivilberuf tatsächlich Übersetzerin für Englisch und Spanisch ist. Doch unter ihren Kolleg_innen gibt es auch einen Justizwachebeamten, einen Fahrdienstleiter, einen Elektriker, Angestellte und Beamte. Wie gelangen sie an ihr Wissen?

Für die Ausbildung der Schiedsrichter_innen sind zuerst die Landesverbände verantwortlich. Auf der Website des Wiener Fußballverbandes findet sich unter den angebotenen Serviceleistungen für Unparteiische ein sechsseitiges Fußballwörterbuch des ÖFB. Hier wird nicht humorig Gurkerl und Laberl verdenglischt, sondern sachlich das ganze Fußballfeld vokabularisch abgegrast. Von der Aufstellung der Mannschaft und der Ausstattung des Spielfelds hin zu Ereignissen (to suffer a debacle – ein Debakel erleiden), Handlungen (to scramble the ball away – mit Müh und Not den Ball wegbringen) und Verletzungen (a groin injury – eine Leistenverletzung). Obwohl diese Auflistung sehr ins Detail geht, kann man das auswendig lernen. Dann hat man die meisten Phrasen und Vokabeln abgedeckt. Aber das reicht wohl kaum, um ein Spiel zu leiten. Oder als Assistent_in an der Linie zu stehen. Auch die Aufgaben der ehemaligen Linienrichter_innen gehen mittlerweile weit über das «Out-Wacheln» hinaus.

Wie sieht es beim ÖFB aus? Auf eine Anfrage bezüglich des Themas wird Rat bei der Referee-Institution Fritz Stuchlik eingeholt. Er bestätigt, dass «jeder im internationalen Bereich tätige Schiedsrichter und -assistent Englisch sprechen können muss. Dies ist auch die einzige internationale Sprache am Spielfeld. Sollte jemand eine andere Sprache beherrschen, dann wird er diese eventuell situationsbedingt verwenden.» Die Aneignung dieser Kenntnisse ist in der Ausbildung allerdings nicht vorgesehen. «Kurse gibt es dafür keine – da ist jeder selbst verantwortlich.» Doch das war nicht immer so.

 

Englisch in Antalya

In den Spielpausen brechen nicht nur die Vereine an sonnige Gefilde auf, um Trainingslager abzuhalten. Auch die Unparteiischen setzen sich in den Flieger. 2008 hieß das Ziel Türkei, und nach einer Woche resümiert der ÖFB in seiner offiziellen Aussendung: «24 Bundesliga-Schiedsrichter, 4 Mitglieder des Talentekaders, der 4-köpfige Schiedsrichter-Ausschuss, zwei Trainer, ein Arzt, zwei Masseure und eine Englisch-Lehrerin waren von 2. bis 9. Februar beim traditionellen Trainingslager der Schiedsrichter für den Bundesliga-Bereich in Antalya.» Dann folgt eine Auflistung der Aktivitäten. «Am Vormittag ging es täglich wechselnd in die Kraftkammer oder zur Stabilisation/Koordination bzw. in den Englisch-Unterricht (Sarah Adams-Lipa).» Kraftkammer oder Englisch-Kurs? Ich persönlich bevorzuge den bequemen Sprachunterricht. Aber wie sieht es mit Schiedsrichtern aus? Wollen sie lieber beim Bankdrücken schwitzen als beim Schulbankdrücken?

Die damalige «Lehrerin» Sarah Adams-Lipa wundert sich ein wenig, dass sich nach so langer Zeit jemand für diesen Kurs interessiert. Adams-Lipa ist studierte Kriminologin mit einem Bachelor in angewandter Psychologie und arbeitet u. a. als Sprachtrainerin. Nach Wien hat es die Engländerin, die sich in ihrer Muttersprache nach wie vor wohler fühlt als in Deutsch, aus familiären Gründen verschlagen. Sie ist mit dem ehemaligen Fußballprofi Andreas Lipa verheiratet, dem Ex-Vienna-Trainer. Über ihn sei damals auch der Kontakt zum ÖFB entstanden.

Sie hat für den Kurs ein Lernziel erarbeitet: «Ich wollte, dass sich die Schiedsrichter sicherer fühlen, wenn sie Englisch sprechen. Sowohl im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als auch in ihrem Privatleben.» Es sollte ein Kurs werden, der ihren Bedürfnissen entspricht. Sie sollten lernen, «mit Abläufen umzugehen, auf die sie im Rahmen einer internationalen Begegnung stoßen. Also vom Überprüfen der Reisedaten, Probleme bei der Unterbringung, Ankunft beim Stadion, dann das eigentliche Spiel selbst, Situationen und Regeln diskutieren, Entscheidungen rechtfertigen.» In einer Woche lässt sich das Programm natürlich nicht durchpeitschen, die Inhalte wurden aufgeteilt und in einem weiteren Teil beim Trainingslager im Folgejahr komplettiert.

Ans Eingemachte

Auf die etwas marktschreierische Frage, ob sie die Schiedsrichter auch bezüglich Beleidigungen auf internationales Parkett vorbereitet hat, antwortet Adams-Lipa erfreulicherweise positiv. «Wir hatten eine Einheit über Schimpfwörter. Es war ziemlich witzig, denn ihre erste Aufgabe war, mich zu beschimpfen. So nach der Art ‹Na kommt schon, gebt mir das Übelste, das ihr draufhabt …›» Die Teilnehmer hätten zuerst sehr zurückhaltend reagiert. «Einige der Gentlemen fühlten sich unwohl, eine Lady zu beschimpfen. Aber nach ein bisschen Ermunterung wurde es dann doch interessant, zu sehen, wie kreativ einige von ihnen sein konnten.» Vielleicht kommt hier die Kriminologin und Psychologin bei Adams-Lipa durch, denn ihr eröffneten sich durch den Stil der Beschimpfungen ganz neue Erkenntnisse: «Man konnte sich wirklich vorstellen, welche Art Sendungen sie sich im Fernsehen ansehen! Dann machten wir weiter bei der Definition von Schimpfwörtern. Das ist immer lustig.» Die Schiris mussten sich auch nicht vor schlechten Bewertungen fürchten, Noten wurden nicht vergeben.

Die Referees sind es gewohnt, auf dem Spielfeld die letztgültige Autorität zu sein. Im Unterricht war das kein Problem, antwortet Adams-Lipa, «obwohl es manchmal ein Kampf war, sie zu den vorbereiteten Übungen zu bewegen.» Eine Erfahrung, von der die Engländerin in der Gegenwart profitieren kann. Neben ihren beruflichen Verpflichtungen hält sie vor allem ihr dreieinhalbjähriger Sohn auf Trab.

Obwohl Adams-Lipa die Komplexität der Aufgabe der Schiedsrichter bestens kennt, können die Referees nicht mit mehr Verständnis von Seiten ihrer ehemaligen Lehrerin rechnen. «Äh, nein. Wenn eine Fehlentscheidung gegen England gepfiffen wird, bin ich die Erste, die schreit!»