Gemeindewohnlage Am Schöpfwerk: Auch aus Tratsch wird Widerstand
Dass Roland Düringer nicht weniger als acht Rollen spielt – nämlich Opa Neugebauer, einen Drogeriemarktkunden, einen Briefträger, einen Nachbarsburschen, einen Pfarrer, einen Nachbarn mittleren Alters, eine ältere Nachbarsfrau und einen Radfahrer – ist die genialste Personalidee im Harald Sicheritz-Film «Muttertag». Das finden auch die Bewohner_innen der Wiener städtischen Wohnhausanlage, in die Sicheritz seine Erzählung gesetzt hat. Die schlechteste Idee aber sei, dass der Film in ihrer Siedlung spiele. Das verstärke die bestehenden Ressentiments gegenüber der städtischen Wohnanlage «Am Schöpfwerk» im 12. Bezirk.Ressentiments und schablonenhafte Schnellurteile über die 1980 fertig gestellte neue Wohnanlage, in der heute mehr als 5000 Menschen leben, gibt es tatsächlich. Das festzustellen, läuft auf eine Gleichgültigkeit gegenüber der Entwicklungsrichtung hinaus. Nicht, dass es viele Anzeigen wegen «Vandalismus» gibt, ist eine relevante qualitative Aussage, sondern dass es heute innerhalb der Meidlinger Wohnanlage «Am Schöpfwerk» bedeutend weniger Anzeigen gibt als vor 20 Jahren. «Das erklärt, warum wir von Polizisten unter vorgehaltener Hand erfahren, dass das Schöpfwerk als sehr angenehmes Einsatzrevier gilt», sagt Wolfgang Starzinger, einer der fünf Sozialarbeiter_innen der «bassena», dem abgerundeten und in Wien in seiner Bürger_innen-Vernetzungskompetenz unübertroffenen Stadtteilzentrum.
An dieser Stelle ein kleiner Exkurs über die Wissensmaschine und das Maß an Vertrauen, das sie verdient. Wikipedia informiert wie folgt über die Wohnanlage «Am Schöpfwerk»: Sie gelte heute «im Gegensatz zur nahe gelegenen und 5 Jahre später vollendeten Anlage Wohnpark Alt-Erlaa als Negativbeispiel für die Wiener Stadtentwicklung der 70er und 80er Jahre. Einige Aufsehen erregende Verbrechen brachten der Siedlung negative Schlagzeilen ein. Das durch einige Medien transportierte Bild eines Ghettos mit erhöhter Kriminalitätsrate und in Wien kaum vorhandenem Bandenunwesen lässt sich durch Kriminalstatistiken nicht belegen. Vandalismus, Generationenkonflikte, Spannungen zwischen Zuwanderern und Einheimischen, eine erhöhte Arbeitslosenrate sowie Abhängigkeit vieler Bewohner von staatlicher Unterstützung komplettieren das negative Image der Siedlung. Der Film «Muttertag» von Harald Sicheritz aus dem Jahr 1992, der in der Wohnsiedlung spielt, transportierte gleichfalls den schlechten Ruf der Anlage.»
Nicht, dass es Konflikte gibt, ist hier falsch, sondern dass die «Stadt in der Stadt» auch heute noch als «Negativbeispiel für die Stadtentwicklung» gilt, ist falsch. Sehr falsch sogar, denn die Intensität, in der hier – von der «bassena» ausgehend – Bewohner_innen begonnen haben, ihre eigenen Angelegenheiten nicht den bürokratischen Strukturen von «Wiener Wohnen» zu überlassen, sondern sich in den verschiedensten Arbeitsgruppen selbst zu organisieren, hat das Klima in der Siedlung spürbar verbessert. Wenn es nicht so wäre, müsste der Ansturm von Gemeinwesenarbeitenden aus dem In- und Ausland, die sich hier Ezzes holen, oder die Inflation von studentischen Arbeiten über das Partizipationsmodell Schöpfwerk etwas seltsam erscheinen.
Auf «Dorfplatz» wurde «Sicherheitszaun» errichtet
Einer der spannendsten Zusammenschlüsse der jüngsten Zeit ist die «Dorfplatzgruppe», erzählt uns Tamara Strobl, die als Trafikantin vom Schöpfwerk eine Art Reservoir des gesammelten Tratsches ist und die Lust bewahrt hat, jene Informationen herauszufiltern, die sich als Ansatzpunkte für Bürger_innenwiderstand eignen. Mit dieser Rolle sei sie zu einer Art Außenstelle der «bassena» geworden, schmunzelt sie. Dass die Schule, die am zentralen Platz der Siedlung liegt (von den Bewohner_innen «Dorfplatz» genannt), einen «Sicherheitszaun» errichtete, durch den der Bewohner_innenschaft ein Teil des öffentlichen Raums überfallsartig gestohlen wurde, war der Anlass zur Gründung der Arbeitsgruppe. Mit der angeblich fehlenden Sicherheit für die Schüler_innen hatte die Schuldirektorin diesen Zaun legitimiert. «Es gibt Brandanschläge, Scherben, Spritzen, Kampfhunde», befriedigte die Direktorin die Sensationslust der Boulevardmedien. «Die Schulwände sind als Pissoir verwendet worden.» Der Zaun solle endlich Abhilfe schaffen.
«Wir haben noch nie Kampfhunde gesehen, und ich habe noch nie Angst gehabt, wenn ich um zwei Uhr früh durchs Schöpfwerk gehe», konterte eine Lehrerin, die in der «Dorfplatzgruppe» aktiv wurde. Ein Brief an den Bürgermeister war die erste Reaktion. Der Zaun steht heute noch und trennt den «Dorfplatz» in zwei Teile. In anderen Angelegenheiten erwies sich der Bewohner_innenwiderstand als erfolgreicher. Als «Wiener Wohnen» der grassierenden Unsicherheitsphobie mit einem System der Videoüberwachung des Schöpfwerkes begegnen wollte, wurden die Siedlungsverwalter von einer Kritik von unten überrascht: Videoüberwachung sei teuer und uneffektiv. Die Bürokratie nahm den Widerstand wahr und blies das Kontrollvorhaben ab. Und als die Schöpfwerker_innen vernahmen, dass die Post geschlossen werden sollte, zitierten sie Manager dieser Institution und Politiker_innen in ihre Siedlung. Teilerfolg: Die Post erklärte sich bereit, mit einem Privatunternehmer zu kooperieren, der die Postdienste weiterhin anbietet. Weitere Anliegen der aktiven Schöpfwerker_innen: die Rasenflächen in den Höfen sollen für Gemeinschaftsgarten-Experimente freigegeben werden. Und ein Mitspracherecht der Bevölkerung, was sinnvolle Zwischennutzungen der bereits fünf leerstehenden Geschäftslokale der Wohnanlage betrifft, wäre angebracht!
Augustin-Tipp: Am sinnlichsten ist dieses neue Niveau der Mitverantwortung der Bewohner_innen für Außenstehende wohl am Schöpfwerkfest zu erfahren. Es findet am 14. Juni statt – und der Zaun am «Dorfplatz» soll zu diesem Zweck geöffnet werden. www.bassena.at