Vom besten Pokalvorstadt

Winterreise ins Pokalwunderland

Trotz Meisterteller und Torschützenkanonen – wer auf normalsterblichem Niveau Fußball spielt, wird in seinem Leben am ehesten einen Pokal überreicht bekommen. Aus diesem Anlass einige Worte zu besonderen Trophäen und ein Besuch bei dem Favoritner Grandseigneur des Pokalhandels.

Foto: Carolina Frank

Winterpause. Der Ligabetrieb ruht. Zeit, sich abseitigeren Dingen zu widmen. Meinem Türstopper zum Beispiel. Es ist erstaunlich, zu welchen Gegenständen gegriffen wird, wenn die Tür klappert. Hier nur eine kleine Auswahl von Meldungen aus der jüngeren Vergangenheit: Ein australischer Farmer hat jahrelang mit dem ältesten Fossil der Welt seine Verandatür gezähmt, eine Familie in Tennessee bremste ihre Tür mit einem vier Milliarden Jahre alten Kometensplitter, eine Familie in New York benutzte dazu eine millionenschwere Vase aus der Ming-Dynastie. Alles seltene und sehr teure Objekte, obwohl sie auf den ersten Blick gewöhnlich und wertlos schienen.

Bei mir verhält es sich umgekehrt. Mein Türstopper sieht auffällig und wertvoll aus: ein 30 cm großer, glänzender Pokal mit der Inschrift «Ehrenpreis» und einer gravierten Widmung des oberösterreichischen Landeshauptmanns auf dem Sockel. Aber sogar mir ist klar, dass ein schicker, neuer Türstopper wohl mehr wert sein wird als diese Trophäe. Sie wurde mir auf einem Hobby-Fußballturnier quasi nachgeworfen, obwohl das Team, als dessen bester Mann auf der Bank ich mich fühlen durfte, keine genauer definierte Platzierung ergatterte. Es wurde gemunkelt, dass der Pokal lediglich einem Zweck diente – später an der Bar mit hochprozentigen und -preisigen Longdrinks befüllt zu werden. Kann sein, wir haben es gemacht. Rein etymologisch war das auch korrekt. Pokal kommt vom italienischen «boccale», das Krug oder Becher bedeutet. Ob es aus hygienischer Sicht in Ordnung war, aus dem Kelch – natürlich reihum – zu zechen, dazu später.

Imaginärer Weltmeister

Der Trophäen gibt es viele: Medaillen, Nadeln, Orden, Teller, Ringe, Schalen und sogar den Nasazzi-Stab. Benannt nach dem Kapitän des ersten Weltmeisters von 1930, dem Uruguayer José Nasazzi, existiert dieser Preis nur imaginär. Vergleichbar mit dem Modus beim Boxen gilt hier die Regel, dass der aktuelle Champion seinen Titel in jeder Begegnung verteidigen muss. Wie in der realen Fußballwelt dominiert in den imaginären Statistiken Brasilien. Dieses Land spielt auch eine gewichtige Rolle in der Geschichte des legendärsten Fußballpokals, der Coupe Jules Rimet.

Der Pokal wurde nach dem ehemaligen Fifa-Präsidenten Jules Rimet benannt und war von 1930 bis 1970 die Siegestrophäe der Weltmeisterschaften. Es war eine Darstellung der griechischen Siegesgöttin Nike, was dem aktuellen FIFA-Sponsor Adidas sicher nicht gefallen würde. Die Figur streckte die Arme gen Himmel, sie war auch mit Flügeln ausgestattet. Der Sockel bestand aus Lapislazuli, der Körper war aus vergoldetem Sterlingsilber geformt. Nachdem Brasilien 1970 zum dritten Mal Weltmeister wurde, gehörte der Wanderpokal ihnen. Vorübergehend. Er wurde in Folge mehrmals gestohlen und ist verschollen. Es wird vermutet, dass der Pokal letztlich eingeschmolzen worden ist.

Damit so etwas nicht wieder passiert, steht das Original der aktuellen Trophäe, offiziell FIFA-WM-Pokal genannt, sicher verwahrt in Zürich. Die Weltmeister erhalten lediglich eine vergoldete Kopie aus Bronze. Im Original stecken fast fünf Kilo 18-karätiges Gold, deshalb hat er aufgrund der aktuellen Goldpreise nicht nur einen ideellen, sondern auch einen beträchtlichen materiellen Wert. Die Statue soll zwei feiernde Fußballer, die einen Globus in ihren Händen hochhalten, darstellen. Es ist kein Pokal im engeren Sinne, da man daraus nicht trinken kann. Nicht zuletzt deshalb wird man auf einem Hobbyturnier eher einen anderen Kelch erhalten.

Bollwerk gegen Bobos

Rund um den Hauptbahnhof wird gerade an allen Ecken und Enden gebaut und renoviert. Der angrenzende Teil des 10. Bezirks verändert sein Aussehen massiv. Tourist_innen flanieren vermehrt durch die Fußgängerzone, es werden täglich mehr Stofftaschen von schicken Menschen durch die Favoritenstraße getragen. Wird Favoriten von einer Hype-Welle weggeschwemmt? Dagegen stemmt sich, schon rein optisch, das Geschäft von Juwelen Janecka. Wie ein Ozeandampfer steht die dunkle Ladenfassade in dem Teil der Einkaufsstraße, wo die Shops der großen Ketten von Wettcafés und Personalleasingbüros abgelöst werden. In der großzügigen Auslage liegt viel Zinn, viel Silber, klassische Ware. Und natürlich stehen dort eine ganze Menge Trophäen.

Drinnen erwartet mich der Seniorchef, der laut eigener Aussage seit über 50 Jahren Pokale verkauft. Er wollte erst gar nicht über das Thema reden, was soll es da schon Interessantes zu berichten geben? «Aufbau und Materialien sind bei fast allen Pokalen gleich. Der Sockel ist aus einem schweren Stein, und dann werden die einzelnen Teile auf ein von unten hochgezogenes Schraubgestänge aufgefädelt.» Herr Janecka lässt keine Sentimentalitäten zu, es ist ein profanes Geschäft: «Die Grossisten bestellen die einzelnen Teile, und wir stellen uns dann daraus die Modelle zusammen. So 50, 60 unterschiedliche Figuren haben wir immer bereit.» Handgefertigte Sondermodelle darf man bei der knallharten Preispolitik des Trophäenmarkts nicht erwarten. «Früher kam alles aus Italien, heute aus China. In Italien mussten 70 Prozent der Erzeuger zusperren.»

Massenware aus China

Ich bin etwas ernüchtert. Aber es wird doch auch wertvolle Pokale geben, die aus besonderen Materialien gemacht sind oder ein aufwendiges Design zeigen? «Nein! Ich hatte überhaupt noch nie einen in der Hand, der «echt» war.» Zumindest der Meisterteller der Bundesliga sollte doch eine wertvolle Preziose sein, werfe ich ein. «Was wollen Sie? Nicht einmal die olympischen Medaillen sind aus Gold!» Janecka Senior hat in seinem Leben zu viele Allerweltspokale verkauft, um in dem Thema auch nur einen Funken von Bedeutung zu entdecken. Vermutlich wecken komplizierte Taschenuhren oder kostbar gearbeitete Schmuckstücke mehr Emotionen bei dem soignierten Juwelier. «Pokale unterscheiden sich letztlich eigentlich nur durch ihre Größe und ein bisschen vom Outfit.» Welche Art ihm persönlich am besten gefalle? «Da habe ich keine Vorlieben. Der verkaufte Pokal ist der beste Pokal.»

Auch die Angewohnheit bei diversen Turnieren, jedem Teilnehmer einen großen Kelch zu überreichen, ist Herrn Janecka bekannt. «Die Veranstalter wollen wenige auslassen.» Daraus zu trinken – noch dazu alkoholische Getränke – kann der Seniorchef überhaupt nicht empfehlen. «Nein! Das Innere ist nicht geeignet. Der Lack, mit dem das ausgestaltet ist, ist alles andere als lebensmittelecht. Außerdem wird es bei der Stelle, an der der Pokal mit dem Gestänge verschraubt ist, zu tropfen beginnen. Das müsste man vorher abdichten, um sicherzugehen.» Sagt Herr Janecka. Aber der will auch Pokale verkaufen, und keine Bargetränke oder Türstopper.