3. Akt: Sonderkontingent Ludwig van BetonArtistin

Diese Stadt ist anders eine Häuslbauerfarce

Harry Grammelsucht von der «Tomaten Rein!»-Partei ist leicht als Bürgermeister Häupl identifizierbar; das Pseudonym seines Wunschnachfolgers, «Ludwig van Beton», wird ebenso wenig rätselhaft sein. Für wen Athena Schmusenreich von der «Erbsen Rauf!»-Partei steht oder Benito von Peitsche, Chef der «Ausländer Raus!»-Partei, sollte nicht extra zu erklären sein. Nicht alle Namen sind fiktiv in der mehrteiligen Farce «Diese Stadt ist anders», deren dritten Teil wir hier veröffentlichen. Kein Pseudonym ist Monaldi/Sorti. Das aus Rom stammende Buchautor_innenpaar hat sich tatsächlich in Grammelsuchts Stadt «Anderswo» ein Haus gekauft und tatsächlich hat es Korruption kennen gelernt, die es in dieser vermeintlich ziviliserten Stadt nicht vermutete. Akt 1 und 2 sind in den Ausgaben 323 und 324 nachzulesen; im folgenfen 3. Akt steht der Baustadtrat, der Bürgermeister werden will, im Mittelpunkt. Vorbemerkung der Autor_innen: Für alle angeführten Menschen, Tiere oder Geister gilt die Unschuldsvermutung!

In unserem Stadtviertel, vor einer Filiale von Spar Gourmet, neben einer Auslage voll mit Schachteln mit fetter Leberwurstpastete, baltischem Kaviar und Chardonnay aus Südafrika sitzt Danny de Vito und bettelt um Almosen. Er macht es sehr diskret, denn er weiß, dass es verboten ist. Nein, er ist offensichtlich nicht erfolgreich, der Hollywood-Star, aber ein moldawischer Bettler, der wie der Zwillingsbruder des sympathischen Schauspielers wirkt. Weil wir seinen wahren Namen nicht kennen, nennen wir ihn in der Familie «Danny».

 

Danny hat einen schönen Hund, einen kleinen, sehr lebhaften und sympathischen Mischling namens Sylvester. Sylvester hat Flöhe, auch diese sind sehr lebhaft und sympathisch. Sie sprechen alle im Chor, um sich besser zu fühlen. Sie beherrschen perfekt Deutsch, da sie Jahre zuvor eine Wohngemeinschaft auf einem Hund von Anderswo gegründet haben. Der Besitzer des Hundes, auch er ein Bettler, kam ins Gefängnis, und der Hund wurde beseitigt. Eines Tages haben wir diese Geschichte dem Bauamt erzählt, dass man das Haus abreißen musste. Danny hat gesagt: «Auch der Moldawier funktioniert so. Wenn du ein Haus erreichten willst, musst du Bestechungsgeld zahlen. In Anderswo ist das eine klare Regel. Habt ihr das nicht gewusst, bevor ihr das Haus errichtet habt?» Nein, wir wussten es nicht. Die Flöhe von Sylvester haben uns im Chor unterbrochen: «Für euch beide, Monaldi & Sorti, will die Stadt das Haus abreißen, während sie uns hingegen den Hund weggenommen hat. Daher seid ihr politisch gesehen unsere Verbündete. Wer ist der verantwortliche Politiker?»

 

«Es ist ein gewisser Ludwig van Beton», haben wir geantwortet, «amtierender Wohnbaustadtrat. Ein mächtiger Mann, der aber den Technikern des Bauamtes jegliche Freiheit lässt.» «Dann müsst ihr seine Schachzüge bespitzeln!», sagt der Chor der Flöhe. Schon, aber wie? «Darüber denken wir nach. Wir Flöhe können überallhin gelangen. Als Jugendliche haben wir auch für den KGB gearbeitet. Wo ist das Büro von Ludwig van Beton?» Im Rathaus, antworten wir. «Gut, dann lasst uns seine Fenster erkunden, und das Spiel beginnt. Es werden ihn unsere Erfahrensten und Besten von uns umzingeln.»

Wir steigen in die Straßenbahn und erreichen alle rasch das Rathaus von Anderswo, wo wir dem Sonderkontingent der Flöhe die Fenster des Megabüros von Ludwig van Beton zeigen. «Wau, wau!», bellt Sylvester und schüttelt den Rücken. Die Flöhe springen hinunter und nähern sich dem Rathaus, sie heften sich an die Wand und beginnen schließlich mit der Besteigung.

 

«Ich möchte keine Diskussionen»

Nach einigen Stunden Wartezeit, zittert Sylvester, wedelt nervös und nähert sich der Mauer unterhalb der Fenster von Ludwig van Beton. So kehrt das Sonderkontingent mit einem eleganten Sprung wieder auf den Buckel des Mischlings zurück. Die Beförderung war erfolgreich. Die Flöhe von Sylvester sind in einen Schlitz im Fenster des Wohnbaustadtrates eingedrungen, während dieser einen seiner Kollaborateure einweihte und gerade eine Reihe von wichtigen Telefonaten führte. Hier ist der Bericht.

Während er seine Angelegenheiten präsentierte, hätschelte Ludwig van Beton zärtlich die Mauerkelle und Spitzhacke, die er als Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch liegen hatte. Neben ihm saß sein Pressesprecher, Onno Werbungwahn. Ludwig fragte ihn: «Gelingt es uns nun also oder nicht, gegen Geld die 96 Seiten über Zuspät zu schreiben?» «Aber Ludwig», antwortete Werbungswahn, «du weißt genau, dass Zuspät nur 48 Seiten hat. Davon kann er keine 96 Seiten Werbung veröffentlichen, die ja alle deinen Aktivitäten gewidmet sind.» «Das kümmert mich nicht», platzte es aus dem Wohnungsstadtrat heraus, während er die Mauerkelle auf den Schreibtisch knallte. «Du weißt sehr gut, dass bald Wahlen sind. Wie viel haben wir Zuspät für diese 96 Seiten angeboten?» «200.000 Euro.» «Dann bieten wir 500.000 Euro!» «Aber Ludwig » «Ich möchte keine Diskussionen! Und vergiss nicht, dass von meiner Wahl zum Bürgermeister auch deine Zukunft abhängt, hast du verstanden, du Depp», ruft der Wohnbaustadtrat aus und klopft mit der Spitzhacke auf den Tisch.

 

«Drrrin!» Das Telefon läutet. Ludwig van Beton hebt den Hörer ab. «Welches Arschloch ist das?» Er erbleicht angesichts der Überraschung. Es ist Harry Grammelsucht, Chef von Tomaten Rein! und seit über 85 Jahrhunderten Bürgermeister von Anderswo. «Harry, bist es wirklich du? Ent-ent-schuldige, ich habe deinen Anruf um diese Zeit nicht erwartet. Wie sagst du? Nein, im Gegenteil, ich bin sehr erfreut, ich stecke nur in sehr viel Arbeit. Willst du wissen, worum es sich handelt? Na ja, ich beschäftige mich mit einer Initiative, wie soll ich sagen? Nein, nichts Kostspieliges, dem Rathaus kostet es nicht einen Cent, es ist zugunsten des Hungers der Welt, ja, genau, wegen der Hungersnot in Afrika. Was kann ich für dich tun, werter Harry?»

 

(zwiti) «Das ist nicht gut, so kurz vor den Wahlen»

Das Ohr an den Kopfhörer gepresst, scheucht Ludwig van Beton den armen Onno Werbungswahn mit einer nervösen Geste aus dem Zimmer, der schnell hinausgeht. Sobald der Wohnbaustadtrat alleine ist, ruft er: «Diese beiden Italiener, Monaldi und Sorti? Harry, ich versichere dir, dass ich nichts davon weiß. Wie bitte? Die Geschichte ist ein bisschen zu weit kursiert? Darüber haben zu viele Zeitungen geschrieben? Das Bauamt hat eine peinliche Figur abgegeben? Aber den letzten Artikel hat dieses Käseblatt für Groschenromane geschrieben, das von den Obdachlosen verkauft wird, das niemand liest Was sagst du? Und wie die Leute es lesen? Na gut, Harry, vielleicht hast du Recht. Aber ich versichere dir, dass die Techniker im Bauamt unter meiner Aufsicht von niemandem Schmiergeld verlangt haben! Was sagst du? Das glaubst du nicht? Aber Harry, wir kennen uns schon seit einer Ewigkeit! Wie kannst du mir nur so etwas sagen! Wie bitte? Du glaubst es nicht, weil du mich so gut kennst? Aber Harry, du verletzt meine Gefühle! Diese Stadt ist anders als andere auch dank des Bauamtes, das so ehrlich unter meiner strengen Kontrolle arbeitet! Was sagst du! Um Karriere zu machen, reicht es nicht, Artikel über Zuspät zu kaufen, weil die Menschen keine Dummköpfe sind und sie verstehen, dass gewisse Zeitungen käuflich sind? Na gut, da gebe ich dir recht, aber warum nimmst du dir das mit den beiden Italienern so zu Herzen? Ah, ich verstehe. Klar, Harry, ich verstehe. Ja Harry, das hast du schon mehrmals gesagt: Man muss die Ausländer schlecht behandeln, aber ohne zu übertreiben, nur ein bisschen. Wenn wir das zu wenig machen, dann nimmt uns Benito von Peitsche mit Ausländer raus! die Stimmen weg. Aber wenn wir übertreiben, beklaut uns Athena Schmusenreich mit Erbsen Rauf! um die Stimmen. Ja, Harry, du hast immer Recht. Ja, Harry, ich weiß, du bist der große Chef. Aber ich wiederhole, warum kümmern dich diese beiden Dummköpfe, Monaldi und Sorti? Ja, du hast Recht, Harry. Wir haben alle den Anschein der Bestochenen und Arroganten erweckt, und das ist nicht gut, so kurz vor den Wahlen. Mit dieser Geschichte können wir nur verlieren und nichts gewinnen. Ja, Harry, du hast Recht. Du bist ein toller Boss, Harry. Sei nicht besorgt, Harry, ich denke daran, ich gebe diesen beiden ihre Bewilligung so rasch wie möglich zurück, und niemand darf mehr ihr Schmiergeld ansprechen, somit waschen wir uns in dieser Angelegenheit rein. Danke für den Rat, Harry. Ja, Harry, du bist ein guter Chef. Bis bald, Harry.»

 

Sobald er aufgelegt hat, hält Ludwig van Beton in seiner Hand die Spitzhacke. Er schwenkt sie feierlich wie eine Kriegswaffe und wählt mit der anderen Hand eifrig eine Nummer. «Guten Tag, Bauamt? Ich möchte sofort den Abteilungsleiter, Doktor Bautrick, sprechen. Ich bin der Wohnbaustadtrat. Hallo, Bautrick? Ich habe mit dem Alten gesprochen. Er ist wütend wegen der beiden Italiener. Mein Geheiß: Diese beiden dürfen keine Bewilligung bekommen, nicht einmal, wenn die Welt zusammenbricht. Was sagst du? Sie haben zwei andere Bauansuchen präsentiert? Das interessiert doch keine Sau! Schubladieren! Schon gemacht? Seit einem Jahr? Und Monaldi & Sorti haben mit einer Amtshaftungsklage gegen das Rathaus gedroht? Dann lasst euch etwas einfallen! Abweisen, Zurückweisen! Was? Das ist gegen die Bauordnung? Aber das ist die Bauordnung! Was sagst du noch? Die Verantwortung vor dem Alten? Das ist meine Sache.»

 

Während er mit Bautrick spricht, versucht Ludwig van Beton sich den Rücken zu kratzen, zuerst leicht, dann immer eiliger, aber er muss sich mit den Ellenbogen arrangieren, weil er beide Hände braucht. «Lassen wir Harry in dem Glauben, dass das Haus jener beiden ein Schwarzbau ist! Und Harry wird vorbringen, dass er mir Recht gibt. Wie gerufen, in einigen Tagen wird über Zuspät ein schöner Artikel von 96 Seiten über meine neuen Bauprojekte erscheinen. Du musst ihn aufmerksam lesen, es ist eine Anordnung. Aua!» Der Wohnbaustadtrat steht auf und beginnt auf einem Bein herum zu hüpfen. «Und jetzt reichen die Fragen, Bautrick! Mach, wie ich es dir gesagt habe! Klar?» Ende des Telefonats.

 

Um die Geschichte zu Ende zu führen: Das Superkontingent der Flöhe ist in schallendes Gelächter ausgebrochen. «Warum lacht ihr?», haben wir gefragt. Die Antwort: «Der Wohnbaustadtrat war so drollig, während er die Spitzhacke schwenkte, dass einer von uns dieser Versuchung nicht widerstehen konnte. Er hat sich in seinen Rücken gebohrt und hat begonnen, diesen zu beißen, bis ihm, um sich zu kratzen, die Spitzhacke aus der Hand gefallen ist und ihn am Fuß getroffen hat!»