Szombathely auf den Zahn gefühltvorstadt

Ein Blick hinters Günser Gebirge

Für viele Ostösterreicher_innen ist Szombathely ein Synonym für Zahnbehandlungszentrum. Aber dass es sich lohnen würde, nach einem Ordinationsbesuch noch ein, zwei Tage anzuhängen, um auch die Stadt kennenzulernen, dürfte sich noch nicht herumgesprochen haben. Irmgard Derschmidt (Fotos) und Reinhold Schachner (Text) suchten diese Stadt hinterm Günser Gebirge auf: ohne Zahnarzt-Termin, rein aus Neugierde.

Ein Innenstadtgastronom fragt, was uns hierher verschlagen hätte. Bleiben üblicherweise die Österreicher_innen an der Peripherie hängen? Wo überproportional Hinweisschilder von Zahnärzt_innen und Schönheitssalons zu finden sind. Oder dort, wo der Gewerbepark angesiedelt ist?

Für den Wirt war unsere Antwort, dass wir an (Stadt-)Architektur interessiert seien, durchaus nachvollziehbar. Szombathely sei sehenswert, attestierte er mit perfektem Deutsch. Seine Deutschkenntnisse seien auch nicht dem Tourismus geschuldet, er stamme aus Rumänien und hätte lange Zeit in Deutschland gearbeitet. Seine Frau hätte ihn nach Ungarn verführt.

Szombathely ist der Sitz des Komitats Vas, zählt rund 80.000 Einwohner_innen und ist keine 150 Kilometer von Wien entfernt. Zugdirektverbindung gibt es im Moment von Wien keine. Zwei Stunden und 20 Minuten und einen Umstieg muss man mit der raschesten Bahnverbindung veranschlagen. Bei An- und Abreise per Individualverkehr empfiehlt es sich verschiedene Routen zu wählen: Einmal über das schmucke Städtchen Kőszeg (Grenzübergang Rattendorf), einmal über den Geschriebenstein (Grenzübergang Schachendorf). Obwohl die höchste Erhebung des Burgenlandes deutlich unter der 1000-Meter-Marke bleibt, lohnt sich der Besuch des «Gipfels». Seine Aussichtswarte macht ihrem Namen alle Ehre: Der Überblick reicht vom Balaton bis zum Schöckl, dem Grazer Hausberg.

Zurück zum Urbanen: In Szombathely fallen die vielen Grünstreifen bzw. -flächen auf. Ein relativ naturbelassener Kanal zieht sich durch die Stadt, gesäumt von Spazier- und Radwegen. Bewegung bzw. Sport hat in dieser Stadt Tradition. Szombathely gilt auch als Destination für Trainingslager und ist eine Hochburg von Randsportarten wie Hammer- und Diskuswurf. Aber auch herkömmliche Ballsportarten wie Basket- und Fußball werden auf hohem Niveau gespielt, wie György Garics beweist. Der österreichische (!) Nationalspieler ist nämlich in Steinamanger, so der deutsche Name, aufgewachsen. Und ein noch viel berühmterer Name wird Szombathely zugeordnet, nämlich Leopold Bloom. James Joyce dichtete dem Protagonisten des «Ulysses» Szombathely als Herkunftsort an.

Ein paar Gehminuten westlich vom großen Stadion, am Campingplatz vorbei, befindet sich der «Rudersee». Wir konnten zwar kein einziges Ruderboot entdecken, waren dafür stets von Jogger_innen und Enten umzingelt. Auffallend auch die vielen kostenlos nutzbaren Sitz- und Liegemöbel aus Holz direkt um Ufer. Anders ausgedrückt, der harmlos verbaute Rudersee dient als Erholungsraum, obwohl er prächtige Seegrundstücke hergeben würde. Gut, die beste Hoteladresse der Stadt, das Claudius, ist nur einen Diskuswurf vom See entfernt, aber es stört die Idylle nicht, im Gegenteil. Erstens scheinen die Gäste auszubleiben, es ist ruhig vorm Hotel, und zweitens handelt es sich um ein architektonisches Juwel, das im Zuge der Fremdenverkehrsoffensive der 1960er Jahre, die einige außergewöhnliche Hotels entstehen ließ, wie das Turmhotel Budapest in Budapest, errichtet worden sein dürfte. Das andere extraordinäre Hotel von Szombathely, das Isis, wird, obwohl erst 1975 erbaut, nicht mehr als Beherbergungsbetrieb geführt.

Zwei weitere Nachkriegsbauten müssen an dieser Stelle noch erwähnt werden. Zum einen das nahe dem Rudersee auf einen Hügel gesetzte doppelflügelige Freiheitsdenkmal (János Heckenast vom staatl. Architekturbüro VASITERV, 1970)

und die zentrumsnahe Szombathely képtár. Diese Kunsthalle (Mátis Lajos, 1979) ist zwar großstädtisch dimensioniert, fügt sich aber elegant in die Randzone der Altstadt. Es läuft dort noch bis Ende Oktober die 5. Textil-Triennale, die leider mehr verspricht als halten kann, und die passable Werkschau des Bildhauers und ehemaligen Rektors der Ungarischen Hochschule für Kunstgewerbe Imre Schrammel (bis 17. Dezember).

Die Uránia hat Vorstadt-Charme

Zweifellos ist der Fő tér, also der Hauptplatz, der belebteste Flecken der Stadt. Trotz der dort zahlreich angesiedelten pseudo-modernen Cafés und Bars geht von ihm eine angenehme Atmosphäre aus. Er ist sehr großzügig angelegt, wie man es von «osteuropäischen» Hauptplätzen gewöhnt ist, und bietet, was heutzutage ungewöhnlich ist, konsumfreie Verweilzonen, die auch angenommen werden, an. Alles wirkt pomali, vielleicht ist es aber auch nur die Ruhe vor dem Sturm, denn eine Woche später, immer am letzten Wochenende im August, soll Karneval gefeiert werden.

Bleibt nur zu hoffen, dass die Uránia Borozó, die sich in einem Souterrainlokal in einer Stichgasse Richtung Hauptplatz versteckt, davon relativ unbehelligt geblieben ist. Die Uránia ist eine Weinstube mit Vorstadt-Charme, quasi mitten im Zentrum gelegen, und somit eine Rarität: Dort bündelt sich viel Gemütlichkeit, ein unschlagbares Preis-Leistungsverhältnis mit einer Zusammenstellung von Gästen, die in Wien nur schwer vorstellbar ist: von Fixie-Fahrer_innen bis hin zu älteren Herren, die in der Uránia bestimmt schon mehr Zeit verbracht haben als in ihren Wohnzimmern. Schwere Empfehlung!

Info:

Kunsthalle Szombathely

www.keptar.szombathely.hu

Uránia Borozó

Kőszegi utca 8

9700 Szombathely