Cristina N. bettelt in Wien, um sich die Augenoperation zu leisten
Cristina N. Name von der Redaktion geändert ist 33 und lebt im rumänischen Pitesti. Ein-, zweimal im Jahr kommt sie für einige Wochen nach Wien. Nicht, weil es ihr in der goldenen Wienerstadt so gut gefällt, sondern um hier zu arbeiten. Cristina hat Grauen Star, wie auch ihr 10-jähriger Sohn. Eine Operation könnte den beiden helfen, aber das kostet Geld, das sie nicht hat. Arbeit gibt es für sie in Pitesti nicht. Sie hat keine Berufsausbildung, auch keinen Schulabschluss, und sie hat zwei Kinder. Die Arbeitslosigkeit in Rumänien ist hoch, für Angehörige der Volksgruppe der Roma ganz besonders. Sie waren die ersten, die nach der Wende ihre Arbeit verloren, und die meisten von ihnen bekamen danach keine mehr. Die vierköpfige Familie bekommt etwa 50 Euro Sozialhilfe im Monat. Das ist auch in Rumänien zu wenig zum Leben. Cristina arbeitet in Wien als Bettlerin. Das ist harte Arbeit, sagt sie, weil man immer damit rechnen muss, bespuckt, beschimpft oder angepöbelt zu werden. Vor allem früher, als sie auf dem Gehsteig oder auf U-Bahn-Treppen sitzend bettelte. Heute macht sie es anders.
Kaufen Sie eine schöne Rose, bitte!
Seit einiger Zeit kauft sie beim Hofer verbilligte Rosen vom Vortag und bietet sie den Vorübergehenden auf der Straße an. Das bringt mehr ein als auf dem Boden sitzend zu betteln, es ist aber auch gefährlicher. Denn das aktive Zugehen auf Passanten wird von der Polizei als aufdringliches und aggressives Betteln eingestuft. Und das ist ein strafbarer Tatbestand. Das kann einem teuer zu stehen kommen, wie Cristina erfahren musste. Nach Wien waren sie zu viert gekommen, sie, ihr Mann und die zwei Söhne, sieben und zehn Jahre alt. Vor zwei Monaten hat sie ihr Mann aber wegen einer anderen Frau verlassen. Mit ihrem Schwager und noch einigen anderen Rumänen bewohnt sie eine Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung ohne Dusche mit Klo am Gang. Die 200 Euro Miete für das Kabinett muss sie jetzt allein aufbringen. Sie haben jetzt zwar mehr Platz, allerdings auch mehr Sorgen.
Als sie voriges Jahr das erste Mal nach Wien kam, nahm sie ihre Kinder mit zum Betteln. Das macht sie heute nicht mehr, denn sie will ihre Kinder nicht diesem Stress aussetzen. Die beiden Buben lässt sie jetzt in der Wohnung, da sind sie sicherer. Sie hat sich ein Mobiltelefon angeschafft, das sie bei den Kindern lässt, damit sie sie untertags erreichen kann. Dem Stress sind die Kinder trotzdem permanent ausgesetzt, weil sie den Druck, unter dem ihre Mutter steht, spüren und immer Angst um sie haben. Die Kinder bekommen alles mit. Sie fürchten, dass ich einmal nicht nach Hause komme oder dass mir etwas Arges passiert. Sie haben eigentlich keine Kindheit. In Rumänien wolle sie die Kinder nicht lassen, aber sie hier in der Wohnung zu lassen, das sei, weiß sie, auch keine gute Lösung. Zukünftig sollen sie in die Schule gehen. Wie wichtig Bildung ist, das sei ihr erst hier in Österreich klar geworden.
Der Zwang, zu unterschreiben, was man nicht versteht
Donnerstag vor Ostern verkaufte Cristina ihre Rosen so wie jeden Tag. Da wurde sie von drei Polizisten mitgenommen. Auf der Polizeidienststelle musste sie sich ausziehen, wurde perlustriert. Die Rosen und das Geld, das sie bei sich hatte, ungefähr 35 Euro, wurden ihr weggenommen, und sie wurde in eine Arrestzelle gesteckt. Nach etwa vier Stunden kam eine rumänische Dolmetscherin. Die teilte ihr mit, dass sie das nächste Mal ein Aufenthaltsverbot bekäme, würde sie noch mal aufgegriffen. Wenn sie nun die ihr vorgelegten Papiere unterschriebe, würde sie freikommen. Sie unterschrieb alles, ohne genau zu verstehen, was sie da unterschrieb. Sie wollte nur raus und zu ihren Kindern.
Das sei, so Augustin-Rechtsanwalt Lennart Binder, eine häufige, aber fatale Situation: Menschen, die mit juristischen Abläufen nicht vertraut sind, verzichten in ihrer bedrängten Situation oft mit ihrer Unterschrift auf alle Rechtsmittel, ohne zu wissen, welche Bedeutung das für sie hat. Cristina kam trotzdem nicht raus. Sie hatte auch ein Aufenthaltsverbot ausgefasst, aber das erfuhr sie erst später. Sie wurde ins Gefängnis Rossauer Lände gebracht. Dort wurden ihr viele Papiere in die Hand gedrückt, deren Inhalt sie nicht verstand Strafverfügungen aus dem Jahr 2007, als sie das erste Mal für drei Monate da war, in der Höhe von über 1600 Euro. Sie war damals immer wieder von der Polizei aufgegriffen worden, und es wurde ihr eine Niederschrift ausgehändigt. Welche Konsequenzen das hat, wusste sie, des Deutschen nicht mächtig, nicht. Nun wurde ihr im Gefängnis mitgeteilt, dass sie nicht eher freikäme, bevor sie diese Strafen bezahlt hätte. Andernfalls müsse sie ein Jahr im Gefängnis bleiben.
Woher sollte sie so viel Geld nehmen? Was würde mit ihren Kindern passieren? In den zweieinhalb Monaten hatte sie 800 Euro zusammengespart. Nach einer durchweinten Nacht durfte sie am nächsten Morgen mit ihren Kindern telefonieren. Den Mann ihrer Schwester, der ebenfalls in der Wohnung wohnt, bat sie, ihre ersparten 800 zum Polizeigefängnis zu bringen. Zwei Stunden später war sie frei. Ihr Schwager und die anderen hatten zusammengelegt und ihr weitere 800 geborgt. 165 Euro waren noch offen. Sie war zwar frei, aber sie hatte keinen Cent mehr und einen riesigen Schuldenberg. Cristina wollte in ihrer Panik sofort zurück nach Rumänien, andererseits war klar, dass sie niemals ihre Schulden würde zurückzahlen können. Sie hat nun große Angst, wieder von der Polizei erwischt zu werden und dass sie ihr vielleicht das nächste Mal die Kinder wegnehmen könnten. Warum werde ich bestraft? Ich tue doch niemandem etwas Böses! Jeder kann geben oder einfach vorbeigehen, ganz wie er oder sie will. Jetzt habe ich drei Monate lang nur für die Polizei gearbeitet.
Dein Freund und Helfer
Es gibt viele Gefährdungen im Bettleralltag, das Verhalten mancher PolizistInnen zählt auch dazu. Erzählungen, dass sie verlacht und verspottet würden, rüde von ihrem Platz vertrieben; dass ihnen Ausweisdokumente abgenommen würden, die um teures Geld dann wieder besorgt werden müssen, gibt es viele. Dieter Wabnig, ein engagierter Aktivist, der im Namen von mehreren rumänischen Bettlerinnen Einsprüche gegen Strafverfügungen verfasst hat, erzählt, dass eine Bettlerin ihm vor einigen Tagen den Pass zeigte, wo die Seite, auf der ihr Sohn eingetragen war, heraus- und in zwei Teile gerissen war.
In vielen Pässen von BettlerInnen finden sich Eintragungen wie Bettlerin oder § 2 WSLG (§ 2 Wiener Landessicherheitsgesetz: Verbot des aufdringlichen, aggressiven, organisierten Bettelns sowie des Bettelns mit Kindern), offenbar um sie identifizieren zu können etc. Diese Vorwürfe wurden zwar polizeiintern untersucht, blieben aber folgenlos. Macht korrumpiert, vor allem einer Gruppe gegenüber, die kaum eine Lobby hat und sich nicht wehren kann. Identifizieren die Polizeibeamten das Verhalten der BettlerIn, die sie kontrollieren als organisiert, aufdringlich oder aggressiv, dann dürfen sie das erbettelte Geld konfiszieren. Der angewandte Interpretationsspielraum erscheint oft willkürlich. Für die Auslegung als organisierte Bettelei reicht, dass es sich um mehr als zwei Personen handelt, die zum Beispiel während des Bettelns Blickkontakt haben.
Dieter Wabnig weist auf die absurde schriftlich vorliegende polizeiliche Auslegung hin: Wenn zum Beispiel Mutter, Töchter und Enkelkinder morgens aufstehen und sagen: Jetzt gehen wir in den 1. Bezirk betteln und fahren dann gemeinsam hin, dann ist das zweifellos eine Form der Organisation und von uns entsprechend nach § 2 WLSG zu ahnden.“ Für die BettlerInnen ist es unverständlich, warum die Polizei ihnen das, was sie durch das Ertragen der Demütigungen verdienen, einfach wegnehmen darf. Das ist doch eigentlich eine Frechheit gegenüber denjenigen, die mir das Geld gegeben haben. Die haben es ja mir gegeben!, meint Cristina. Bei der Festnahme muss die abgenommene Summe schriftlich vermerkt werden. Das wird auch gemacht, oft aber auch nicht. So steht etwa im Haftbericht von Cristina, dass sie kein Bargeld mitgeführt habe. Sie meint, ihr seien etwa 35 Euro abgenommen worden.
Ähnliches erzählt auch die Filmemacherin Ulli Gladik, deren bei der heurigen Diagonale hoch gelobter Film über die Bettlerin Natasha im Jänner 2009 in die Kinos kommt. Auf dem Polizeikommissariat Brandstätte sei bis vor einiger Zeit eine Spendenbox gestanden. Kein Hinweis verriet, welchem karitativen Zweck das gesammelte Geld zugeführt wird. Ein Geheimnis, das die Polizisten auch auf die Frage der Filmemacherin hin nicht lüfteten. Aber aus wessen Taschen die großzügigen Geldspenden in den Bauch der Plexiglaskugel wanderten, hätten ihr viele BettlerInnen, mit denen sie im Zuge der Dreharbeiten Kontakt hatte, verraten.
Cristina hat ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erhalten, das nach dreimaligem Verstoß gegen den § 2 WSLG verhängt wird. Rechtsanwalt Binder findet die Verhängung eines Aufenthaltsverbots für eine EU-Bürgerin kurios: Das ist ja innerhalb der EU sowieso nicht exekutierbar. Im Fall von Cristina wird es folgendermaßen begründet: Durch Ihr Verhalten stellen Sie eine massive Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar. Da Sie beharrlich trotz einschlägiger Bestrafungen Ihr Verhalten fortsetzen, ist davon auszugehen, dass durch Ihren Verbleib in Österreich die öffentliche Ordnung und Sicherheit nachhaltig und maßgeblich gefährdet wird. Um ein Aufenthaltsverbot zu verhängen, muss das Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt Nach Ansicht der Behörde liegt eine derartige Gefährdung vor.
Eine erhebliche Gefahr scheint tatsächlich vorzuliegen: nämlich, dass mit Kanonenkugeln auf Spatzen geschossen wird, dass der Gesetzgeber und die Polizei mit einer Gruppe, deren hauptsächliches Vergehen ihre Mittellosigkeit ist und die aus gleich bleibend etwa 40 Bettlern und Bettlerinnen in Wien besteht, nach Gutdünken verfährt und Grundrechte mit Füßen tritt.