Hinter Reli, wie sie hausintern genannt wird, verbirgt sich keine Religionslehrerin. Es handelt sich vielmehr (und viel besser!) um Aurelia Wusch, die Frau hinter RADIO AUGUSTIN. Nach dem allmählichen Fade-out vertschüsst sie sich am 1. Februar in den sogenannten Ruhestand.
TEXT: ANDREAS FELLINGER
FOTO: MARIO LANG
Aurelia Wusch als Rentnerin – das kann sich, wer sie jemals kennenlernen durfte, gar nicht gut vorstellen. Aber es hilft ja nix. Nach mehr als 22 Jahren muss ja einmal Schluss sein mit Radiomachen. Obwohl: Ganz aufzuhören behagt ihr eh nicht so recht. «Zuerst lagere ich einmal die Beine hoch», erzählt sie im AUGUSTIN-Gespräch, «aber dann möchte ich schon hin und wieder eine Sendung gestalten.»
Die große Leidenschaft fürs Radio entflammte bei der gebürtigen Vorarlbergerin im zarten Alter von 10 Jahren. «Damals habe ich ein Kofferradio geschenkt gekriegt», erinnert sie sich, «samt Kopfhörer, der aus einem Stöpsel für ein Ohr bestand.» Zu jeder freien Stunde, «auch nachts unter der Tuchent», habe sie Radio gehört. «Informationssendungen, Musik, Walter Richard Langer: die Stimme!» 20 Jahre lang jeden Samstagvormittag von 10 bis 11 Uhr erklang auf Ö3 dessen Jazz-und-Umgebung-Sendung Vokal – Instrumental – International und hat eine ganze Generation von Musikfans geprägt.
Erst seitdem sie selber am Mikrofon und an den Reglern saß, verschwand das Interesse an anderen Radiosendungen sukzessive. «Damit fange ich sicher wieder an, sobald ich etwas Abstand gewonnen hab», sagt sie. «Die hunderten Tipps», die sie seit Wochen für ihr künftiges Dasein als Rentnerin lukriert habe, gehen ihr ebenfalls beim einen Ohr hinein und beim anderen wieder hinaus. Aber die Wiedergewinnung der Konzentration auf akustische Beiträge steht ganz weit oben auf ihrer Wunschliste. Im Gegensatz zu visuellen Absonderungen, die sie ob der ihnen innewohnenden Aufgeregtheit überhaupt nicht schätzt. «Deswegen wollte ich ja auch von Anfang an kein Foto von mir in der Zeitung haben», sagt sie angesichts dieses Porträts. Weil sie eben die Gelassenheit des akustischen Mediums um so viel höher bewerte als das Fernsehen und andere Bildmedien. Durch das Radio werde das Vorstellungsvermögen gestärkt, findet sie, durch das Fernsehen werde es geschwächt.
Die gelernte Kindergärtnerin belegt nach einer Studienberechtigungsprüfung die Fächer Philosophie und Theaterwissenschaft. Beides ohne Abschluss. «Aber ich hab lange studiert und dabei viel gelernt und alles aufgesogen wie ein Schwamm», bilanziert sie diese Zeit. Danach begibt sie sich auf die Suche nach neuen Herausforderungen – und landet in der VHS Stöbergasse in einem Radiojournalismus-Kurs. Dort erlernt sie im wahrsten Sinn ihr Handwerk an einem alten Revox-Tonbandgerät. Aufnehmen, schneiden, fertigstellen – alles handgemacht.
«Danach hat sich alles wie von selbst ergeben.» Lauter Glücksfälle seien ihr passiert: vom Gemeindebau-Radio am Schöpfwerk über den Mittelwellensender im ORF bis zum Kennenlernen von Robert Sommer und was daraus resultierte. Sommer hatte sich dafür stark gemacht, dass der Augustin von Beginn an bei Radio Orange vertreten ist, für das kurz davor eine Radiofrequenz (94,0) vergeben wurde. Nach einer Nullnummer, die im benachbarten Aktionsradius präsentiert wurde, ging Radio Augustin im August ’98 erstmals auf Sendung. «Das war eine Livesendung mit Verkäufern und Verkäuferinnen.» Zu ihnen und zum Zeitungsteam schloss sie bei der Weihnachtsfeier ’97 ihren «ersten Kontakt zum Augustin-Kosmos». Dann ging’s richtig los, ein Programmschema wurde für zwei Stunden pro Woche entwickelt: eine Stunde Magazin, eine Stunde live. Alles zusammen mit Christina Steinle, bis die 2005 das frisch gegründete Augustin TV übernahm. Seither arbeitet Aurelia Wusch in Eigenregie als Gestalterin, Moderatorin und Aufnahmeleiterin in Personalunion.
Integraler Bestandteil ihres Radioprogramms wurde bald und blieb bis zum heutigen Tag die Radiowerkstatt – offen für alle Verkäufer_innen, die Lust am Schreiben und am Vorlesen des Geschriebenen empfanden. Zwei davon, «die Heidi und der Engelbert, der womöglich lieber Angelo genannt wird», nahmen über die vielen Jahre immer daran teil. Eine andere permanente Zusammenarbeit kultivierte Aurelia mit dem Hausfotografen und Musikschreiber Mario Lang. Seine aufg’legt-Rubrik erschien zuerst in der Zeitung und seit Mitte 2005 auch im Radio. Uneins sind sich beide heute darüber, ob in ihrer ersten gemeinsamen Sendung Wilfried live im Studio war oder ob es sich um eine Sendung über Rio Reiser handelte. Als eines von mehreren Highlights des eingeschworenen Teams, das sich seit ein paar Jahren ein Büro miteinander teilt, nennen beide «die Geschichte des DDR-Punk samt Exkursion nach Ostberlin». In schlimmer Erinnerung ist ihr hingegen die Reise nach Klagenfurt zur Überreichung des Claus-Gatterer-Preises an den Augustin: «Zu viert in einem Auto ohne Klimaanlage am heißesten Tag des Jahres. Und dann musste ich dort noch eine Rede halten!» Der blanke Horror.
Als wesentliche Bestandteile des Sendeformats nennt Aurelia die Themen Subkultur, Politik, Wissenschaft und Feminismus. Mit Martin Schenk kam es zu einigen Sendungen über bedingungsloses Grundeinkommen, die Armutskonferenz etc. DER große Gewinn ihrer Radio-Augustin-Karriere sind für Aurelia Wusch aber «die vielen schönen Begegnungen mit interessanten Leuten, von denen ich viel erfahren und gelernt habe, inhaltlich und menschlich». Nicht zuletzt auch in Gesprächen nach der jeweiligen Sendung, für die eine nahegelegene Bar den Rahmen (engl.: frame) bot. Mit Hansi Lang, mit Aurora Hackl von Petra und der Wolf samt Unrecords-Umfeld, mit Eloui, Ernst Molden, dem Nino aus Wien, mit Natalie Ofenböck und dem Kollegium Kalksburg, um nur ein paar wenige zu nennen. Und «die Begegnungen mit vielen Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, die als weibliche role models über ihren beruflichen Werdegang Auskunft gaben». Und dann war da noch «dieser Fritz, der über die Radiowerkstatt zum Augustin kam». Fritz Babe, laut Aurelia «ein origineller Gesamtkunstwerker», der unter dem Titel Brodhastean, New York & retour «eine siestaliche runde Stunde» gestaltete und sowohl eigene als auch Texte anderer «ganz wunderbar performte».
Zweimal in 22 ½ (in Worten: zweiundzwanzigeinhalb) Jahren nahm Aurelia eine Bildungskarenz in Anspruch, in der Zeit sprangen Mario Lang und Alexandra Gruber von der Zündstoff-Sendung für sie ein. An ihre erste Auszeit hat sie keine Erinnerung mehr, an die zweite aber sehr wohl: Da unternahm sie mit ihrem Mann Autoreisen durch Europa «von Süditalien bis Nordnorwegen» unter besonderer Berücksichtigung von sämtlichen Ländern Osteuropas. Und was macht eine Radiomacherin, wenn sie gerade kein Radio macht? Sie geht radfahren, wandern und paddeln. Radiohören nicht? Nein, sagt Aurelia Wusch, «seit ich selber Radio mache, halte ich keine akustische Berieselung mehr aus und hab auch sonst fast nie das Radio aufgedreht.»
Nicht ohne dabei zu schmunzeln, erwähnt sie, dass Robert Sommers ursprünglicher Plan – nach einer gewissen Zeit sollten die Verkäufer_innen Radio Augustin übernehmen und die vorherige Verantwortliche quasi wegrationalisieren – nie in Erfüllung ging. Wie dem auch sei, jetzt sind ihre letzten Tage beim Radio gezählt. In ein Loch werde sie erwartungsgemäß dennoch nicht fallen, auch wenn sie, wie sie sagt, «kein striktes Pensionistinnenprogramm» verfolge. Im Gegenteil, der Begriff Ruhestand habe für sie nur relative Bedeutung. «Ich kann mir gut vorstellen», sagt Aurelia Wusch mit Blick in die Zukunft, «dass sich früher oder später wieder etwas Neues wie von selbst ergeben wird. Ideen dafür hab ich schon, die sind aber noch nicht spruchreif.» Glückwunsch!