37 Prozent der Kulturschaffenden leben unter der Armutsgrenze
Gottfried Helnwein, DJ Ötzi und Adi Hirschal finden, dass Kunst ertragreich ist. Susi Schelepa, Petra Wetzel und Gerhard Wohlfahrt werden dem kaum widersprechen. Seit die SozialforscherInnen aber im Auftrag der Kunstministerin ihre Studie Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich abgeschlossen haben, wissen sie, in welchem Ausmaß Kulturschaffende zu den Gestrandeten zählen. Ihr mittleres Monatseinkommen liegt mit rund 1.000 Euro nur knapp über der offiziellen Armutsgefährdungsgrenze (2006: 893 Euro monatlich) und deutlich unter dem mittleren Einkommen der österreichischen Gesamtbevölkerung (2006: monatlich 1.488 Euro). Unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze leben 37 Prozent der Kunstschaffenden dieser Anteil beträgt in der Gesamtbevölkerung 13 Prozent und unter allen Erwerbstätigen 7 Prozent. Sechs Kulturschaffende Fallstudien zur Studie haben dem Augustin freimütig Auskunft über ihre Lage gegeben, drei davon in diesem Blatt; Fortsetzung folgt.
Bruno Max, Theaterleiter
Es sind zurzeit nicht mehr als 5 bis 6 Theater, die ihre Schauspieler fix anstellen. Das sind die großen Häuser. Waren noch vor 20 oder 30 Jahren 80 Prozent der darstellenden Künstler fix angestellt und nur 20 Prozent freischaffend, so hat sich heute die Lage genau umgekehrt. Das ist die ernüchternde Aussage von Bruno Max. Er leitet drei Theater: die Scala im 4. Wiener Gemeindebezirk, das Stadttheater in Mödling und während der Sommermonate ebendort den Bunker. Für diese drei Bühnen beschäftigt er an die 70 Schauspieler und erarbeitet mit ihnen 18 Produktionen im Jahr bei einer Subvention von nur 300.000 Euro vonseiten der Stadt Wien. Gäbe es nicht Synergien, die sich aus Zuschüssen durch die Spielstätten in Niederösterreich ergeben, könnte er in Wien gar nicht spielen, meint Bruno Max. Dann gäbe es bestenfalls 5 bis 6 Premieren im Jahr und Beschäftigung für nur ca. 25 Schauspieler.
Auch er kann wie viele seiner Kollegen erst mit Premierenbeginn seine Künstler ordnungsgemäß anstellen. Für die Probenzeit müssen sie nur pauschal abgefunden werden.
Wir kommen auch auf die armen Kellertheater zu sprechen. Denn daran bestehe kein Zweifel: Die künstlerische Vielfalt ist unabdingbar. Von der freien Theaterszene kämen doch immer wieder wesentliche Impulse. Dort spielen die Schauspieler oft um 35 Euro pro Abend, erhalten häufig keine Gage für die Zeit der Proben. Oder sie arbeiten auf Teilung, das heißt, was abends reinkommt, wird geteilt.
Bruno Max veranschlagt für seine Neuinszenierungen 4 bis 6 Wochen Probezeit. Gibt es 20 Vorstellungen des jeweiligen Stücks, haben die Schauspieler zweieinhalb bis drei Monate Arbeit. Dafür bekommen sie insgesamt 3.000 Euro (brutto!). Wie niedrig das durchschnittliche Monatseinkommen ist, liegt auf der Hand.
Wir zahlen allen Mitwirkenden gleich viel, alle Schauspieler haben eine fundierte Ausbildung hinter sich, die Hälfte von ihnen hat ein Konservatorium oder das Reinhardt-Seminar absolviert.
Bei der Verteilung der Subventionsgelder für 2009 ff. durch Ministerin Claudia Schmied wurde Bruno Max unbegründet keine Vierjahresförderung zugesagt.
Ich bin am Hungern und muss mich typisch österreichisch fortwurschteln. Man vertröstet ihn, es werde schon irgendwie weitergehen. Wenn morgen die Beamten wechseln, kanns sein, dass ich keinen Schilling krieg. Nichts ist einklagbar. Die kleinen Theater und freien Gruppen seien doch wichtige Arbeitgeber. In Wien lebten 500 bis 600 Menschen davon, eher schlecht als recht, aber doch, meint er mit Überzeugung.
Bruno Max und seine Schauspieler bringen immer wieder bemerkenswerte, spannende, ungewöhnliche Stücke auf die drei Bühnen, haben meist viel Publikumszuspruch. Die Erfolge steckt sich dann die Stadt Wien auf den Hut, und wir wurschteln weiter bis zur Selbstausbeutung.
Unser Gespräch endet mit einem ernüchternden Resümee: Wenn mans mit wenig Geld schafft, gibt es vonseiten der Subventionsgeber keinen Grund, einem mehr zu geben. Und wenn mans ohne Geld schafft, gibt es keinen Grund, einem überhaupt etwas zu geben.
Soziale Kulturpolitik also.
Margot Hruby, Schauspielerin
Im Café Rüdigerhof treffe ich Margot Hruby, die vor zwei Jahren einen für sie sehr schmerzhaften Entschluss fassen musste: mit der Schauspielerei aufzuhören. Und das aus mehreren Gründen. Sie, die mit großem Engagement an innovativen Theaterprojekten in den goldenen 80er Jahren teilnahm, bei den Chauvinisten von Hubsi Kramar mit dabei war, im Kabelwerk Hamlets Mutter, die alte Peachum aus der Dreigroschenoper mit Hansi Lang gab, mit Soloprogrammen in der Gruppe 80 und im Metropol auftrat, mit einigen Produktionen auf Tournee ging nach Hamburg, Berlin ,wollte nie gefälliges Theater machen. Kunst muss frei sein. Kunst muss Kanten haben, ist ihre feste Überzeugung. Gefälliges Theater ist für Margot Hruby entwürdigende Animiertätigkeit. Eine solche auszuführen, sah sie sich später leider genötigt, um als Alleinerzieherin von zwei Kindern überleben zu können. Es war nicht mehr um der Kunst willen, sondern des notwendigen Geldes wegen.
Wo gebe es heute noch dieses innovative, engagierte Theater, frage ich. Dieses wurde, so meint Margot Hruby, langsam ausgehungert. Sie möchte niemanden mehr bedienen. Wenn Theater, dann wirklich freies, lebendiges, das auch das Scheitern erlaubt, denn Kunst brauche ihren Auslauf, ihre Bocksprünge.
Sie ist noch immer voll Ideen, schreibt an Soloprogrammen. Wenn ich dann aber Subventionsanträge gefällig und bittstellerisch formulieren muss, ist die KUNST schon kaputt.
Der Schlussstrich unter die Theaterlaufbahn war dick und schmerzlich. Auch das Springen zwischen künstlerischer Tätigkeit und Arbeitsloser. Das für sie unzumutbare Kursangebot des AMS, das den Staat so viel Geld kostet, ist für sie vergeudete Mühe, verlorene Zeit. Eine Ausbildung zur Immobilienmaklerin schien noch eine Chance für einen beruflichen Neueinstieg zu versprechen. Dann Arbeit bei einer Maklerfirma, die aber bald darauf in Konkurs ging.
Aber wie solls, wie kanns weitergehen? Ich will zulassen, was in mir entsteht. Es wird etwas sein, etwas Eigenes, Unsubventioniertes. Ich will es riskieren. Ich wünsche Ihnen viel Glück, Frau Hruby.
Dann am Schluss unseres Gesprächs noch ein Gedanke: Da sitzen unbeschäftigte Künstler verschiedener Bereiche in sündteuren AMS-Kursen. Reine Zeit- und Geldverschwendung. Mein Vorschlag: Gebt uns anstelle der Kosten für diese sinnentleerten Kurse das Geld, und wir machen damit eine gute Theaterproduktion. Na also!
Christine Werner, Schriftstellerin und Fotografin
Ich bin der Meinung, dass der Staat die Aufgabe hat, Kunst zu fördern. Ich finde es erniedrigend, in einer Tour betteln, bitten und buckeln zu müssen, um ein Arbeitsstipendium zu bekommen, und dann immer wieder blöde Absagen zu erhalten. Das ist das Resümee jahrelanger Erfahrung einer Künstlerin, die Werke schafft, die es verdienten, gefördert zu werden.
Christine Werner ist Dramatikerin, Lyrikerin, Verfasserin von Hörspielen und Romanen. Ihr Interesse fokussiert sich vor allem auf authentische österreichische Frauenschicksale während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Roman Wien ist nicht Chicago zum Beispiel basiert auf den über acht Jahre geführten Tagebuchaufzeichnungen der Emmy Mahler, die aus einer Industriellenfamilie stammend durch Arisierung der in Gmünd ansässigen Fabrik ins Exil getrieben wurde. Christine Werner recherchierte für ihren Roman sogar vor Ort in Chicago, wo sie den noch dort lebenden Sohn der Emmy Mahler ausfindig machen und interviewen konnte. Aus eigenen Mitteln.
Vier Romane sind bisher von Christine Werner in Kleinverlagen erschienen. Vorwiegend mit frauenspezifischen Themen. Kann man nicht einiges Geld durch Lesungen lukrieren? Für Lesungen wird man kaum bezahlt. Denn so wird argumentiert diese würden ohnehin honoriert durch Eigenwerbung.
Dann gibt es auch die Möglichkeit, um Subventionen für künstlerische Großprojekte einzureichen. Eines davon organisierte sie das Waldviertel-Festival. Da bleibt aber auch nicht viel über, denn die Gelder werden an alle verteilt, die am Projekt beteiligt sind. Und an solche gut dotierten Projekte müsse man erst herankommen, das heißt viele Kontakte pflegen. Ich will kein Projekthai sein. Und das Adabei-Getue widert mich an.
Parallel zum Schreiben gibt es auch die Fotografie. Es begann mit Porträts von Menschen, die ihr zufällig begegneten, Straßenkünstler zum Beispiel, Musikanten. Dann folgten Fotoserien von Demonstrationen, Roma-Festen, Theaterproduktionen der Off-Szene. Die Bilder stellt sie ins Internet, verfasst dazu kleine Texte und vernetzt sich mit Fotogalerien ähnlich arbeitender KünstlerInnen.
Politisch und sozialkritisch orientiert waren ihre Kunstaktionen während der schwarz-blauen Regierungszeit. An den Dollfuß-Gedenktagen am Hietzinger Friedhof inszenierte sie zum Beispiel in einer Protestaktion gegen die offizielle Kranzniederlegung die Zu-Grabe-Tragung der Demokratie. Am Fleischmarkt (nahe einer Abtreibungsklinik) legte sich Christine Werner blutbeschmiert auf eine Bahre begleitet von der Aktionsgruppe Aliens , um die lebensgefährdende Situation einer Frau durch den Eingriff einer Engelmacherin zu demonstrieren. Von solchen und ähnlichen Aktionen hat die Künstlerin sich heute entfernt. Sie will schreiben. Um das aber zu können (mit all den aufwendigen Recherchen, die ihre Themen voraussetzen), ist sie permanent gezwungen, Jobs auszuüben. Sie ist inzwischen erfahren im Bereich der Finanzgebarung verschiedener Vereine. So kommt sie irgendwie über die Runden. Muss sich aber sehr disziplinieren, um ein größeres Stück zusammenhängender Zeit fürs Schreiben zu finden. Ein äußerst mühsames Unterfangen ohne jegliche Sicherheit.