20 Jahre Augustin – Jahrgang 1998: feministische Spuren auf den Wänden der Stadtvorstadt

Kyselaks Töchter

Im Oktober 1998 schrieb Kollege Sommer über das gesprühte Wort als «zusätzliche Erzählung zum Lesen der Stadt». Graffiti-Forscher Thomas Northoff war gerade dabei, ein Wort-Graffiti-Symposium zu veranstalten; allein, es fehlten ihm die Praktikerinnen. Northoff blieb dem Augustin all die Jahre gewogen. Was die Sprayerinnen betrifft, zeichnet sich in der Zeitung aber eine eigentümliche Engführung auf ihre männlichen Pendants ab. Um dem eine Portion gesprühten Feminismus entgegenzusetzen, hat Lisa Bolyos das «Feministische Street Art Kollektiv» getroffen und sich in der Stadt auf die Suche nach guten Sprüchen gemacht.

Fotos: Lisa Bolyos

Wien ist nicht gerade berühmt für seine buntbemalten Straßenzüge. «Tote Hose an den Wänden» konstatierte Thomas Northoff im Augustin Nr. 34, und führte diese nüchterne Wahrheit auf fehlende soziale Bewegungen zurück. Robert Sommer schrieb dazu: «Selbst die gute Zeit der starken Frauensprüche («Vergewaltiger, wir kriegen euch!» oder «Hier patrouillieren die Frauen») liegt nun schon einige Jahre zurück.»

Wie sehen die Hauswände siebzehn Jahre später aus? Nach einem Aufruf auf feministischen E-Mail-Verteilern landet ein ansehnlicher Haufen an Street-Art-Beispielen in der Inbox der Redaktion (vielen Dank an alle Einsender_innen!). Den Hinweisen folgend radle ich durch die Stadt – Josefstadt, Rudolfsheim Fünfhaus, Margareten, Floridsdorf – Kyselaks Töchter sind überall!

«Fight sexists!», «8. 3., Internationaler Frauenkampftag», «Riot! Grrrrlz». Für solche Sprüche zeichnen Sprayerinnen wie die vom Feministischen Street Art Kollektiv verantwortlich – zumindest vermitteln sie die Skills, um mit Spraydosen Politik zu machen.

Das Feministische Street Art Kollektiv wurde erst im vergangenen Sommer gegründet. Rund zehn Personen sind Teil dieser offenen Gruppe, die sich dem Lernen und dem Empowerment verschreibt. In Workshops werden verschiedene Techniken – Stencils, Paste-ups, Stylewriting – ausprobiert, auf (legalen!) Wänden wird gemeinsam gesprüht. «Zum illegal Sprühen gehört schon einiges dazu, die Repression ist massiv, und eine ganze Wand dauert ihre Zeit», sagt eine der Aktivistinnen. Taggen, also «möglichst oft dieselbe Buchstabenkombination sprühen», sei nicht ihre Sache, meint eine andere. Aber es wäre doch, repräsentativ gesprochen, gar nicht so übel, dem tausendfach gesprühten «Puber» in Wien ein feministisches «Buba» (Name einer Wiener Sprayerin) entgegenzusetzen? «Mir ist die politische Message wichtig. Und zwar eine, die man auch ohne Universitätsstudium versteht.» Warum Wien nach wie vor so viele unverzierte Wände hat? Das liege an der lokalspezifischen Protestkultur: «An einem Ort gehen die Leute mehr auf die Straße, am anderen wird halt mehr gesudert.»

www.facebook.com/FemStreetArt

Weitere Infos zu 1998

1998 war das Jahr, in dem Radio Orange zu senden begann. Dieter Schrage versuchte mit dem «Museum für den Augustin», moderne Kunst auch Normalsterblichen zugänglich zu machen, und mit der Serie «Nimm Platz» beschloss der Augustin, seinen Blick fürderhin auf den öffentlichen Raum zu richten, Motto: «Der öffentliche Raum gehört dir, erobere ihn!» Zum Thema «gehört dir» passen vortrefflich auch die Wiener Linien: Exemplarisch für die vielen Diskussionen rund um den öffentlichen Nahverkehr sei ein Leserinnenbrief von Magdaléna Schabel (Dezember ’98) zitiert: «Nach meiner Meinung sollen die Obdachlosen gratis fahren dürfen! Wer kein Geld hat, kann nicht noch zahlen. Köszönöm!» Auch siebzehn Jahre später sind wir ganz Frau Schabels Meinung. Im Februar 1998 wurde übrigens auch die kurze Tradition des Opferballs begründet – «Gute Laune ohne Samt und Seide», schrieb damals der «Kurier». Groß feiern werden wir auch im heurigen Jahr – im Herbst, wenn die Badesaison (unvorstellbar!) schon wieder vorbei ist, laden wir zum 20-Jahres-Fest: Wo und wann Sie genau anzutanzen haben, lassen wir Sie in Bälde wissen!


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