2. Akt: Così fan tutteArtistin

Diese Stadt ist anders eine Häuslbauerfarce

Der Leserin, dem Leser der Häuslbauerfarce «Diese Stadt ist anders» wird rasch klar, dass das kein Märchen sein kann, was da vor ihnen liegt als erste Folge einer mehrteiligen Augustin-Serie. Der erste Akt erschien in Ausgabe Nr. 323. Autor_innen des Textes sind Rita Monaldi und Francesco Sorti, ein international bekanntes Schriftstellerpaar, das Wien nach Rom zum zweiten Lebensmittelpunkt erkoren hat. Es ist nicht immer eine gute Idee, sich in Wien alias Anderswo festzusetzen. Mister X, ein Beamter der Baubehörde von Anderswo, bietet an, gegen Bezahlung von 5000 Euro die Behördenwege zu «erleichtern». Die zwei Autoren lehnen das Angebot ab. Ab diesem Zeitpunkt werden die normalen Schwierigkeiten beim Hausbau zu einem tragikomischen Kasperltheater: Das böse Krokodil spielt die Baubehörde samt den allmächtigen Wohnbaustadtrat Ludwig van Beton Personen des 2. Aktes:

Ludwig van Beton: Bürgermeister-Prätendent und mächtiger Chef der Baubehörde. Korpulent, ungepflegter Bart, zu weites Jackett. Hat eine Maurerkelle und eine Spitzhacke auf seinem Tisch liegen. Autoritäres Auftreten (siehe Illustration).

Mag. Mag. Dr. Dr. Bautrick Obertechniker der Baubehörde. Jackett, Krawatte, Brille, priesterliches Aussehen, erschrockener Gesichtsausdruck, kalte Schweißhände.

Dipl. Ing. Gangsta, Dipl. Ing. Roiba, Dipl. Ing. Schummel Techniker der Baubehörde. Schwarze Mäntel und schwarze Hüte, Sonnenbrillen, hochgeschlagene Kragen. Gehen verstohlen, blicken fortwährend hinter sich.

Die beiden Autor_innen. Blass und erschöpft, sitzen den ganzen Tag an Schreibtischen voller Bücher, er mit einem Kneifer auf der Nase, sie mit den beiden Kindern an ihrer Seite.

Vorbemerkung: Für alle angeführten Menschen, Tiere oder Geister gilt die Unschuldsvermutung!

Das Angebot war verlockend: Fünftausend Euro Schmiergeld für Mister X, und alles käme in Ordnung. Mister X ist ein Beamter des Bauamts.

Ein Journalist, der einen Artikel über unsere Erfahrungen geschrieben hat, wurde am Tag nach dem Erscheinen des Artikels mit Anrufen von Lesern bombardiert («Alle fünf Minuten einer!», hat er gesagt), die Opfer der gleichen Situation geworden waren wie wir. Vielleicht denkt ihr ja auch: Was für Dummköpfe, diese Monaldi & Sorti! Wissen die denn nicht, wie die Dinge hier in Anderswo laufen?

Aber so ist es, liebe Leser_innen. Bevor wir Marsmenschen aus Italien uns ein Haus in Anderswo gebaut haben, hatten wir nicht die leiseste Ahnung, wie bestimmte Geschäfte hier bei euch laufen. Wir fühlten uns wie zwei schmutzige Welsche aus dem korrupten Italien Berlusconis, als wir im nordischen, makellosen Anderswo ankamen. Darum haben wir beschlossen, nicht zu zahlen. Und nicht nur aus Ehrlichkeit. Wenn wir schon Bestechungsgelder zahlen müssen, haben wir gedacht, dann bauen wir uns doch lieber ein Haus in Sizilien, wo wenigstens die Sonne scheint und die Leute gute Laune haben, und man vor allem von Anfang an weiß, dass ein Schmiergeld an die Mafia bezahlt werden muss. Stattdessen sind wir hierhergekommen und ertragen den Regen, den Wind und den Schnee im kalten Anderswo, gerade weil wir von Korruption nichts wissen wollten. Davon hatten wir schon in unserer Heimat gesehen.

Was ist dann passiert? Ganz einfach. Die Techniker des Bauamts, Gangsta, Roiba und Schummel, haben uns unter einem Berg von Abbruchbescheiden begraben. Das Haus betreffend. Die Pergola im Garten betreffend. Die Gerätehütte im Garten betreffend. Die Stützmauer im Garten. Die Einfriedungsmauer westseitig, die ostseitige und sogar die südseitige und nordseitige. Sogar die Schilfrohrmatten der Einfriedung. Die Stadtverwaltung von Anderswo wollte unser Haus und auch das ganze Grundstück praktisch zerbomben.

Zwei Marsmenschen aus Italien verhalten sich unvermutet quer

Wer kommandiert im Bauamt. Was sagt Dr. Bautrick dazu, der Obertechniker des Bauamts? Er weiß nichts von dieser Geschichte? Natürlich kennt er sie, sehr gut sogar! Das Problem ist, dass Mr. X und seine Kollegen Gangsta, Roiba und Schummel, unsere Verfolger, sehr viel wichtiger sind als Bautrick. Grund Nummer eins: der Wesensunterschied. Mister X hat den Mut gehabt, Schmiergeld zu fordern. Bautrick dagegen könnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Ihr müsstet ihn einmal sehen! In seinen Augen sitzt ständig die nackte Angst, überall sucht er nach einem Schatten, der seine Karriere gefährden könnte. Wenn wir ihn für eine Romanfigur verwenden wollten, würden wir ihm, sagen wir, die Rolle eines Buchhalters der Mafia geben. Nun werdet ihr sagen: Was macht denn der politische Verantwortliche für das Bauamt, der Wohnbaustadtrat Ludwig van Beton? Er bezieht keine Stellung? Im Gegenteil! Sein Herz schlägt für alle wie Gangsta, Roiba und Schummel.

Wollt ihr wissen, warum die Dinge heute so laufen? Die Gangsta, die Roiba, die Schummel und die Mr. X sind einfache Soldaten oder höchstens kleine Obergefreite, aber sie sind viele. Sie haben eine sehr tüchtige Gewerkschaft. Sie bringen Stimmen für ihre Partei Tomaten Rein!. Sie haben Beziehungen zu den Bauunternehmern. In jedem Bezirk von Anderswo sitzen immer drei oder vier von ihnen und entscheiden über alles, darum kontrolliert jeder von ihnen sehr viele Baustellen, einschließlich der Baustellen von Wolkenkratzern, Brücken, Tunneln, Autobahnen und U-Bahn-Linien. Sogar bei den Fragen des Brandschutzes sind es die Beamten des Bauamts, die das letzte Wort haben, nicht die Feuerwehr. Alle zusammen sind sie eine Macht. Sie wissen sich bei Politikern wie Ludwig van Beton Gehör zu verschaffen. Und dieser dreht sich weg, wenn bei seinen Untergebenen irgendeine unschöne Situation auftaucht. Außerdem gibt er Bautrick höflich zu verstehen, dass er sich wohl verhalten sollte, wenn ihm sein Posten lieb ist. Und so erklären Bautrick und Ludwig van Beton den Zeitungen, dass im Bauamt alles bestens läuft, die Zeitungen schreiben, Mister X kassiert seine 5000 Euro von den Bauherren und alles geht seinen friedlichen Gang. Wenn da nicht die verrückte Variable auftauchen würde: zwei Marsmenschen aus Italien, die sich dem System widersetzen und alles zur Anzeige bringen. Was passiert? Gegen Mister X und Genoss_innen wird derzeit vom Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) ermittelt. Die Anklagepunkte lauten Bestechung, Fälschung, Amtsmissbrauch usw. usf. Wir werden sehen, wie es ausgeht.

Kostenpflichtige Anzeigen. Ach ja, wir hatten versprochen, auf das Thema der Zeitungen und ihrer Zerstreutheit in Sachen Bestechung zurückzukommen. Nun, das Problem ist, dass Ludwig van Beton sie mit Geld überschüttet. O bitte sehr, das ist alles legal! Das Büro von Ludwig van Beton verfügt nämlich über ein riesiges Budget (mehrere Millionen Euro jährlich), um seine Aktivitäten publik zu machen. Und es handelt sich um ungeheuer wichtige Aktivitäten: Zum Beispiel koordiniert Ludwig van Beton gigantische Bauvorhaben und verwaltet die berüchtigten Gemeindewohnungen.

Der Nachfolger

Nun, jemand, der sich so viel Mühe gibt, muss doch die Ergebnisse seiner Bemühungen auch bekanntmachen, meint ihr nicht? Wir haben davon im Badezimmer erfahren. Man setzt sich aufs Klo und schlägt die Zeitung auf. Seite 3: ein Foto des lächelnden, breiten Gesichts von Ludwig van Beton, der mit einem gelben Helm auf dem Kopf eine Baustelle eröffnet. Seite 7: ein Foto von Ludwig van Beton, der einer alten Frau, Mieterin einer Gemeindewohnung, zärtlich die Hand drückt. Seite 11: ein großes Foto von Ludwig van Beton, der mit einigen Aktivisten von Tomaten Rein! über Stadtplanung diskutiert. Und so weiter. Jeden Tag. Die Bürger von Anderswo werden tagtäglich mit Fotos von Ludwig van Beton verfolgt, überschüttet und darunter begraben. Anfangs glaubten wir, er hätte fünf und sechs Klone, in irgendeinem geheimen Labor im Rathaus gezüchtet, die durch Anderswo laufen und sich an seiner Stelle fotografieren lassen.

Doch bei dieser wahren Werbeorgie, dieser Propagandabulimie, macht der unermüdliche Wohnbaustadtrat auch ein paar kleine Fehler. Ein Beispiel? Wir wollten in unserem Garten eine Stützmauer bauen. Ein sympathischer türkischer Maurer bietet sich an, übernimmt den Auftrag und fängt mit seinen Männern an zu arbeiten. Dann entdecken wir, dass er keine ordnungsgemäße Firma hat, und bitten ihn, zu gehen. Einige Wochen später fällt unser Blick auf eine Zeitung mit dem üblichen Foto von Ludwig van Beton, der hochzufrieden einen neuen Gebäudekomplex einweiht. Neben ihm stehen die Handwerker. Ratet mal, wer das ist! Unser ehemaliger türkischer Maurer mit seiner ganzen Mannschaft! Ein Meisterstreich unseres Wohnbaustadtrats, der seit kurzem eine bedrohliche «Aktion scharf» gegen Schwarzarbeit und regelwidrige Baustellen fördert. Wir haben das Foto sofort eingerahmt und im Wohnzimmer aufgehängt, in Erwartung des Tages, an dem Ludwig van Beton zum Bürgermeister gekrönt wird.

Bürgermeister-Prätendent. O ja, denn nichts wünscht sich der unermüdliche Wohnbaustadtrat sehnlicher, als über das ganze Rathaus zu regieren. Wäre er gläubig, würde er auf den Hintern hüpfend bis nach Jerusalem pilgern, nur um dieser Gnade teilhaftig zu werden. Andererseits hat er alle Voraussetzungen, um es zu schaffen und auf diese Weise Nachfolger von Harry Grammelsucht zu werden. Freunde in Anderswo haben uns erklärt, dass die Gemeindewohnungen das größte Wählerreservoir der Stadt, ja, der ganzen Republik darstellen. Nicht umsonst möchte unser Mann jetzt immer kleinere und erstickend enge Gemeindewohnungen bauen, um noch mehr Leute, das heißt Wähler dort hineinzustopfen.

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