Zwangsgrundzusammenlegungen – und doch kein Bauernaufstand?
Es kocht in Johann Kargl. «Da kann man nur Anarchist werden», meint er empört und weiß vermutlich, dass er damit bei seinen Gesprächspartnern vom Augustin offene Türen einrennt. Die Niederösterreichische Agrarbezirksbehörde, die die gewachsene Kleinräumigkeit der Waldviertler Kulturlandschaft nicht als Gnade und Chance, sondern als verwertungswidrige Altlast begreift, drängt ihn und die anderen Bauern und Bäuerinnen des Waldviertler Dorfes Großglobnitz (Gemeinde Zwettl) zu Grundzusammenlegungen. Der einzige Biobauernhof im Dorf, ein Direktvermarkter von Biogemüse, ist dadurch in seiner Existenz gefährdet. Robert Sommer (Text) und Mehmet Emir (Fotos) haben die rebellische Familie Kargl besucht.Den Bäuerinnen und Bauern aus Großglobnitz steht eine Grundzusammenlegung, auch Kommassierung genannt, bevor. Dabei wird es zum Tausch von Feldern kommen, denn das Ziel der Kommassierung ist, den zersplitterten Grundbesitz der einzelnen Betriebe neu einzuteilen. Das Resultat – größere, zusammenhängende Äcker – klingt aus betriebswirtschaftlicher Perspektive sinnvoll, hat für den einzigen Biobetrieb von Großglobnitz jedoch katastrophale Folgen. Seine siebzehn Felder liegen verstreut in der Landschaft; die durch Jahrhunderte gewachsene Landschaftsstruktur stört die Kargls nicht. Für jede der vierzig Gemüsesorten, die Familie Kargl via «Gemüsekistl» an Kund_innen liefert, können so die geeignetsten Lagen gefunden werden. Als regionale Avantgardist_innen der ökologischen Landwirtschaft haben die Kargls drei Jahrzehnte Zeit gehabt, ihre Erde gründlich zu entgiften; die so entstandenen Qualitätsfelder sollen nun gegen die chemisch behandelten Flächen konventionell wirtschaftender Betriebe getauscht werden. Die betroffene Familie pocht auf ihr Privateigentumsrecht in Bezug auf ihre siebzehn Felder. Die Kommassierung empfindet sie als Anschlag auf das sonst so hochgelobte Eigentümerrecht, kurz: als kaltschnäuzige Enteignung.
Eine Anklage, die durch den Umstand, dass mehr als die Hälfte der bäuerlichen Betriebe der Grundzusammenlegung schriftlich zugestimmt hat, nicht relativiert werden kann. Denn es haben nicht freie, unabhängige Bauern unterschrieben. Viele von ihnen sind ja verschuldet, ihre Äcker gehören zum Teil der Bank. «Viele haben unterschrieben, weil sie fürchten, andernfalls mit den schlechtesten Gründen abgespeist zu werden», mutmaßt Maria Kargl, nach Auskunft ihres Ehemanns das eigentliche kämpferische Zentrum der Familie.
Jungbäuerin Lisa, die sich einschlägig fortbildet und den Betrieb übernehmen wird, komplettiert das rebellische Trio, dessen Engagement inzwischen auch von Regional- und Mainstream-Medien positiv registriert wird. Lisa gehört der Internet-Generation an und trägt das Ihre dazu bei, dass zumindest online die Solidaritätswelle anrollt. Die Resonanz ist leidenschaftlich kommassierungsfeindlich. Zumal das Zusammenlegungsrecht (offiziell Flurgestaltungsgesetz) sich als blind gegenüber den Unterschieden zwischen ökologischen und kontaminierten Feldern herausstellt. Obwohl es eigentlich eine Bewertung der betroffenen Felder bzw. einen Bonitätsvergleich vorsieht.
Als Vorbilder in ihrem Kampf betrachtet das Trio den Schremser Schuhfabrikanten Heini Staudinger, der zu Befreiungsschlägen gegen die Banken aufruft und immer mehr zur Galionsfigur der «Empörten» wird, und den «freien Erdbewohner» Johannes Kreißl, der in seinem Manifest das Recht beansprucht, «nicht gegen meinen Willen oder gar mein Wissen sowie weder durch Drohung oder Zwang in Verträge oder Vereinbarungen genötigt oder getäuscht zu werden», und seine Weigerung ausdrückt, «verwaltet oder regiert zu werden».
Während die Gäste vom fernen, aber in Großglobnitz nicht unbekannten Augustin in der behaglichen Küche des Biohofes mit Fleischlaberln und Erdäpfelpüree «angefüttert» werden, blättert Johann Kargl im wunderbar illustrierten Buch «Unbeachtetes Waldviertel – Das Streifen- und Terrassenland» und weist auf einen Vorschlag des Autors, des Waldviertler Ex-AHS-Lehrers Ernst Wandaller hin: Statt «krampfhaft Betriebsvergrößerungen zu schaffen, um gegen die Billigprodukte aus Tausendhektarbetrieben und Agrarfabriken anzutreten», sollte man die in tausend Jahren gewachsene Kulturlandschaft retten und den Bäuerinnen und Bauern eine faire Abgeltung für ihre Landschaftspflege geben.
Amt will «Parallelität der Grundstücke»
Das offizielle «Njet» der NÖ Agrarbezirksbehörde vom 2. Jänner 2015 zum Einspruch der Familie Kargl kann als Versuch interpretiert werden, unter den Landwirt_innen die trügerische Hoffnung aufkommen zu lassen, das Waldviertler Bauernsterben sei durch größere Ackerflächen und mit dem Einsatz größerer Maschinen zu stoppen: «Die Bewirtschaftungskomplexe sind für den Einsatz zeitgemäßer Maschinen und Arbeitstechniken zu klein, die Grundstücke ungünstig geformt, teilweise sind Grundstücke nicht durch öffentliche Wege erschlossen. Die Vielzahl der kleinen Parzellen erfordert einen erheblichen Mehraufwand an Maschinen- und Arbeitskraftstunden. Durch die Spitzformen, die schrägen Anschnitte und die fehlende Parallelität der Grundstücke kommt es bei der Bewirtschaftung zu Überlappungen mit allen ihren negativen Auswirkungen. Die Längen- und Breitenverhältnisse sind generell sehr ungünstig, weil sie nicht mehr den Anforderungen der modernen Maschinentechnik entsprechen. Zusammenfassend: Das vorgesehene Verfahrensgebiet ist als dringend zusammenlegungsbedürftig einzustufen. Durch das Agrarverfahren werden leistungsfähigere und ertragssicherere landwirtschaftliche Betriebe geschaffen.» Nicht die Technik an die Natur, sondern die Natur an die Technik anzupassen, scheint das Credo der Behörde zu sein.
Was die Agrarbürokrat_innen in ihrer technokratischen Verwirrung «ungünstige Form» nennen, ist jene verlockende Landschaft, ohne die der Waldvierteltourismus kaum Wachstumschancen hätte. Dass «inkompetente Apparatschiks» ihre Privilegien behalten, leuchtet Johann Kargl nicht ein. Die sollten so viel verdienen wie Bauern, meint er. Auch das sei angewandter Anarchismus. Dem Anarchismus gehe es mehr um Machtverhältnisse, doziert der Interviewer vom Augustin; niemanden über mir und niemanden unter mir zu akzeptieren, sei sein wichtigstes Credo. «Schön, dass ihr so viel von der biologischen Landwirtschaft versteht», ist das Kompliment, das uns der Biobauer für die Rückfahrt nach Wien mitgibt.
Info:
Online-Petition «Rettet Kargls Bio-Gemüsekistl:
https://avaaz.org/de/petition/Niederoesterreichische_Agrarbezirksbehoerde_Rettet_Kargls_BioGemuesekistl
Website des Betriebs:
http://biohof-kargl.at